vonChristian Ihle & Horst Motor 24.12.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Weihnachten feiert man doch am Liebsten im Kreise seiner Freunde und Liebsten. Grund genug für den popblog in der Welt herumzufragen, was denn 2007 gerockt, geknallt, gescheppert hat, dass es eine wahre Freude war. Die Freunde schrieben eifrig zurück, so dass wir eine kleine Serie zum Song des Jahres starten. Heute: deutsche Künstler über ihre liebsten Lieder.

Olli Koch (Tomte):

Rufus Wainwright: „Do I disappoint you“

Im Spätsommer war ich für eine Weile weg. Allabendlich zog ich meine Kreise und hörte dabei „Do I disappoint you“ von Rufus Wainwright. Meiner Meinung nach ist es seine größte Oper. Der Typ ist umtobt von den Elementen, als würde er vom Grünen Hügel herunter singen. Oder war dieser Song doch nur sein erster Versuch für den nächsten „Die lustige Welt der Tiere“ Film? Das kann wirklich keiner nachvollziehen.
Ach, und „Luscious Life“ von Patrick Watson! Und was ist überhaupt mit dem Album des Jahres? „Person Pitch“ von Panda Bear vielleicht? Aber ein Freund sagte mir, er bekäme so schreckliche Kopfschmerzen davon. Außerdem sei das Album nur drei Songs lang auszuhalten. Modeselektor unter Umständen? Schwierig, wie soll man den vielen guten Veröffentlichungen gerecht werden? Ja, 2007 war ein gutes Jahr für Musik.

Nagel (Sänger von Muff Potter und Autor):

Weakerthans: „Night Windows“

Ich habe mir die aktuelle Weakerthans Platte Wochen vor Erscheinen illegal aus dem Netz gefischt, weil ich es nicht mehr erwarten konnte. „Night Windows“ war gleich mein Favorit, ich habe es wieder und wieder gehört, und dann ist mein Vater gestorben. Es war fast unheimlich, wie sehr der Text plötzlich passte. Ab da war „Night Windows“ auf der Muff Potter Tour jeden Abend der erste Song, der nach dem Konzert lief, und wenn ich ihn jetzt höre, denke ich immer gleich an verschwitzte Klamotten und die Zigarette danach.

Der Tante Renate:

sebastiAn: „rossrossross“
Bondage Fairies: „He-Man“

sebastiAns Song wurde schon 2006 released, ich habe ihn aber 2007 zum ersten Mal gehört und fand den Ansatz super, Samples so sinnvoll und irre anzuordnen, dass sie zum einen im Dance/Techno Kontext funktionieren, aber den Sound auch sehr spannend machen. Konventionen werden in dem Song weitestgehend ignoriert, die Breaks klingen nach kaputten CDs, Zwischenteile wirken fremd im Song und passen trotzdem oder gerade deshalb. Der Song hat mir gezeigt, dass vieles, an was ich mich intuitiv oder durch äußeres Einwirken beim Songschreiben gehalten habe, Quatsch ist. Und das macht doch ein gutes Kunstwerk aus, oder?

Der zweite ist „He-Man“ von Bondage Fairies aus Schweden. Die Jungs habe ich in Konstanz bei einem Konzert kennengelernt und der Song lief ungefähr 14500 mal in unserer Karre. Die Stimme wirkt so geil zerbrechlich in diesem Rock-Zusammenhang und bringt dieses Verlangen nach Rückzug in künstlich kreierte Räume zum Ausdruck, das, glaube ich, jeder kennt. Weiss nicht, ob ich das jetzt gut ausgedrückt habe, aber wenn jemand singt „i want a sword like he-man“ kann er seinem Verlangen nicht unbedingt in der Realität nachgeben. Das kann gut daneben gehen, so mit Schwert und Fellunterhose auf einer Katze reitend.

Simon Rass (ClickClickDecker, Grand Hotel van Cleef)

Menomena: „Wet and rusting“

Auf Anhieb fällt mir spontan Menomena „Wet and Rusting“ ein. Menomena sind für mich musikalisch die kleinen Brüder der Flaming Lips.
„Wet and Rusting“ ist der einzige Song, den ich kenne, der mit einer Fußorgel anfängt. Und er entwickelt sich auch auf tolle Art und Weise. Sehr, sehr raffiniert, wie die verschiedenen Instrumente einsetzen, sich abwechseln. Allein der Rhythmus, mit dem die Akustikgitarre einsetzt ist phantastisch. Mit dem Schlagzeug kommt dann auch die Gänsehaut. Das Video ist phänomenal, macht einen glücklich, auf humorvolle Weise veranschaulicht es den Wert des Lebens im Angesicht des Todes. Toll, toll, toll. Wirklich.

Erik Langer (Kettcar):

Tocotronic: „Sag alles ab“

Völlig erschlagen vom Überangebot nehme ich „Sag alles ab“ von Tocotronic, da mir das Album insgesamt gut gefällt und das Stück sowohl live als auch morgens in unserer Küche gut ist.

Jochen Overbeck, Sänger von Frankreich muss bis Polen reichen

Shout Out Louds: „Tonight I Have To Leave It“

Bester Song ist dann doch nicht Tocotronics „Kapitulation“, sondern „Tonight I Have To Leave it“ von den Shout Out Louds. Hübsch kompakt, was äußeren Rahmenbedingungen wie Länge und Mitskandierbarkeit angeht, aber vor allem deshalb so schön, weil er ein einziger Vorwurf ist. Wenn der Typ da wem auch immer sein böses „Oh no, you’re not sorry / No, you’re not“ entgegenlamentiert, leidet man doch automatisch begeistert mit. Und Identifikationspotential ist doch, um was es bei Popmusik geht.

Filip Pampuch, Drummer bei Klez.E

Nine Inch Nails: „Survivalism“

Der Song steht bei mir dafür, dass ich diese Band erst in diesem Jahr für mich entdeckt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich die Euphorie, Begeisterung und Verehrung für diese Band (und damit verbunden auch Trent Reznor direkt) nie verstanden. Es ging an mir vorbei, ich war sogar sehr genervt von dieser Musik. Bis mein Mitbewohner Christian eine Karte für das NIN konzert übrig hatte und meinte, ich müsse mitkommen. Daraufhin hab ich mir trotzig die alten Platten angehört und bin mit ihm zum Konzert. Was mich dort überrollt hat, war unfassbar, hatte ich lange nicht mehr erlebt!
Die Energie, die Wucht…. aber immer verbunden (man glaubt es nicht) mit sehr zerbrechlichem Pop. Ich war sehr begeistert, dass ich solange an etwas vorbeigekommen bin, was mich dann aber so treffen konnte. Der Song selbst lief bei mir sehr oft im mp3 player. Ich mag das hektische, treibende daran sehr, das gibt einem in den viereinhalb minuten ja keine ruhepause…

Sebastian Wild, Gitarrist bei The Audience

Wilco: „What Light”

Eigentlich ja ein scheußliches Lied: 6/8 Takt, Country-Slide-Guitar, uhh-Chor, offene Dur-Akkorde, Textzeilen wie „there’s a light inside of you“ etc. … aber vielleicht gerade wegen so vielen „no-gos“ auf einem Haufen super. Dazu noch echt klasse gespielt und nicht so anbiedernd-radio-mäßig nach vorne produziert.
Transportiert für mich persönlich insgesamt eine ganz besondere positive Energie, untersetzt von ganz viel Ironie. Super Kombination!

Maurice Summen, Sänger der Türen:

Mushiflo: „Ficken, Geld, Drogen, Nutten“

Olli Schulz:

Robert Plant & Allison Krauss: „Please read the letter“

Ich war skeptisch als ein Bekannter mir dieses Platte ans Herz legte, aber ich wurde schnell überzeugt. Wunderschöne Herbst/Winter-Platte, produziert von dem immer geschmackssicheren T-Bone Burnett. Seit einem Monat höre ich täglich mindestens dreimal den Song „Please read the letter“. Musik und Text treffen wohl häufig meine Stimmung. Wer übrigens keinen Country mit Geige und so mag, der braucht sich das gar nicht erst anzuhören.

Jan Elbeshausen (Marr/The Dance Inc.):

Donny Hathaway – „He ain’t heavy he’s my brother“

Meine Song-Entdeckung des Jahres ist „He ain’t heavy he’s my brother – Donny Hathaway ( aus dem Album: Donny Hathaway)
Die Platte hat mir Tino ersteigert und geschenkt. Hat mir die Ohren geöffnet für Soul, neben vielen anderen dieses Jahr.

Thomas & Rainer Marschel, Atomic:

Amy Winehouse: „Rehab“

Zum ersten Mal haben wir den Song gehört, als wir mit Madsen in Chemnitz gespielt haben. Der DJ hat „Rehab“ mindestens 5 mal hintereinander während des Aufbaus gespielt. Das machte so verdammt Bock. Wir dachten wirklich „der DJ ist bestimmt so ein raritäten oldie-checker wie quentin tarantino – warum hat uns in den letzten 29 jahren niemand gesagt das es so einen spitzenmässigen song aus den 60ern gibt“. Nach der tour haben wir natürlich überrascht festgestellt, das der Song dieses Jahr erst veröffentlicht wurde. Von Amy Winehouse? Ah jetzt! Die kannten wir ja schon länger wegen eines Duetts mit Paul Weller! Soviel Coolness, Schmutz und Soul hatte 2007 definitiv niemand in seiner Musik. Zumindest dieser Song wird im Gegensatz zu ihr so schnell nicht sterben.“

Part 2: Internationale Künstler über ihre Songs des Jahres

Part 3: Das Business über seine Songs des Jahres

Part 4: Musikjournalisten über ihre Songs des Jahres

Part 5: Fanzinemacher über ihre Songs des Jahres

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