vonChristian Ihle & Horst Motor 04.07.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Von allen britischen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre mag die Art Brut’sche die wunderlichste sein: warum eine Band, die beständig zwischen Jonathan Richman und The Fall, garagigem Lärm und popkulturellem Augenzwinkern hin- und herschwankt ausgerechnet in Deutschland bekannter als in ihrem Heimatland wurde, erstaunte sehr, da hierzulande doch Jonathan Richman, The Fall, garagiger Lärm und popkulturelles Augenzwinkern üblicherweise keine Katze hinter dem Ofen hervorlocken.

Anzumerken bleibt aber auch, dass Art Brut zwar in Journalisten- und Musikerkreisen höchste Wertschätzung erfuhren, die Verkaufszahlen aber bescheiden blieben. So steht weder bei den Singles noch bei den Langspielplatten ein Top-100-Einstieg bisher zu Buche, was sich aber ohne Frage mit dem Zweitwerk ändern dürfte.

Doch Sänger Eddie Argos ist auch ein Nerds Nerd: für uns, die ihr komplettes Leben mit Songtexten beschreiben könnten, die Mädchen und Jungs beeindrucken wollen, in dem sie die richtige Referenz droppen, die um die Herzen der Angebeteten buhlen, in dem wir Mixtapes fabrizieren – für uns sind diese Texte geschrieben, aus unserer Mitte kommt Argos, aus unseren Leben erzählt er: „learning lyrics from the CD inlay / to impress people with the stupid things I say“, „A record collection reduced to a mix tape / headphones on / I made my escape“ oder „Life is what you make it / And I’ve made mine a mess“

Das popkulturelle Augenzwinkern fehlt selbstredend auch auf Album Numer zwei nicht, die Referenzhölle reicht von Cabaret Voltaire über Phil Spector und Jimmy Ruffin bis zu Wild Billy Childish. Jonathan Richman ist mehr denn je geistiger Vater des Art Brut Werkes, doch der garagige Lärm ist zugunsten einer klareren Produktion und sauberen Gitarrenlinien zurückgetreten. Das beste Beispiel für diese Veränderung ist das fantastische „Post Soothing Out“, das von der vielleicht besten Gitarrenlinie getragen wird, die Art Brut bisher zustande brachten.

Die letztjährige Vinylsingle und Albumhöhepunkt „Nag Nag Nag Nag“ stellt den Brückenschlag zwischen Alt und Neu dar: hier wird noch wie Gestern gitarrengeschrammelt als gäbe es kein Morgen mehr und doch klingt alles klar wie nie zuvor bei Art Brut. Es bleibt aber auch zu konstatieren, dass bei schwächeren Songs nicht mehr die Möglichkeit besteht, mit amüsanten Texten und noch mehr Lärm die kompositorischen Unzulänglichkeiten zu verbergen. Deutlich wird: perfekt ist dieses zweite Album nicht geworden und mit Sicherheit erreicht es nicht die Güte des Debütalbums, das 2005 aber auch das Album des Jahres war.

Trotzdem und gerade im Hinblick auf die doch erschreckende second album malaise, die die britischen Himmelsstürmer der letzten Jahre ergriffen hat – ja, Bloc Party, Kaiser Chiefs, Arctic Monkeys, ihr seid gemeint, meine Lieben! – ist Art Bruts Nummer Zwei eine sehr gute, intelligente, manchmal wehmütige und doch immer stolze Platte geworden. Album Nummer Drei muss zeigen, ob Eddie & Kollegen mehr sind als ein onetrickpony mit einem zugegeben verdammt guten Trick, aber für hier und jetzt sind alleine Argos’ Texte Grund genug, die Album des Monats Ehren an die Außenseiterbande zu verteilen: eben more songs about music and girls, um andere Art-Brut-Ziehväter zu paraphrasieren.

Anhören!
* Nag Nag Nag Nag (hier)
* Post Soothing Out
* Pump Up The Volume (hier)

Im Netz:
* Indiepedia
* Homepage
* MySpace

Christian Ihle

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2007/07/04/album-des-monats-juni-platz-2-art-brut-its-a-bit-complicated/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert