Neben all dem Schund, Schmutz, Crack und Cocaine war Pete Doherty immer für eine Sache – zumindest in den Zirkeln, die sich tatsächlich mit seiner Musik beschäftigten – berühmt: dass er Songs am Fließband schreiben kann und im Gegensatz zu vielen seiner Indierockkollegen gerade dann zur Hochform aufläuft, wenn er, nur mit einer akustischen Gitarre bewaffnet, seine neuesten Erzeugnisse mit einem Diktaphon aufnimmt und ins Netz stellt.
Doherty wurde so auch auf andere Weise zum öffentlichsten Star der Welt. Es waren eben nicht nur die Skandälchen, die Tag für Tag in geheuchelter Hysterie von der britischen Presse begierig aufgesogen wurden, sondern auch, dass er einen Blick über seine Schulter beim Songwriting zuließ. Gerade das unfertige hatte in der bis zum letzten Punkt durchgeplanten Musikindustriewelt einen besonderen Charme.
Wie groß ist nun die Aufgabe für den hochgeschätzten ehemaligen The Smiths – und Blur – Produzenten Stephen Street, diese Intimität bei Dohertys erstem Solo-Gehversuch auf eine richtig produzierte Platte zu übertragen! Gerade weil Street ja schon bei seiner ersten Doherty-Zusammenarbeit, dem zweiten Babyshambles-Album“Shotter’s Nation“, kläglich gescheitert war und zwar nicht nur in küstlerischer, sondern sehr wohl auch in kommerzieller Hinsicht. Es schien fast, dass eine allzu glatte, gar radiotaugliche Produktion wie sie vom professionellen Studioarbeiter Street bevorzugt wird, den Goldstaub von Dohertys Songskizzen wischt und sie in das grelle Tageslicht zerrt, das so wenig vorteilhaft für diese Lieder zu sein scheint, auf die doch die Sonne Arkadiens oder wenigstens das Kerzenlicht der Crackhöhle scheinen sollte.
Auch wenn „Grace/Wastelands“ zumindest die größten Befürchtungen entkräftet, zeigt sich doch wieder, dass Streets Herangehensweise eben gerade nicht den Zauber der Skizze liebt, sondern mehr den Glanz der Größe sucht. An mancher Stelle mag das auch gut funktionieren, wie bei dem an Scott Walker / Last Shadow Puppets (die Referenzgröße darf altersabhängig gewählt werden) mahnenden „A Little Death Around The Eyes“ oder dem Barpiano-nach-dem-Letze-Runde-Läuten-Stück „Sweet By & By“, in dem Doherty wie nie zuvor nach seinem alten Kumpel und partner-in-crack Shane McGowan klingt und er sich mit einer Träne im Auge dem guten, wilden Leben aus den frühen Libertines-Tagen erinnert. Hier kommt das „zuviel“ der Street-Produktion endlich zum Tragen. Das Piano klimpert vor sich hin, Graham Coxon spielt seine Gitarre, unvermittelt kommen trunkene Bläser um die Ecke getorkelt und doch hält Stephen Street den Karneval der in Nostalgie verlorenen Seelen fest und fügt aus vielen Einzelteilen ein größeres Ganzes. Natürlich ist „Sweet By & By“ mehr ein Pastiche, denn ein ernsthafter Song, aber dennoch strahlt er eine süßliche Leichtigkeit aus, die dem Album an anderer Stelle auch gut getan hätte. Erst bei dem letzten Song der Platte, bei „Lady Don’t You Fall Backwards“ ist all der Hall verflogen, die Streicher mussten gehen und Doherty ist ganz bei sich. Wenig Wunder, dass „Lady Don’t You Fall Backwards“ auch textlich einen der Höhepunkte des Album darstellt und fast wie ein prototypischer Doherty-Song wirken mag. Wir haben die Heroin-Referenz („Don’t let the horse chase the new deal away“), diese seltsame, nur von ihm so formulierte Poesie des Rinnsteins, der Crackhöhlen, die unverblümte Homoerotik, die Romantik des Abgefucktseins und – wunderbar – eine Liebesbezeugung von größter Lakonie, die dann doch wieder alle Herzen schmilzt und uns erneut mit dem Versprechen auf jenes eine große Album, das er immer noch in sich haben mag, auf leisen Tönen aus dem Album jagt:
Now tell me, if darkness comes
Then I will sing you a song
And I will love you forever
Or at least ‚til morning comes
Lady don’t you fall backwards
Come on and fall into my arms
(Christian Ihle)
Anhören!
* The Sweet By & By
* Lady Don’t You Fall Backwards
* A Little Death Around The Eyes (hier)
Weiterlesen über Doherty:
Teil 1: Time For Heroes, Anfang 2005
Teil 2: Up The Bracket, Oktober 2002
Teil 3: The Gang Of Gin. And Milk., April 2006
Teil 4: Why Did You Break My Heart?, Mai 2006
Teil 5: Anywhere In Albion, September 2006
Teil 6: König wider Willen, Februar 2007
Teil 7: Das Ende des Konjunktivs, Oktober 2007
Plattenkritiken:
* The Libertines – Best Of
* Babyshambles – Shotters Nation
Im Netz:
* Indiepedia
* Homepage
* MySpace
Bei aller Liebe, aber auf diese Weise an diesem Album Kritik zu üben, das ist doch ein bisschen zu hart auf den bröseligen Putz gehauen: Wenn du die Sessions hören will, dann steht dem ja nichts im Weg. Aber dass ein produziertes Album nicht nach umfallenden Mikrophonständern klingt, dass ist doch nun wirklich selbstredend. Einmal davon abgesehen, dass die souveräne Produktion nun sehr wenigen Lieden auch nur dann sehr wenig schadet und G/W zu einem der besten Alben des Jahres macht. Will sagen: Wer die Sessions nicht kennt und zudem keinen Amateurfimmel hat (mir erscheint deine Neigung zum Dilettantismus immer ein bisschen so, als würde man die Stuttgarter Kickers besser finden als Wolfsburg, eben gerade weil sie schlechter spielen – also absurd), dem hilft die Kritik nicht viel – dem gefällt das Album dafür umso besser.