vonChristian Ihle 23.11.2012

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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1. Der Film in einem Satz:


Das wohl ambitionierteste Filmprojekt außerhalb Hollywoods ever.


2. Darum geht‘s:


Sechs Geschichten, die in sechs verschiedenen Zeitaltern spielen, deren Charaktere aber immer wieder von den gleichen Schauspielern dargestellt werden. Dabei streifen wir 1849, die 30er wie 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die Londoner Jetztzeit, eine dystopische Zukunft und eine, tja, Zukunft nach der Zukunft. Tom Hanks, Halle Berry, Ben Whishaw, Hugh Grant und Jim Broadbent sind die vertrauten Gesichter, die uns durch die Zeiten leiten sollen – oder am Ende uns vielleicht auch einfach nur mehr verwirren, weil nie so recht klar wird, ob es einen in sich logischen Zusammenhang gibt, dass verschiedene Charaktere von ein und demselben Schauspieler dargestellt werden.



(Quelle: Cinemablend, Vergrößern? Klick!)


Vielleicht ist Cloud Atlas aber auch gar nicht als Nolan’sches Labyrinth-Movie zu verstehen, sondern versucht sich vielmehr daran, Kurzgeschichten filmisch parallel zu erzählen, so viele Jahrhunderte auch zwischen ihnen liegen mögen.
Und das ist auch tatsächlich die größte Stärke des Films: wenn man sich darauf einlässt, in einem regelrechten Flow, den man SO tatsächlich noch nie im Kino gesehen hat, von einer Geschichte in die nächste und nächste, und wieder zurück, und dann nach vorne, und dann wieder seitwärts gespült zu werden ohne im Kopf die ganze Zeit nach möglichen Querverbindungen, Lösungen oder Meta-Bedeutungsebenen zu suchen, dann kann man Cloud Atlas als filmische Meisterleistung genießen.


Dass bei tieferem Nachdenken nicht allzu faszinierende Aussagen („alles hängt mit allem zusammen“, „jede Aktion führt zu einer Reaktion“, „Unterdrückung ist scheiße“) diesem Irrsinns-Konstrukt zu Grunde liegen, mag man aufgrund des Wagemuts und des Wahnsinns, der hier von den Wachowski-Geschwistern und Tykwer an den Tag gelegt wurde, verzeihen. Sie teilen ein bei weltberühmten Regisseuren kaum zuvor gesehenes, brüderliches Verständnis von einer gemeinsamen Geschichte und stellen dabei auch noch den teuersten Film, der jemals als Independent-Produktion außerhalb Hollywoods realisiert wurde, auf die Beine.





Zwei Sachen faszinieren besonders: erstens ist der oben beschriebene Flow von Geschichte zu Geschichte zu Geschichte (und wieder zurück) nie störend, sondern saugt den Zuschauer in diese Geschichten und zweitens gelingt es Tykwer und den Wachowskis rätselhafterweise sogar, völlig verschiedene Genres und die damit einhergehenden Stimmungen in einen einzigen, in sich atmosphärisch durchaus schlüssigen Film zu integrieren. Da steht die dystopische matrix-esque Zukunftsvision gleichberechtigt neben einer Altherren-Screwball-Comedy, das gaye Liebesdrama neben der Meuterei-auf-der-Bounty-Abenteuer-Homage, die Esoterik-Ethno-Post-Zukunft neben einem 70ies Politthriller. Dass der Film daran nicht zugrunde geht, ist die eigentliche Überraschung.

Dass wir Zuschauer mit parallel erzählten Geschichten oder liegen gelassenen Handlungsfäden, die Stunden später wieder aufgenommen werden, kein Problem haben, beweist der Erfolg von US-Serien wie Mad Men mehr oder weniger wöchentlich. Dass „Cloud Atlas“ uns aber dazu bringt, sechs verschiedene Genres auf einmal anzuschauen und uns minütlich einem völlig anderen emotionalen Angriff aussetzt, das ist das Bemerkenswerte.


3. Der beste Moment:


Eigentlich verbietet es sich, bei diesem Filmkonstrukt einzelne Stories hervorzuheben, aber die Revolution in der Matrixzukunft ist die fesselndste Geschichte mit einer beeindruckenden Doona Bae, wohingegen die wildchargierenden Tom Hanks als Cockney-Gangster-Bestsellerautor und Jim Broadbent als sein „komischer“ Verleger so viele Fremdschäm-Momente bereithalten, dass es im Nachhinein schon wundert, warum Hanks es bei Wetten Daß? nicht angemessen fand, mit einer Pandamütze auf dem Kopf Markus Lantz um sich herum sackhüpfen zu sehen. Mehr Quatsch als in dieser Filmepisode musste er da auch nicht machen…





Schön dagegen die subtil eingebauten Gender- und Geschlechtsthematiken, die natürlich aufgrund Lana Wachowskis Historie an Bedeutung gewinnen: wie hier Schauspieler ihre Geschlechter wechseln und darum eben kein Aufhebens gemacht wird, das ist tatsächlich so fortschrittlich, wie es eine Hollywood-Produktion vielleicht nicht hätte sein dürfen.



4. Diese Menschen mögen diesen Film:


Wer episches Erzählen und wagemutigen Wahnsinn schätzt und dafür ein wenig Nachsehen hat, wenn der ganze Aufwand sich am Ende doch nicht so ganz auszahlt.


* Regie: Tom Tykwer & Lana + Andy Wachowski
* imdb

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