Ein wenig erinnert der momentane Stand des Fantasy Film Fests an das, was gerade mit der landläufig „Indie“ genannten Musiksparte passiert: einst an den Rändern arbeitend und auf einmal vom Mainstream eingeholt. Sowohl der drastische Horrorfilm als auch das asiatische Kino, zwei der Sparten, um deren Förderung sich das FFF besonders verdient gemacht hat, sind in der Zwischenzeit in unseren Multiplexen angekommen.
Das kann natürlich nicht dem FFF vorgeworfen werden, aber dadurch wird die Entdeckungsreise weniger aufregend, was sich auch im diesjährigen Programm widerspiegelt: zwar kaum richtige Rohrkrepierer, aber auch wenig Anwärter auf den Film des Jahres. Wobei die Rohrkrepiereraussage eingeschränkt werden muss, denn nicht umsonst werden wohl (die von mir nicht gesehenen) „Lady Blood“ und „Trailer Park Of Terror“ nach der Berliner Aufführung in dieser Startwoche in allen anderen Festivalstädten aus dem Programm genommen…
Fantasy Filmfest, gestern
Auf der Habenseite ist dem diesjährigen Festival anzurechnen, dass ein Weg in Richtung verstörenden Horrors eingeschlagen und von der manchmal doch recht unsäglichen Fun-Splatter-Programmierung (die ja in der Mitternachtsreihe durchaus ihre Berechtigung hat) abgegangen wurde. Das mag schade für all die Besucher sein, die dem Comicbuchverkäufer aus den Simpsons nicht nur äußerlich ähneln, aber wir lassen uns doch lieber in die Beklemmung treiben. Im Keller liegen die Leichen, da gehen wir nicht zum Lachen hin.
Die Leidthemen: Gewalt unter Jugendlichen und gegen sich selbst
Und beklemmend wurde es mehrmals: die Leidthemen der Woche scheinen Gewalt von/gegen Kinder und gegen einen selbst gewesen zu sein. Die Stärke des Festivals ist es dabei, ähnliche Themen in ihrer unterschiedlichen filmischen Verarbeitung zu zeigen und den Zuschauer durch die kompakte Präsentation zwangsweise auf die verschiedenen Ausdrucksformen zu stoßen.
Kinder sind das vielleicht letzte Tabuthema, das der moderne Horrorfilm noch kennt. So sehr wie sich das FFF daran abgearbeitet hat, lässt aber schließen, dass auch dieses Tabu bald auf breiter Ebene fallen wird. Die hier aufgeführten Filme konnten aber in der Mehrzahl durchaus damit umgehen: „Eden Lake“ eröffnete das Festival mit einer „Deliverance goes Kids“ (oder besser „Chavs“, es spielt ja in England) – Story, verweigert sich konsequent einem Happy-End, einer Hoffnung, und kann letzten Endes durchaus reüssieren.
Daddy, daddy, daddy / Look at your son /
You might have loved me / But now I got a gun
Der ebenfalls aus England stammende „Mum & Dad“ greift dagegen ein ähnliches Thema (häusliche Gewalt und ihre Auswirkungen) in gänzlich anderer Art auf und bastelt eine absurde Farce, die überraschenderweise oft genug trotz wirklich drastischster Gewaltdarstellungen den richtigen Ton trifft. Ebenfalls aus Großbritannien kommt der neue Julian Richards Film „Summer Scars“, der in seiner britischen „Stand By Me“ Variante nach ordentlichem Beginn aber etwas den Faden verliert. Drei Filme aus England, die die Gewalt gegen oder unter Jugendlichen thematisieren: es scheint was im Wasser zu sein auf der Insel.
Selbstverstümmelung, ungeschnitten
Das zweite zentrale Thema der Woche war das innere Leiden und die Selbstverstümmelung. Am konsequentesten behandelte sicher „Downloading Nancy“ dieses Thema, auch wenn der Film selbst nicht durchgängig gelungen ist – mehr interessant als gut, da mit beträchtlichen Längen. Immer noch besser aber als „Dorothy Mills“, einer kruden Mischung aus „Der Exorzist“ und „Das Omen“, die die alte Schizophrenie-Regel im Film missachtet: bis zu drei Persönlichkeiten pro Darsteller gehen in Ordnung, spätestens ab der siebten inneren Persönlichkeit wird’s aber Quatsch. Da schon lieber der erstaunliche „Martyrs“ aus Frankreich. Arbeitet sich England gerade am Tabuthema „Gewalt gegen Kinder“ ab, scheint Frankreich seit Alexandre Ajas „High Tension“ sich entschlossen zu haben, Leinwände generell komplett rot einzufärben.
…und die Hände zum Himmel…
„Martyrs“ bedient sich drastischer Darstellungen (Kompletthäutungen, anyone?), die in diesem Jahr nur vom – natürlich ebenfalls – aus Frankreich stammenden „Inside“ übertroffen wurden. „Martyrs“ und „Downloading Nancy“ sind dabei schöne Gegensätze: wo letzterer mit den Mitteln des klassischen US-Independent-Kinos arbeitet und betont still erzählt (aber sich eben doch nicht dem Pathos verweigern kann), dreht „Martyrs“ alle Regler auf 11 und missachtet dabei sämtliche Regeln der Dramaturgie, was zumindest den Vorteil hat, dass hier Rezeptionsgewohnheiten am laufenden Band gebrochen werden – allerdings um den Preis, im Endeffekt zwei Filme statt einem zu erzählen.
Spieglein, Spieglein, an der Wand / Wo ist Jack Bauer in diesem Land?
Es bricht einem fast das Herz, wenn man auf dem gleichen Festival dagegen Alexandre Aja sehen muss, der – gemeinsam mit Gaspar Noé – fast allein dafür verantwortlich ist, dass so drastische Filme wie „Inside“ oder „Martyrs“ französische Exportschlager werden, und nun seine Seele an Hollywood verkauft hat. War sein „The Hills Have Eyes“ Remake zwar fragwürdig, aber handwerklich zweifellos gut gemacht ist „Mirrors“, sein US-Remake eines koreanischen Horrorfilms, ein in eine absurde Story eingebettetes Klischeefeuerwerk sondergleichen, das auch Aja als Regisseur beschädigt, da er es nicht vermag, „Spannung“ aufzubauen, sondern nur mit dem hässlichen kleinen Bruder „Schock“ arbeiten kann. Eine einzige Enttäuschung.
Dog Damme Afternoon
Die größte Überraschung des Fantasy Film Fests fällt dagegen völlig aus dem Rahmen: die „Dog Day Afternoon“ Reminiszenz „JCVD“ mit Jean-Claude van Damme in der Hauptrolle, der hier (um) sein Leben spielt.
Da sitz ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.
Eine wunderbar gefilmte Geschichte, die Originalität in der Referenzhölle beweist und – man mag es kaum glauben – mit einem hervorragenden van Damme als Pfund wuchern kann, der sich ironisch und schonungslos selbst spielt. So ist die vielleicht beeindruckendste Szene des ganzen Festivals auch ihre ruhigste: van Dammes zweiminütiger, ungeschnittener Monolog über sein eigenes Leben, seine Träume, seine Verfehlungen, seine Traurigkeit. Er zeigt eine Verletzlichkeit und Größe, vor der man nur den Hut ziehen kann. Herzblut statt Blut, sozusagen. (Christian Ihle)
Das Fantasy Film Fest im Popblog:
* My Favourite Movies mit dem FFF-Leiter
* Einzelkritiken: Eden Lake, JCVD, Mirrors
Es ist so schrecklich, ich hab das FFF einfach vergessen.
Und vorgestern musste ich feststellen, dass JCVD dort gelaufen ist. VERDAMMT!
Ich möchte diesen Film bitte sofort im Kino sehen!