vonChristian Ihle & Horst Motor 16.04.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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The Gutter Twins – Saturnalia

Christiane Rösinger sieht in ihrem Buch „Das schöne Leben“ einen „neuen Optimismus“ herauf ziehen und meint damit eine Bewegung, deren Konsens in der zweifelhaften Annahme besteht, dass nicht alles schlecht sei, man schon irgendwie zurecht komme. Wen sie damit genau meint bleibt zwar etwas unklar. Wer sich hingegen nicht angesprochen fühlen sollte, liegt auf der Hand. Die Gutter Twins liefern ein Manifest gegen diesen beschworenen Optimismus. Greg Dulli (Afghan Whigs, Twilight Singers) und Mark Lanegan (Screaming Trees, Queens of the Stone Age) haben sich ein weiteres Mal an die Instrumente geschleppt. Herrlich, hier wird Hardrock noch mit H geschrieben, denkt man sich ob des überzogenen Pathos etwas amüsiert, doch schwindet die gute Laune mit jeder weiteren Sekunde dieses tonnenschweren Machwerks. Die beiden betagten Herren kooperieren nicht, sie kollabieren! Saturnalia ist pompös, stellt den Glanz und die Herrlichkeit einer düsteren Abgründigkeit zur Schau, und ist vollkommen aus der Zeit gefallen. Sind andere Bands vorrangig damit beschäftigt, den Ton ein Gefühl treffen zu lassen und damit Projektionsflächen für Befindlichkeiten und süße Melancholie zu schaffen, komponieren die Gutter Twins mit anderer Überzeugung. Es geht eben nicht immer irgendwie weiter, vielmehr ist einfach nichts mehr zu erwarten. Wahrscheinlich liegt es am Fatalismus der professionellen Wracks, dass der Sound dieses Albums so dermaßen unterkühlt und distanziert ist. Mit Spaß und Hörgenuss hat Saturnalia deshalb nur bedingt etwas zu tun, eher schon ist die beeindruckend geschlossene Atmosphäre dieser Musik zu bewundern und mit Ehrfurcht zu bestaunen, welch einen Brocken die Herren hier abgeliefert haben. Der liegt quer im Magen und ist wirklich großartig! (Louis Parker)

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Los Campesinos! – “Hold On Now, Youngster…”

Das schöne an den Los Campesinos! ist, dass sie genauso klingen, wie es der Name schon suggeriert. Verquer, etwas gekünstelt, verschroben und verspielt. Dass mit “Hold On Now, Youngster…” nun auch noch ein astreines Debüt vorgelegt wurde, durfte bei den vorangegangenen Demos und Singles nicht verwundern. Aber zumindest milde stimmen. Denn Twee-Core und Indie-Rock sterben anscheinend nie aus.
“We were driven by not wanting to be like everyone else… all these post-Libertines, post-Strokes bands. Three or four years of copycat bands watering down the originals’ ideas. But, initially, we didn’t really know what we were doing.” Man mag Tom Campesinos ja gerne den Kopf tätscheln. Libertines bashen – 2008. Das ist wirklich ein wenig albern. Zumal die Post-Libertines Klone eh fast alle am zweiten Album scheitern. Und an diesem heiklen Punkt sind die Campesinos ja noch nicht einmal. Im Moment müssen sie nämlich noch fast gar nichts beweisen. In einer Zeit, in der zwischen lausig dahingerotzten Demos, einem Plattendeal mit Englands drittwichtigstem Indie-Label Wichita und eine Tour mit Broken Social Scene gerademal 8 Monate liegen, ist ein Debüt-Album eigentlich fast nur noch ein zur Nebensache degradiertes Promo-Event.
Bei den Campesinos ist das etwas anders. Da hat man sich nämlich endlich mal wieder richtig drauf gefreut. Gefreut, weil Singles wie “You! Me! Dancing!” oder “We throw parties You throw knives” schon so ein zappeliges Indie-Rock Versprechen waren. So kunterbunt wie ein Besuch eines Yale-Absolventen im Ronald McDonald Kostüm beim örtlichen “Battle Of The Bands”. Keyboards, überall Keyboards, verzerrte Gitarren, Glockenspiele und Texte, bei denen man nie so recht wusste, ob sie ernst gemeint waren oder auf dem Rücken eines Bierdeckels entstanden sind. Irgendwo zwischen Pavement und Broken Social Scene, Go! Team und Architecture In Helsinki – in diesem Land leben die Campesinos vor sich hin. Und es hat immerhin mit diesem Frohsinn bis zum Debüt gereicht.
Klar stellt sich da die Frage, wie das alles weitergehen soll, ob das nicht ein wenig zu ausufernd ulkig und verspult ist. Aber die Frage kann man getrost auf das zweite Album verschieben. Vielleicht lästern wir dann auch über diese Post-TweePop-Klone. Jetzt jedenfalls sind “Death To Los Campesinos!” und “My Year In Lists” einfach viel zu perfekt konstruierte Momente grenzenloser Tanzfreude. (Robert Heldner)

Anhören!
* Death To Los Campesinos
* My Year In Lists
* You! Me! Dancing!

Los Campesinos! im Popblog Archiv:
* Bands To Watch 2007, 09.01.2007
* Album des Monats August 2007 – Platz 3, 05.09.2007

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Peters – Auffallen durch Umfallen

„Auffallen durch Umfallen“ ist das Debütalbum einer Band, deren erstes Lebenszeichen man bereits 2004 in Form der 7-Inch-Single „Posteingang: 17,78 cm Strukturanalyse“ vernehmen konnte. Seitdem war es zwar nie gänzlich still um die Formation aus Hamburg geworden, jedoch beschränkten sich die Wahrnehmungsmöglichkeiten auf Samplerbeiträge, mögliche Auflösungsgerüchte oder Geschichten über Alkoholexzesse. Auf ein ganzes Album wartete man hingegen vergeblich.

Im März 2008 ist es jetzt endlich soweit und Peters. Veröffentlichen ihr Album auf dem Unterm Durchschnitt Label – und es hat sich so einiges bei den Hamburgern getan.
Frönte man auf der EP noch dem mittneunziger (Post-)Hardcore á la Yage oder Bands, die auf dem Bremer Label Per Koro beheimatet waren, öffnet sich jetzt die Band, wirft auch mal ein Auge auf den Pop und macht so eine Veränderung durch, die auch Fingerprint und Dawnbreed bzw. Monochrome die Möglichkeit eröffneten, den eigenen Klang zu erweitern ohne dabei ihr typische Gesicht zu verlieren.

Konkret heißt das, das Geschrei ist größtenteils einem rhythmischen Sprechgesang gewichen, der manchmal an Thomas Mahmouds Anfänge bei The Oliver Twist Band erinnert. Schreien erscheint nur noch vereinzelt als musikalisches Ausdrucksmittel.
Die Gitarren und das Schlagzeugspiel sind immer noch frickelig und lassen einen an die Zeit zurück denken, als At The Drive-In, North Of America und Nation Of Ulysses den Post-Hardcore so prägten, wie er heute beinahe alltäglich ist.
Jedoch werden die dissonanten Töne bei Peters. jetzt häufiger von poppigeren, melodischeren Akzenten unterwandert, die oft aus der Feder des neu hinzu gestoßenen Keyboarders Jobst Miksche stammen, der das Album auch mit produziert hat.
Wer aufgrund des Tasteneinsatzes an The Robocop Kraus denkt, liegt gar nicht so falsch – sofern er dabei die frühen Momente der Nürnberger im Auge behält.

Textlich sind Peters. ganz in der Hamburger Tradition verwurzelt. Sprich, es wird auf deutsch und sprachlich auf hohem Niveau gesungen. Die Themen Politik, Gesellschaftskritik und die eigene Emotionalität sind natürlich nicht neu, dennoch werden nicht die immergleichen alten Phrasen gedroschen und die Texte sind alles andere als stumpfes Parolengeplärre.
Abstrakt und zynisch werden Zeilen gefunden, die beispielsweise die Gentrifizierung in deutschen Großstädten auf den Punkt genau beschreiben („Zeit als Monument“).

Unter dem Strich bleibt ein Album, das kaum Wünsche offen lässt und sowohl den Postcore-Liebhaber als auch den Indie-Pop-Fan durchaus befriedigen dürfte. (Michael Herbst)

Anhören!:
* Zeit als Monument
* Letzte Chance vorbei (Mp3)

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