vonChristian Ihle & Horst Motor 22.02.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Magnetic Fields – Distortion

Stephin Merritt kommt nicht mehr zurück. Könnte man zumindest bei den ersten Hördurchgängen des neuen Magnetic Fields Albums glauben. Dabei ist allein seine ironische Unbekümmertheit verschwunden. Sonst hat sich nichts geändert.

1999 ist das Magnetic Fields Jahr, in dem sich auf einem Triple-Album alles versammelt hatte, was für die Jahre danach ausschlaggebend sein würde. Alles klang wie eine Best-Of-Sammlung, dabei hatte Merritt einfach nur ein paar Freunde versammelt und die wahrscheinlich kürzesten, simpelsten und schönsten Liebeslieder geschrieben, die es in der Welt des Lo-Fi-Pop überhaupt gibt. Man denke da nur a „The Luckiest Guy On The Lower East Side“ oder „All My Little Words“. So großartig mag Merrit nicht mehr auf den Punkt kommen. Vielleicht liegt es an der Fülle der Nebenprojekte: mit Future Bible Heroes und Gothic Archies ist der New Yorker auch mehr als eingebuden gewesen. Sei es drum, inzwischen sind die Magnetic Fields eh zu einem ständigen Begleiter geworden, deren Alben man schon aus Prinzip kaum erwarten kann.

„Distortion“ markiert nun einen Wendepunt. Vorbei sind die glockenklaren Lo-Fi-Liebeslieder, es herrscht die angestrengte Verzerrung. Unter Nebelschwaden aus Hall und Noise dringen Merritts Worte nur wie eine entfernte Erinnerung zum Hörer vor. „California Girls“ ist zu Anfang des Albums noch fast gewohntes Magnetic Fields Terrain. Gesunder Sarkasmus, schöne Hooklines – so darf ein alternder Merrit gern mal über den amerikanischen Traum lästern. Aber schon „Old Fools“ schleppt sich zäh und mürbe dahin; von der Leichtigkeit alter Magnetic Fields Songs ist auch bei „Xavier Says“ nichts zu spüren. Zumindest bei „Too Drunk To Dream“ und „The Nun’s Litany“ blitzt die alte Stärke auf. Insgesamt also ist „Distortion“ ein zwiespältiges Vergnügen, dessen angestrengte Inszenierung der Antithese zum blitz-blanken Lo-Fi-Pop der früheren Alben nicht ganz aufgeht.

Anhören!
* California Girls (hier)
* Too Drunk To Dream

Im Netz:
* MySpace
* Indiepedia

Moi Caprice – The Art Of Kissing Properly

Immer wieder Dänemark: inzwischen haben auch deutsche Labels und Booker das kleine Land zwischen Deutschland und Skandinavien auf dem Schirm. Nach Bands wie Kashmir und den Tigertunes wird es aber auch Zeit. Davon können Bands wie Moi Caprice profitieren.

Dabei ist Album Nr. 3 keineswegs neu. 2006 ist „The Art Of Kissing Properly“ bereits erschienen, fast zwei jahre hat es gedauert, die gerademal 200 Kilometer nach Deutschland zurückzulegen. Bei Songs wie „The Town And The City“ ein absolutes Wunder. Wenn das kein Frühjahrs-Hit wird, dann funktioniert etwas auf deutschen Indie-Mädchen-Mixtapes nicht. Aber gut, selbst die Shout Out Louds haben fast 2 Jahre gebraucht, bis ihr kongeniales „How Howl Gaff Gaff“ hierzulande erschien und Herzen eroberte. Auf Album-Länge gelingt Moi Caprice zwar nicht das, was den Schweden mit ihrem Debüt gelungen ist. Homogen, festgenietet und ordentlich verzahnt ist hier alles. Die Hits allerdings stechen allzu deutlich hervor.

Was bei der Fülle allerdings dann auch wieder völlig in Ordnung ist. Power-Folk-Pop Nummern wie das bereits erwähnte „The Town And The The City“ oder die wuchtige Dunkel-Pop-Perle „For Once In Your Life Try To Fight For Something You Believe In“ katapultieren das Album in eine veritable Liga. Viel Brit-Pop bei „Drama Queen“, ein paar späte New Order bei „A Supplement To Shine“ – fertig ist ein Album, das in der Heimat schon einige Lobpreisungen erfahren hat und hierzulande zumindest bei Menschen mit leichtem Hang zur Schwermut hervorragend funktionieren dürfte.

Anhören!
* The Town And The City (hier)
* For Once In Your Life Try To Fight For Something You Believe In (hier)

Im Netz:
* MySpace

Jack Johnson – Sleep Through The Static

Mittlerweile ist Jack Johnson Teil des ewigen Studenten-Klischees geworden. In jeder zweiten WG befindet sich mit Sicherheit ein Album des US-Amerikaners. Gehört wird seine Musik vor allem: im Sommer. Und: beim Frühstücken.

Dafür kann der Ex-Surfer aus Kalifornien freilich weniger. Bei Johnson ist die Leichtigkeit Teil einer tief verwurzelten Lebenseinstellung. Wer mit vier Jahren auf Hawaii lebt und surfen lernt, kann eigentlich kein hektisches Leben führen. Dass Johnson allerdings irgendwann die Gitarre für sich entdeckt hat, ist eher dem zufall, respektive einer Surfer-verletzung zu verdanken. Seit 2001, dem Debüt „Brushfire Fairytales“, hat sich seine Karriere rasant entwickelt, heute werden 1000er Hallen gefüllt. Und das bei einer Musik, die so gar nicht Massentauglich zu sein scheint. Auch auf Album Nr. 5 ändert sich nicht viel. Eine Akustikgitarre, ein Glockenspiel hier, eine sanfte E-Gitarre dort. Vielmehr braucht es nicht, eine ganz eigenartige Stimmung zu erzeugen.

„Enemy“ ist der typische Trennungssong, glitzert und funkelt aber dabei so außergewöhnlich, dass man das Fußwippen gar nicht sein lassen kann. Auch die leichten Reggea-Anleihen in „If I Had Eyes“ sind wohl sortiert und gut platziert. Warum „Sleep Through The Static“ trotzdem nicht fesseln kann? Das liegt vor allem an der Art und Weise, wie Johnson inzwischen Songs schreibt. Er ist zu einem Profi geworden und spielt Gitarre wie er wahrscheinlich früher gesurft ist – jeder Handgriff sitzt, jede Silbe und jeder Akkord fügt sich dem Gesamtkonzept der Stimmung. Ein Experiment, ein gewisse Stimmungslosigkeit, eine Dissonanz, kann sich der Ex-Surfer gar nicht mehr erlauben. Das würde nicht nur seine Fans überfordern, sondern auch den Mythos des knackigen Hawaiianers mit großem Herzen zerstören. Und so radikal mag man eben nicht sein, wenn man diese tiefe Gelassenheit in sich trägt, die Johnsons Musik ausstrahlt.

Anhören!
* Enemy
* If I Had Eyes (hier)

Im Netz:
* MySpace

(Robert Heldner)

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