vonChristian Ihle 04.11.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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denn da ist nichts über das glück, das wir suchen
an vergessenen orten in den häuserschluchten
und nichts über die lügen, die wir finden
und nichts über das leben, das wir leben

Wenn mir jemals eine meiner monatlichen Radiosendungen bei ByteFM am Herzen lag, dann diese. Eine Stunde über die größte verlorene Band, die dieses Land zu bieten hat: Michael Girkes Jetzt!

Als in einem Dorf am Ende der Welt, in Bad Salzuflen, Mitte der 80er begonnen wurde, in deutscher Sprache über Politik und Liebe zu singen, war die NeueDeutscheWelle über alle Errungenschaften der deutschen Punk-Szene hinweggerauscht und hatte sie diskreditiert. Michael Girke und seine Mitstreiter beim Bad Salzuflener Fast-Weltweit-Label suchten aufs Neue nach Ausdrucksmöglichkeiten im Pop, auf deutsch. Seine Kollegen, die meisten damals zu ihm als Gallionsfigur aufschauend, sollten in den Folgejahren beweisen, dass die deutsche Musik nicht tot war und in Hamburg die lebendigste, wichtigste Szene seit den Tagen des Ratinger Hofs in Düsseldorf initiieren. Die Sterne von Frank Spilker, Bernd Begemann solo und mit der Antwort, Bernadette Hengst als Die Braut haut ins Auge und natürlich der König von allen, Jochen Distelmeyer mit seinen epochalen Blumfeld, waren allesamt bereits auf dem Fast-Weltweit-Label versammelt, bevor sie sich aufmachten, von Hamburg aus Deutschland neu zu definieren.

Nur Michael Girke blieb desillusioniert zurück. Mitte der 80er brachte er Style Council und The Jam nach Deutschland, schrieb auf der ersten Split-LP ein antikapitalistisches Manifest und wollte den Sozialismus siegen sehen ohne dabei auf die Sloganhaftigkeit und das Hippietum eines – von ihm hochgeschätzten – Rio Reiser zurückgreifen zu müssen. Dem großen Peter Hein hatte er voraus, dass er dessen Schnoddrigkeit die Härte nahm und so über Politik wie Liebe gleichermaßen singen konnte. Und so zugänglich wie Girke zu Jetzt!-Zeiten war, wurde Jochen Distelmeyer erst wieder in seiner späten Phase – kein Wunder, dass er auf “Old Nobody”, dem Pop-Meisterwerk Blumfelds, den nie veröffentlichten Jetzt!-Song “Kommst Du mit in den Alltag” coverte.

Das Original – und viele andere Schätze aus dem Jetzt!-Umfeld, das meiste davon bis heute nur auf Cassette erschienen, vieles sogar niemals offiziell veröffentlicht – werden wir heute ebenso spielen wie wir auch einen Blick auf die Einflüsse Girkes wie seine Nachwirkungen werfen wollen.

Wir fordern mit Girke den Kopf von Ralph Siegel, fragen nach Hilde Knef, lesen ein sozialistisches Manifest vor, zeigen, warum Blumfeld die legitimen Wahrer des Jetzt!-Erbes wurden und schließen mit dem Weg von politischer zu persönlicher Utopie in drei Minuten und der Fackelweitergabe in Songform von Girke zu Begemann.

Wann: 17.00 Uhr – 18.00 Uhr
Wo: www.bytefm.de

Mehr zu Jetzt!:
* Mp3-Download der Originalversion von “Kommst Du Mit In Den Alltag” und Analyse der Unterschiede zur Blumfeld-Version.

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https://blogs.taz.de/popblog/2008/11/04/heute_radiosendung_die_deutsche_musik_ist_tot/

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