vonChristian Ihle 14.12.2010

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Nachdem in den Kommentaren unter unserer Dekaden-Top-50-Filmliste immer wieder gefragt wurde, warum so wenige deutsche Filme genannt wurden, haben wir uns noch einmal zusammengesetzt und die 15 besten deutschsprachigen Filme des Jahrzehnts gewählt (wir beschränken uns also nicht auf Deutschland als Herkunftsland allein, sondern wollen auch die cineastischen Glanzleistungen Österreichs mit erwähnen).

Aufmerksame Leser kennen natürlich die obere Hälfte der „deutschsprachigen Dekaden Top 15“ bereits, denn selbstredend sind jene in den Top 50 bereits benannten Filme auch in diesen speziellen Länder-Top-15 wieder zu finden…

15. Immer nie am Meer (Regie: Antonin Svoboda, Österreich 2007)

Als bekannt wurde, dass das Satiriker-Duo Stermann & Grissemann und der norddeutsche Komiker Heinz Strunk einen gemeinsamen Film machen, war die Marschrichtung eigentlich schon vorgegeben. Heiter-groteske Low-Budget-Tragikomödie, so viel war klar. Baisch, ein Geschichtsprofessor, holt nach der Eröffnung eines Buch- und Weinladens seiner Fast-Ex-Frau seinen stark angetrunkenen Schwager Anzengruber ab. Auf dem Rückweg durch die österreichische Provinz sammeln sie den Alleinunterhalter Schwanenmeister auf, der mit seinem Auto liegengeblieben ist. Im ausgemusterten Dienstwagen des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim brettert das ungleiche Trio durch den Wald – und kommt unglücklich vom Wegesrand ab.

Eingeklemmt im mit Panzerglas ausgerüsteten Wagen lassen sich weder Türen noch Scheiben öffnen. Ein Karton Sekt, eine Schüssel Heringssalat und ein Päckchen Kekse – das ist alles, was den Insassen bleibt. Das – und eine gehörige Portion Wahnsinn, die sich schon bald Bahn bricht. Motor des Chaos ist, wie sollte es auch anders sein, Heinz Strunk, dessen Einwürfe und Monologe zwischen Idiotie und Ekelhaftigkeit pendeln. Was das Kammerspiel dabei nie außer acht lässt: Komik, selbst die abwegigste, kann und muss sich immer an der Realität reiben. Das tut „Immer nie am Meer“ aus dem Jahr 2007 auf vorzügliche Weise. Ein Film für Liebhaber der Groteske mit den Mitteln des Kabaretts. (RH)

14. Was nützt die Liebe in Gedanken (Regie: Achim von Borries, Deutschland 2004)

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Eigentlich hätte August Diehl den Europäischen Filmpreis 2004 viel eher verdient gehabt. Und nicht Daniel Brühl, der wohl für den Rest seiner Filmkarriere den pausbäckigen Bub spielen wird, der er anscheinend nun mal ist. Aber August Diehl? Meine Güte, was für eine Präsenz hat dieser durch und durch weltmännische Schauspieler in diesem rundherum gelungenen Streifzug durch die goldenen Zwanziger!? „Was nützt die Liebe in Gedanken“ zeigt ihn formvollendet – bissig, arrogant, wehmütig, melancholisch, tapfer und heroisch.

Natürlich kann man Achim von Borries, dem Regisseur, vorwerfen, allzu stiefmütterlich mit einer Zeit umzugehen, in der bereits wieder (oder: immernoch) die Marschstiefel über den Asphalt klapperten. Aber ihn interessiert etwas anderes – die puderrote Unschuld der beiden Gymnasiasten Paul Krantz und Günther Scheller nämlich. Wenn die Weimarer Abendsonne die Felder dunkelgelb taucht, dann steigern sich die beiden Pubertären in dramatische Liebesschwüre und fatalistische Gedankengänge. Und am Ende, wenn alles so grausam endet, weiß der Betrachter: es gibt wenig Filme aus dem deutschsprachigen Raum, die eine solche Dringlichkeit besitzen. Und wenig Schauspieler wie August Diehl, die einen Film so in ihren Hände halten und glänzen lassen. (RH)

13. Das weiße Rauschen (Regie: Hans Weingartner, Deutschland 2001)

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Wenn Daniel Brühl die Kino-Kassiererin anbrüllt, weil er sich im Film geirrt hat. Wie er völlig besessen von der Idee, bespitzelt zu werden, sein Zimmer mit Pappkartons von der Außenwelt isolieren will. Als er kurz nach dem Absetzen der Medikamente zum ersten Mal wieder den
Regen auf seiner Haut spürt. Da war Daniel Brühl ein viel versprechender Schauspieler. Er und der österreichische Regisseur Hans Weingartner („Die fetten Jahre sind vorbei“) haben es geschafft, eine Geisteskrankheit in Bild und Ton greifbar zu machen, die eigentlich für „normale“ Menschen unvorstellbar ist. Handkamera und die Regel, dass diese nur natürliche Positionen einnehmen darf, kombiniert mit improvisiert wirkender Schauspielerei und einer Vertonung, die durch Mark und Bein geht (die Stimmen, die Lukas hört, erscheinen fast räumlich) geben einen kleinen Einblick in den Horror, den die Paranoide Schizophrenie mit sich bringt. Am besten ist jedoch der Schluss des Films. Der nämlich will Lukas nicht zwingen, sich mittels lebenslangem Tablettenkonsum in die „normale“ Gesellschaft einzugliedern, sondern schlägt ihm eine andere Lösung vor. Welche das sein kann, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen. Und überhaupt: Was ist schon normal? (SW)

12. Yella (Regie: Christian Petzold, Deutschland 2007)

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Filme der „Berliner Schule“ sind leise, still, sperrig, oft dialogarm – und manches mal vielleicht das Stückchen zu verschwiegen, um mitreissen zu können. Nicht so Christian Petzolds „Yella“, der zwar alle Checkboxen der Berliner-Schule-Filme genüsslich ankreuzt, aber immer eine Dringlichkeit entwickelt, die manchen Filmen seiner Zeitgenossen fehlt. So ist die rätselhafte, verwickelte Geschichte um Yella, ihren verzweifelten Ehemann und ihre Flucht aus ostdeutscher Einöde in die Arme des westdeutschen Kapitalismus (ein fabelhafter Devid Striesow!) mysteriös, fesselnd und letzten Endes auch: erstaunlich, denn wie meisterhaft erweckt Petzold ohne jeden Aufwand eine bedrohliche Atmosphäre, die einem David-Lynch-Film gleicht! (CI)

11. Heaven (Regie: Tom Tykwer, Deutschland 2002)

In der Mitte des Films wird es für kurze Zeit ganz schwarz bis wir mit unseren beiden Flüchtenden Cate Blanchett und Giovanni Ribisi endlich im Zug den scheinbar endlosen Tunnel verlassen, uns vom Moloch Stadt mit Drogen, Rechtsbeugung und Korruption verabschieden und ins sonnendurchflutete, mit weichen Filtern gezeichnete italienische Hinterland fahren. Zuvor wurde Cate Blanchett aus Verzweiflung zur Terroristin und Giovanni Ribisi aus Liebe zum Verräter, danach sehen wir die beiden mit kurzgeschorenen Haaren einer Illusion von Himmel entgegenfliegen. Hier war Tom Tykwer das letzte Mal ganz bei sich, hat in diesem in Italien spielenden, mit amerikanischen Hollywoodstars besetzten, nach einem Buch des polnischen Wahlfranzosen Krzysztof Kieslowski gedrehten Film die Brücke von europäischem Arthousekino zu US-Melodram geschlagen, auf dass man hoffte, er könnte tatsächlich auf beiden Seiten des Atlantik reüssieren. Es wurde nichts daraus, Fatih Akin stahl ihm in den Folgejahren die Schau und Tykwer kämpft nun darum, mehr als ein Auftragsarbeiter zu sein. Aber wir haben immer noch „Winterschläfer“, „Lola Rennt“ und eben „Heaven“. Das reicht für ein Regieleben, dreifach. (CI)

10. Der Alte Affe Angst (Regie: Oskar Roehler, Deutschland 2003)

Neben all den vielbesungenen großen deutschen Regisseuren Akin, Petzold oder Tykwer wird Oskar Roehler immer zu Unrecht vergessen. Dabei ist er vielleicht sogar der Wagemutigste von allen. Genregrenzen kennt er nicht, Trash, Satire und emotionales Extremdrama sitzen bei ihm Seit‘ an Seit‘. Und für jeden missglückten „Jud Süß“ dreht Oskar Roehler eben einen „Alten Affen Angst“ – einen Film wie eine Faust im Magen, einen emotionalen Horrorfilm über eine Beziehung mit Selbstzerstörungsfunktion, über zwei Menschen die im Jetzt einfach nicht mehr funktionieren und daran zu Grunde gehen, dabei den anderen zu Grunde richten. Mit „Der Alte Affe Angst“ war Roehler auf einer emotionalen Ebene so nahe an Houellebecqs Romanmeisterwerken „Ausweitung der Kampfzone“ und „Elementarteilchen“, dass man sich nur verwundert fragen kann, warum ausgerechnet seine „Elementarteilchen“-Verfilmung dann doch wieder ein Beinahedesaster war. Aber das ist eben auch Roehler: du weißt nie was du bekommst und auf Sicherheit können die anderen spielen, Roehler spielt lieber mit dem Feuer. (CI)

9. Revanche (Regie: Götz Spielmann, Österreich 2008)

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Ja, es gibt sie noch, die Autorenfilme. Dieser hier kommt, wie so viele guten Filme in letzter Zeit, aus Österreich. Nicht unbedingt eine Voraussetzung für gute Qualität, aber doch erwähnenswert: „Revanche“ war 2009 als bester nicht-englischsprachiger Film für den Oscar nominiert. Warum er ihn nicht gewonnen hat, verstehe wer will. „Wer ist schuld, wenn dein Leben anders verläuft, als du es willst?“ fragt sich die Geschichte über einen Ex-Knacki, einen frustrierten Provinzpolizisten, eine gelangweilte Ehefrau und eine ukrainische Prostituierte. Letztere wird von dem Polizisten versehentlich erschossen, nachdem ihr Lover, der Ex-Knacki, für ein glückliches Leben zu zweit eine Bank überfallen hat. „Revanche“ ist ein meditatives Kammerspiel über Schuld, Rache und Selbstjustiz. Beste Idee: Der Ex-Knacki beginnt eine nächtliche Affäre mit der Ehefrau des Provinzpolizisten, sprich: der Frau des Mörders seiner Freundin. Es ist mitunter etwas anstrengend, den Antihelden dabei zuzusehen, wie sie versuchen, diesen ganzen Schlamassel zu überstehen. Aber auf eine sehr positive Weise anstrengend.

8. Requiem (Regie: Hanns Christian Schmid, Deutschland 2006)

Ausgerechnet ein Film über Teufelsaustreibungen durfte einem im Jahr 2006 den Glauben an das deutsche Erzählkino zurückgeben. Wobei Requiem – anders als die sensationsheischende US-Version „Der Exorzismus von Emily Rose“ aus dem Vorjahr – mehr Familien- denn Exorzismusdrama sein will. Auf einer wahren Begebenheit beruhend erzählt die angenehm diskrete Charakterstudie vom Martyrium der katholischen Studentin Michaela (perfekt besetzt: Sandra Hüller), die gefangen zwischen Tradition und Moderne ihren Platz in der Gesellschaft sucht und nur die Hölle der schwäbischen Provinz in den 70er Jahren findet. Ähnlich wie in Hanekes Das weiße Band lebt auch hier der Antichrist auf dem Land. Trotzdem ist Requiem nicht als Fallstudie eines religiösen Wahns, sondern eher als persönlicher Befreiungskampf der Hauptfigur angelegt. Das kann man Hans Christian Schmids eindrucksvollem Film gar nicht hoch genug anrechnen. (KP)

7. Nacktschnecken (Regie: Michael Glawogger, Österreich 2004)

Mit was man es beim Konsum von „Nackschnecken“ zu tun bekommt, erfährt man sehr schnell mit einem Blick auf die zugehörige Internetseite. Dort findet man nicht nur die Ankündigung: „Ein bewegender Film über alle großen Themen des Lebens: Sex, Liebe, Eltern, Autos & Wildtiere“, sondern auch viel versprechende Zitate zu dem österreichischen Trash-Streifen. Detlev Buck: „Die Covette ist in mir.“ Boris Becker: „Geil.“ Captain Spock: „Erstaunlich.“ Uriah Heep: „Groovy.“ Karl Schranz: „Pfui.“ Victor Hennemann:„Geh bitte, lauter schiache Hasn.“ Dieser Film ist kein Film, sondern einer der besten österreichischen Witze, die es jemals gab. „Bis jetzt haben wir nix geschafft, was irgendwie irgendwas gewesen wäre. Geschweige denn eine Großaufnahme.“ Student sein ist nicht leicht, wenn man pleite ist. Deshalb wollen Johann, Max und Mao (der „Zwitter“ aus „Der Knochenmann“) mit einem selbst gedrehten Pornofilm das große Geld machen. Sie verpflichten zwei Studentinnen, die mit den beiden Jungs vor der Kamera „agieren“ sollen, doch das Ganze artet im völligen Chaos aus.

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Ein derber („Und dann pudert jeder mit jedem. Ficktion buchstäblich“), und so bizarr (unter anderem taucht ein Gepard als Leitmotiv auf) komischer Spaß, dass er schon fast genial ist. (SW)

6. Nichts Bereuen (Regie: Benjamin Quabeck, Deutschland 2001)

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Der kleine deutsche Low-Budget-Film „Nichts Bereuen“ sollte der Beginn einer Filmkarriere von gleich zwei seiner Hauptdarsteller sein: Daniel Brühl (der ungefähr zeitgleich auch in „Das Weiße Rauschen“ reüssierte) und Jessica Schwarz. Dass von vielen deutschen Filmen der letzten 10 Jahre eben doch ein kleiner Jugendfilm wie Nichts Bereuen in der Erinnerung bleibt, ist dem klischeefreien Buch (Hölzemann & Quabeck) sowie Quabecks fein nuancierter Inszenierung zu verdanken. Selten erreicht ein Film über die Adoleszenz, in dem nichts wilderes passiert als die eine große Liebe und die Verzweiflung daran soviel Realitätsnähe und emotionale Ehrlichkeit. Wer sich hier nicht in Jessica Schwarz‘ Luca verliebt, war nie jung. (CI)

5. Herr Lehmann (Regie: Leander Haußmann, Deutschland 2003)

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Aus Leander Haußmann wird kein wirklich großer Filmregisseur mehr. Fast alle Filme verheddern sich immer wieder in dürren Plots („Robert Zimmermann…“), platter Nostalgie („Sonnenallee“) oder einfach schlechten Schauspieler-Ensembles („Dinosaurier“). Trotzdem hat Haußmann ein großes Herz und eine tiefe Zuneigung zu seinen Figuren. Besonders deutlich wird das bei „Herr Lehmann“, der Umsetzung des Bestsellers von Sven Regener. Christian Ulmen ist perfekt besetzt, das Setting stimmt bis ins Kleinste und selbst der schnodderige Berliner Vor-Wende-Humor kommt perfekt zur Geltung. Vielleicht der einzig wirklich gute Haußmann-Film und schon jetzt ein Klassiker. (RH)

4. Alle Anderen (Regie: Maren Ade, Deutschland 2009)

Man kann es nicht oft genug sagen: Maren Ade ist die deutsche Kino-Entdeckung der letzten Dekade. „Alle Anderen“, ihr Zweitwerk, ist ein fast zweistündige Beziehungsmosaik, das sich durch scharfe Intelligenz auszeichnet und schwerelos alle Klischees umschifft, für die der deutsche Beziehungsfilm so berühmt-berüchtigt ist. Beide Hauptdarsteller, Birgit Minichmayr als Gitti und Lars Eidinger als Chris, haben so gar nichts von der aufdringlichen Art einer Katja Riemann oder dem enervierenden Gestus eines Heiner Lauterbach. “Alle Anderen” ist das Kino einer neuen Generation deutscher FilmemacherInnen… (RH)

3. Der Knochenmann (Regie: Wolfgang Murnberger, Österreich 2009)

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Jetzt ist schon wieder was passiert. Und immer wenn es passiert, ist zufälligerweise der Brenner in der Nähe, um als muffiger, lebensmüder und bis an die Schmerzgrenze zynischer Privatdetektiv den Mörder zu finden. Wie ist die Kinowelt eigentlich bis zum Jahr 2000 ohne das österreichische Dreiergespann Wolf Haas (von ihm stammen die Buchvorlagen), Wolfgang Murnberger (Regisseur) und Josef Hader (spielt den Brenner) ausgekommen? Mit seinem dritten Brenner-Film hat das Trio dem Ganzen die Krone des schwarzen Humors aufgesetzt. „Der Knochenmann“, gespielt von Josef Bierbichler, bringt um, was ihm nicht in den Kram passt und lässt die Leichen praktischerweise von seinem Häcksler für Schlachtabfälle zerkleinern. Antiheld Brenner versucht aus Langeweile, den Fall zu lösen – er hat eh nichts Besseres zu tun. Er betrinkt sich ordentlich, verliert einen Finger und sein Herz und enttarnt am Ende des Maskenballs einen Zwitter. Derbste Szene des Films: Das mitternächtliche Gulasch, das der Brenner vor den wohlwollenden Augen des Wirts verspeist. Es enthält kein Tierfleisch. Österreich, bitte gib uns mehr von davon! (SW)

2. Das weisse Band – Eine deutsche Kindergeschichte (Regie: Michael Haneke, Deutschland 2009)

das weiße band

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein Satz, der auf „Das Weisse Band“ nicht zutrifft. Ein bisschen Frieden sucht man in dem protestantischen Dorf in Norddeutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges vergeblich. Eine schauerliche Mordserie durchzieht das nur scheinbar friedliche Dorfleben, in dem die Kinder ihre Eltern noch mit „Herr Vater“ ansprechen und jedes kleinste Vergehen sofort sanktioniert wird. Gegen
Hanekes (wunderbar fotografierte) Schwarz/Weiß-Welt würde selbst noch der Katholizismus wie ein farbenfroher Kindergeburtstag wirken. Denn ähnlich wie Lars von Trier zuvor in „Dogville“, benutzt auch Haneke die Dorfgemeinschaft als Mikrokosmos für seine (durchaus auch universal lesbare) beklemmende Gesellschaftsstudie, an der sich retrospektiv die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges ablesen lassen. Und ähnlich wie Lars von Trier sieht auch Haneke im Menschen nicht das Schlimmste, sondern das allerschlimmste. Ein faszinierender Film über den Kreislauf von Gewalt und Ursache. Auch ohne Oscarauszeichnung, Hanekes großer Wurf. (KP)

1. Gegen Die Wand (Regie: Fatih Akin, Deutschland 2004)

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Mit dem Auto gegen die Wand, mit der Rasierklinge ins Handgelenk, mit der flachen Hand ins Gesicht, mit dem Messer in die Brust. Mit diesem Film hat Fatih Akin Emotionen ins deutsche Kino gebracht, die so vorher nicht existiert hatten. Alles an diesem Film ist extrem: die Liebe zwischen Sibel (Sibel Kekilli) und Cahit (Birol Ünel), das Leben in Hamburg-Altona, die hybride Existenz zwischen nichtrichtigtürkisch und nichtrichtigdeutsch, der Gegensatz zwischen Elternliebe und Freiheitsdrang.
Auf Betroffenheitsgeschichten hat Fatih Akin allerdings keinen Bock – er haut uns das komplizierte Leben der zweiten Generation von Deutschtürken lieber in Form einer kompromisslosen, körperlich spürbaren und knallharten Liebesgeschichte um die Ohren. Es ist ein positiver Schmerz. (SW)

gegen die wand

Die ganze Liste der 50 besten Filme der letzten Dekade findet man hier: KLICK

(Texte: Silvia Weber, Robert Heldner, Katja Peglow, Christian Ihle)

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https://blogs.taz.de/popblog/2010/12/14/die_besten_deutschen_filme_der_dekade_platz_15_1/

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kommentare

  • @Simbion: Mein Beileid.

    Tatsächlich finde ich die Liste in der Form ganz gut. Nur „Herr Lehmann“ finde ich persönlich zu hoch eingeordnet. Das kann aber auch einfach daran liegen, dass ich den Ulmen fürchterlich unsympatisch finde und ihn in eigentlich jedem Film für eine Fehlbesetzung halte.

  • Deutsche Filme könnten meinetwegen aussehen wie Gisele Bündchen und mir am Steak & Blowjob-Day noch zusätzlich die 6 Richtigen mit Zusatzzahl vorhersagen, und ich würde dennoch nie wieder meine Augäpfel auch nur für Sekunden in ihre Richtung lenken. Dafür haben Sie mir in meiner verletzlichen Filmannährungsphase im Teeniealter zuviel Leid angetan, und tun es in Form der Mediengeilheit ihrer zu 100% unsympathischen Protagonisten noch heute.

    Lieber Michael Bay als Fatih Akin.

  • Spontan fehlt ‚So glücklich war ich noch nie‘, ‚Sommer vorm Balkon‘, ‚Halbe Treppe‘. Und eben ‚Die fetten Jahre sind vorbei‘. Noch davor.

    @Christian Ihle: Den Satz über ‚Good Bye, Lenin!‘ (ja, harmloser Spaß wie ‚Sonnenallee‘ oder ‚NVA‘, und, ja, der Amélie-Soundtrack schnöde wiederverwertet) würde ich genau so mit ‚Das Leben der Anderen‘ stehen lassen, der doch viel, viel ärgerlicher war – weil er schlicht, das erzählt, was die Leute hören wollen, ein Märchen, das vom guten Stasi-Spitzel – da ist die ironisch gebrochene Wirklichkeit (mit Jürgen Vogel in einem Vogelkostüm!! und Yann-Tiersen-Musik) doch viel, viel erquicklicher…

  • Ach Gotterchen, da bin ich aber ganz bei Christian Ihle, Das Leben der Anderen gerne noch, aber Good Bye Lenin und Alles auf Zucker, nee danke.

    Was mir noch fehlt, auf den ersten Blick, auch wenn der sicher eher im kleinen Rahmen lief: Katze im Sack.

    Ist aber auch nur (und da bin ich froh drum) meine außenseiter Meinung zwar mit Qualitätsanspruch aber ohne internationale Gültigkeit.

  • Meine deutschen Topfilme:

    1) Die fetten Jahre sind vorbei (2004)
    2) Das Leben der Anderen (2006)
    3) Wer früher stirbt ist länger tot (2006)
    4) Stratosphere Girl (2003)
    5) Allein (2004)
    6) Stiller Sturm (2001)

  • @Ihle: Wie gesagt, eine echte Expertise kann die Liste ohne die genannten Schwergewichte nicht sein.

    „Das Leben der Anderen“ ist nach meiner Einschätzung einer der 5 besten dt. Filme aller Zeiten.

    „Good Bye Lenin“ hat den Dt. & Europäischen Filmpreis abgeräumt und war zudem ein Kassenschlager (in mehreren Ländern).

    Wenigstens liegt die Liste mit „Gegen die Wand“ und „Das weisse Band“ in den oberen Rängen recht gut.

  • Mit Das Leben der Anderen hätte ich leben können, die Anderen (Jurymitglieder) eher nicht.

    Aber Good Bye Lenin ist doch rührseliger Ostalgiequatsch, im besten Fall eine Laune der Geschichte, ein überraschender Erfolg über den alle froh sein können und nun den Mantel des Schweigens breiten sollten.

  • Auweija,

    eine Top-Film-Liste ohne:

    1. Das Leben der Anderen
    2. Good By Lenin
    3. Alles auf Zucker

    ???

    Eine triste, karge Welt muss das in den Herzen und Köpfen der tazler sein. Zum Glück ist die Liste nur eine Außenseiter Meinung ohne Qualitätsanspruch oder internationale Gültigkeit ….

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