vonChristian Ihle 04.08.2010

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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The Pogues in der Zitadelle Spandau, 4. August 2010

„I’m not searching for an answer. I haven’t even got a question.“

(Shane MacGowan, Q Magazine, März 2010)

Es ist ja immer eine Gratwanderung, ein Konzert der Herren Mark E. Smith, Pete Doherty oder Dan Treacy zu besuchen, auf dass man sich nicht in die Riegen derer einreiht, die nur kommen, um andere fallen zu sehen. Für niemanden gilt der Satz mehr als für den nun wieder mit den Pogues auf Tour befindlichen Shane MacGowan, dessen Alkoholkonsum in den letzten Jahrzehnten godzillahafte Ausmaße angenommen hat. Und, frei von der Leber weg, der erste Blick ist erschreckend. Shane MacGowan ist der weißeste, bleicheste Mensch auf dem Erdenrund. Nachdem Shane – euphorisch vom trotz miserablen Wetter zahlreich erschienenen Berliner Publikum begrüßt – auch noch die ersten Sätze zu sprechen versucht, ist es ein regelrechter Kampf, noch ein Konzert zu erwarten und nicht an die eine oder andere Szene wie diese zu denken:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=gLDcQbe5GO8[/youtube]
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Zum Glück ist die versiert aufspielende Band jederzeit in der Lage, Shane MacGowan ein musikalisches Rückgrat zum Anlehnen zu bieten und nach anfänglichem Schrecken gelingt es Shane auch tatsächlich, sich in das Konzert hineinzusingen. Von Vorteil ist dabei natürlich, dass die Pogues-Songs für die späten Stunden in der Kneipe geschrieben wurden, dass Bier- und Ginkonsum von diesen Liedern geradewegs eingefordert wird. So erwartet von MacGowan auch niemand gesangliche Höchstleistungen, zu denen er ohne Zweifel nicht mehr fähig ist. In gewisser Weise bleibt ein Pogues-Konzert so doch ein Freakzirkus, was im Grunde jammerschade ist, hat Shane MacGowan doch wunderbare Texte geschrieben.

Dass die Band zu den Klängen von The Clashs „Straight To Hell“ auf die Bühne kommt, mag in zweifacher Hinsicht pragmatisch sein. Einmal als anerkennendes Nicken an den Clash-Sänger Joe Strummer, der beim letzten Auftritt der Pogues in Berlin in den frühen 90ern den damals noch indisponierteren (und deshalb aus der Band geworfenen) Shane MacGowan als Sänger ersetzte, und zum Zweiten natürlich auch angesichts MacGowans heutigem Zustand. Aber im Grunde bleibt der bleichgesichtige alte Mann mit Hut dann doch im Herzen immer noch der Punk, dem einst auf einem Clash-Konzert ein Ohr abgebissen wurde, denn Chaos, das war’s:

Some people advertise margarine. Other people make ego-massaging charity records. *ckckckckkc* Punk was… it’s about freedom. And chaos.“

(Shane MacGowan, Q Magazine, März 2010)

The Pogues auf Tour:
* 03.08.2010 Berlin, Citadel Music Festival (Zitadelle)
* 04.08.2010 Hamburg, Stadtpark Open Air

Shane MacGowan Clash
(größer? Klick.)

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https://blogs.taz.de/popblog/2010/08/04/the_pogues_in_concert_fall_grace_god/

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kommentare

  • Ich wäre soo gern dabei gewesen.Habs irgendwie n wenig spät gerafft,dass sie touren.
    Bezüglich der Zähne,einfach mal nach Bildern googlen,“shane teeth“ oder so…es gibt ein Bild.Habe allerdings bisher auch nur dieses eine gesehne und es scheint nir auch als ob er sie nicht trägt..leider.

  • Naja, wenn man das Blog hier verfolgt, dann kann man mir kaum vorwerfen, dass ich den ganzen, ehm, Erratikern die Gefolgschaft verweigere, nur weil sie manchmal nicht ganz auf der Höhe sind, im Gegenteil.
    Es war kein schlechtes Konzert, aber man darf dann schon auch anmerken, wenn jemand offensichtliche Probleme hat.

  • also es ist sicher mehr als simpel, sich über das aussehen, den gang, die verpatzten einsätze zu den songs und die kunstpausen zu amüsieren. fakt ist aber eins: shane ist aktuell um längen besser drauf als in den 90igern…und er hat sich auch äußerlich mehr als mühe gegeben mit seinen kurzen haaren, fast frisch rasiert und mit jacket.. offensichtlich bedeutet ihm die aktuelle tour auf dem europäischen festland ne ganze menge.
    und gesanglich war er selten so gut drauf in den letzten 20 jahren. unrühmliche beispiele gäbe es zur genüge.
    der umzug von london, das ihn kaputt gemacht hat, nach irland hat ihm gut getan. drogen nimmt er ausser alkohol keine mehr.
    und was seine pausen beim konzert betrifft, dass war schon immer so. was über die jahre hinzu kommt sind sicher auch schlichtweg schmerzen als spätfolgen diverser knochen- und hüftbrüche.

    ich lese immer – nicht hier – dass shane neue zähne hätte…ich weiß nicht wer da von wem abschreibt, aber fakt ist, er hat sich letztes jahr welche machen lassen, aber fakt ist auch – er trägt sie nicht. und komisch ist, dass es kein einziges foto gibt, wo die imaginären zähne zu sehen sein sollen. jedenfalls nicht auf fotos der aktuellen tour….ich bitte um aufklärung…

  • shane hatte, so erzählt man sich, schon in den anfangstagen etliche hilfsmittel im hinteren, nicht einsehbaren bühnenbereich, die seine auftritte verlängerten. das wird heutzutage sicher nicht anders sein

  • Nein, das hatte ich auch überhaupt nicht gemeint. War von vornhereim in dem Sinn gemeint: damit Shane ein 90 Minuten Konzert durchsteht, geben wir ihm alle 20 Minuten eine Verschnaufpause von ein paar Minuten.

  • Klingt auf jeden Fall besser, weil so nicht der Eindruck entsteht, da hätte irgendwie unplanmäßig überbrückt werden müssen.

  • Danke für die Tracklist. Lass es mich so formulieren: die Stücke ohne Shane waren schon recht gleichmäßig verteilt, so dass ich schon den Eindruck hatte, das die durchaus strategisch so gesetzt waren, dass er sich zwischendurch etwas erholen kann. Aber mag mich da auch täuschen.

  • „Thousands Are Sailing“ war immer Phil Chevrons Song, und Spiders „Tuesday Morning“ stammt überhaupt aus der Zeit ohne Shane, und abgesehen von diesen beiden gab es nur noch ein (instrumentales) Stück, bei dem er nicht auf der Bühne war, und was hätte er dabei auch tun sollen? Finde die Formulierung oben („alle 20 Minuten musste Shane auch von der Bühne…“) insofern ein bisschen irreführend. Tracklist war in etwa:
    1. Streams of Whiskey
    2. If I Should Fall From Grace With God
    3. The Broad Majestic Shannon
    4. The Boys From County Hell
    5. A Pair Of Brown Eyes
    6. Tuesday Morning
    7. Kitty
    8. The Sunny Side Of The Street
    9. Repeal Of The Licensing Laws
    10. The Old Main Drag
    11. Body Of An American
    12. Greenland Whale Fisheries
    13. Thousands‘ Are Sailing
    14. Dirty Old Town
    15. Bottle Of Smoke
    16. The Sickbed Of Cuchullain
    Zugabe 1:
    17. Sally McLennan
    18. A Rainy Night In Soho
    19. The Irish Rover
    Zugabe 2:
    20. Poor Paddy
    21. Fiesta

  • alle 20 Minuten musste Shane auch von der Bühne, ausruhen wahrscheinlich. Die Band hat in der Zeit entweder ein Instrumental gespielt oder ein anderer die Leadvocals übernommen, z.B. bei „Thousands are Sailing“.

  • Ich kann mich noch gut an mein erstes Pogues-Konzert erinnern: Es war die letzte Tour der Band mit Shane MacGowan, zu Zeiten von „Hell’s Ditch“. In Lichtenfels … War ein brillantes Konzert und Mr. MacGowan legte sein Weizenglas nur selten aus der Hand. Auch ich selbst hatte mir auf der Hinfahrt von Nürnberg in die Provinz ein wenig Pogo-Mut angetrunken.

    Ich glaube, am allerbesten fand ich die letzten beiden Songs. Erst „Waltzing Matilda“ vom Album „Rum, Sodomy & The Lash“: 10 Minuten bierselig-schunkelnde Verbrüderung mit verschwitzten Holzfällertypen, Psychobillys und anderen Irren, bevor mit „Irish Rover“ die Hölle losbrach und ein letztes Aufbäumen den Folkpunk beendete. Joe Strummer und Spider Stacy am Mikrophon waren einfach kein adäquater Ersatz, finde ich.

    Übrigens: Habe mir erst neulich zwei Original-Vinyls der Pogues gekauft, jetzt ist die Alben-Sammlung komplett. Hätte das Konzert in Berlin gern erlebt, auch wenn ich nicht fassen kann, wie kaputt Shane MacGowan aussieht.

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