vonChristian Ihle 27.06.2009

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Nachdem die Welt verrückt geworden ist und pünktlich zum Tod von jemandem in kollektive Trauer verfällt, den sie in den letzten 15 Jahren nur verlacht hat, ging das viel zu frühe Dahinscheiden von Steven Wells unter.

Steven Wells
(photo: IPC)

Wells war in den späten 80ern und frühen 90ern Journalist beim NME und – das darf man ohne Übertreibung festhalten – der beste Schreiber, den der NME in den letzten 25 Jahren beschäftigte.
Swells, wie er gerne aufgrund seiner ständigen Wut auf alles Falsche genannt wurde, prägte den NME wie kein anderer seit dieser Zeit. Er war ein überzeugter Linker, ein Kämpfer für die Gleichberechtigung, gegen Homophobie, für Punk und gegen weinerliche Indiekids. Legendär sind Auseinandersetzungen mit Stuart Murdoch von Belle & Sebastian oder seine Interviews mit den Manic Street Preachers, die er vor allen anderen auf den Thron hob, weil er wohl Brüder im Geiste entdeckte: linke Intellektuelle, die lieber der Welt auf die Fresse schlagen statt zögernd bedenkentragend daneben zu stehen. Als der NME noch dem Drogen-Gang-Lads-Style der Happy Mondays abfeierte, zerriss er die Band im gleichen Blatt wegen homophober Äußerungen in einem Interview. Auch vor der heiligen Kuh der britischen Indiekultur, Morrissey, hatte der Mann mit der ewig gedrückten Caps-Lock-Taste keine Angst und rieb sich in jahrelangem Kleinkrieg an Morrisseys manchmal zweifelhaften pronationalistischen Gesten und Aussagen.

Steven Wells verstarb an Krebs im Alter von nur 48 Jahren. Die Philadelphia Weekly hat seinen letzten, erneut so brillanten Artikel über seinen eigenen Tod nun veröffentlicht. Auch die vielen, vielen Kommentaren unter dem Artikel sind lesenswert, nicht nur weil die halbe NME-Journalistenmannschaft der letzten 20 Jahre Steven Wells hier eine letzte Ehre erweist.

Exemplarisch der Kommentar des ehemaligen NME-Chefs Steve Sutherland:

“When I became editor of NME in 1992, it was not exactly the most popular appointment ever. The staff were up in arms and off to work for the BBC en masse but those who stayed just grinned and said this fierce-looking, gap-toothed skinhead called Swells would have my guts and bollocks for garters. I must admit, the prospect scared me half to death.
Well, he did stay and as it turned out he was the most generous, professional, eternally adolescent writer I’ve ever had the pleasure to work with. As long as the subs didn’t fuck with his copy, he was a total gent. And they didn’t. They were too much in awe of him and his BIG SHOUTY CAPS.
Whether he was outing Happy Mondays for homophobia or goading vegetarians (one of his very favourite pastimes) Swells’ prose burned with a fierce energy which, much to his amusement, tons of wannabe scribes would try to emulate to get a job on NME.
And when they met him, he’d say, “Fuck off. Find your own voice.”
Good advice. Great man. Rage in peace.”

und von Mark Beaumont, dem vielleicht einzigen verbliebenen NME-Redakteur, der in den Fußstapfen von Swells wandelt, auch wenn er den großen alten Mann nicht erreicht:

“When I first started writing for NME, Swells would chastise me every time I wrote anything that wasn’t extreme enough. “You don’t ‘open the door’, you ‘kick the door into a splintering heap and leap through spewing AK razor-fire’, get it?” For him music journalism was all about over-statement, vitriol, attackattackattack. He was a total inspiration to me; almost everything I’ve written since has been done with the thought in the back of my mind ‘would Swells approve of this?’. The last of the great gonzos and a unique, inimitable legend (and Christ knows, I’ve tried). There’s a new star in Heaven tonight, and it’s kicking all the other stars in the bollocks for being mung bean-munching ning-nang-nong hippies and Bis fans.”

…aber kein Kommenar ist schöner als der einer Exfreundin, die Wells besser zusammenfasst als alle Nachrufe dieser Welt es könnten:

“Dear Swells. You romanced me for 5 years in the 90’s. You wooed me with ranting punk poetry and flowers. You wouldn’t let me listen to the Smiths in the house but then I wouldn’t let you play Napalm Death so it seemed like a fair swop. I wanted to hug you and throttle you in equal measure but you were without doubt the most funny, inspiring and downright decent bloke one could wish to meet, a huge champion and defender of women in general and the only boyfriend my Mum still asks about. God bless you – although you’d hate me for saying that. RIP Swells.”

Edit: Um zu zeigen, dass Swells Tod doch nicht völlig untergegangen ist, hat der britische Journalist Everett True eine Liste mit Steven-Wells-Tribute Artikeln hier veröffentlicht.

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https://blogs.taz.de/popblog/2009/06/27/rage_in_peace_steven_wells/

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kommentare

  • Vergesst Michael Jackson, DAS hat mich jetzt wirklich erschüttert. Auch wenn Swells in den glorreichen Tagen des NME oft genug die Bands zerrissen hat, die ich damals gehört habe, dann immerhin so stil- und humorvoll und auf den Punkt gebracht, dass es immer ein Genuss war, ihn zu lesen. RIP Swells, indeed.

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