vonChristian Ihle & Horst Motor 21.02.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Die Berliner schütteln ja jedes Jahr im Februar verständnislos die Köpfe über den rheinischen Karneval. Ganze Städte im Ausnahmezustand, alle tun so, als ob sie etwas anders wären, lustig zum Beispiel – das ist dem Preußen, dem geerdeten, fremd. Denkt er. Denn sonderlich groß ist der Unterschied zwischen Karneval und Berlinale nicht, zumindest nicht an dem seltsamen Areal zwischen Potsdamer Platz und Staatsbibliothek.
Besonders fällt dies auf, wenn man eine Woche später noch mal durch die Straßen geht, in den traurig leeren Starbucks, die wieder nur mit Brandenburgischen H&M-Einkäufern gefüllten Arcaden blickt oder sich über das langweilige Programm des Cinemaxx wundert.

Vor einer Woche noch war dies eine Großstadt. Menschen, die echte Jobs haben, liefen geschwinden Schrittes durch die Straßen zwischen den gelben und orangenen Häusern und schrieen in Telefone. Bei Starbucks schrieen die Baristas fröhlich „Der Nächste!“ und wirbelten mit Milch und Kaffee, als sollten Rekorde aufgestellt werden und die Gesichter und Stimmen und Sprachen waren so vielfältig und wirr, wie das in echten Großstädten eben ist. Und die deutsche Prominenz war so egal und nichtig, wie sie es eben sein sollte. Sitzt da Heike Makatsch mit einem dicken Mann in dem komischen Restaurant im Haus Huth? Soll sie doch.

Berlin dagegen, das eigentliche Berlin, verkam noch mehr zu seinem eigenen Klischee, zu einem Berlinabziehbild, wie sonst schon. Ein Sonntagabend auf der Friedrichstraße zwischen Unter den Linden und Oranienburger Straße: Bei Dussmann fragen drei aufgetakelte junge Französinnen nach dem Cookies, nach der Swiss Film Party. Vor dem Grill Royal stehen alternde Männer in teuren Anzügen und ach-so-lässig geschlungenen Schals und warten in der Kälte auf Einlass. Und im Scala legt Peaches, genau die Peaches, eine Stunde lang selbstgebrannte CDs mit Heavy Metal in den CD-Spieler und hüpft und springt ein bisschen. Die Musik ist grauenvoll, aber die Getränke umsonst und so schüttet sich das eigentliche Berlinalepublikum vorsichtig weg, während die jungen Berliner, die als Hintergrunddeko für Berlin-Flair sorgen sollen, in jeder Hand einen anderen Drink halten. Letztlich ist die Berlinale eine Messe und eine riesige PR-Veranstaltung und das Publikum ist entsprechend: Marketing, BWL, Kulturjournalismus, ein paar echt Filmnerds. Da ist es schon eine Herausforderung eine gute Party zu schmeißen, bei der nicht die Künstlichkeit der Hollywood-PR, die Langeweile des Kapitalismus oder das Schorren der Journalisten den letzten Funken „Party“ zertrümmert.

Am darauffolgenden Sonntag ist, wie am Aschermittwoch, alles vorbei. Dieter Kosslick erzählt bei CO Berlin noch ein bisschen Quatsch zu Berlinalephotos junger Photographen. Dann trinken alle noch einmal Weißwein oder Prosecco, kostenlos, und dann ist auch gut. Den deutschen Schnitt an Kinobesuchen haben selbst die halbherzig anwesenden Teilnehmer um das Doppelte übertroffen. Und darum ging es ja schließlich. Nein, eher: eigentlich.

(Daniel Erk)

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