In einer neuen Reihe wollen wir der Renaissance des TV-Serien-Formats Tribut zollen und einige der außergewöhnlichsten Serien in Tiefe vorstellen. Wir versuchen dabei weitestgehend spoilerfrei zu bleiben (hier erfährt niemand den Mörder von Laura Palmer!).
Um was geht es?
Der dänischen Polizistin Sarah Lund mag es an sozialer Kompetenz fehlen, aber sie kann sich geradezu obsessiv in einen Fall verbeißen. Als in Staffel 1 ein junges, unbescholtenes, beliebtes Mädchen vergewaltigt und ermordet aufgefunden wird, stellt Lund mehrfach Kopenhagen auf den Kopf, um den Mörder zu finden. Es folgen 20 Episoden Tätersuche, die Spannung für europäische Fernsehkrimis neu definieren.
Die Staffeln 2 und 3 sind jeweils 10 Einstünder lang und spielen im Umfeld der Armee (2) und dem großindustriellen Komplex (3).
Was macht die Serie so außergewöhnlich?
Jede „The Killing“ – Staffel ist im besten Sinne ein einziger, langer Film. Es geht strikt nur um einen Fall, der im Laufe der kommenden Folgen (hoffentlich) geklärt wird. Dabei ist die Struktur aller Killing-Staffeln immer auf eine Mehrfachperspektive angelegt: es gibt neben der prozeduralen Polizeiperspektive immer den Blick der Opfer sowie die Einbettung in „das große Ganze“, vulgo Gesellschaft & Politik mit all ihren Restriktionen, Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten. Diese Dreifachperspektive macht „The Killing“ zu einem außergewöhnlich vielschichtigen Krimi, der – lassen wir uns hier nicht täuschen – seinen Reiz dennoch vor allem aus einem klassischen Whodunnit bezieht. Nirgendwo mehr als in Staffel 1, in der gefühlt halb Kopenhagen der Mörder sein könnte und auf dem Drehstuhl des Verdächtigensessels im Polizeirevier Platz nehmen darf.
Diese erste Staffel ist damit natürlich auch nicht weit entfernt von der Grundprämisse von David Lynchs ewiger TV-Krone „Twin Peaks“: auch dort wird das beliebte, unbescholtene Mädchen Laura Palmer ermordet aufgefunden und die Suche nach dem Täter ist Spannungsfernsehen par excellence. Doch im Gegensatz zu „Twin Peaks“ ist „The Killing“ straight erzählt, hier tanzen keine Zwerge rückwärtssprechend durch Träume. Wohl auch, weil alle viel zu erschöpft sind, um überhaupt noch zu träumen. Die Charaktere, beginnend mit der verhärmten Hauptfigur Sarah Lund, arbeiten sich an den Widrigkeiten des täglichen Lebens im ewig grauen Kopenhagen ab, sind beinah unfähig zur Kommunikation und schon gleich gar nicht geeignet für Konzepte wie Liebe oder Vertrauen.
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Politisch ist „The Killing“ klar links-liberal zu verorten, ist hier die Angst vor dem Machtapparat doch im Grunde größer als die vor dem Mörder. Anders gesagt: nicht der einzelne Mörder gefährdet die Grundfesten unserer Gesellschaft, sondern das Vertuschen durch die Institutionen, die nicht sehen wollen, was nicht sein darf.
So nimmt sich Staffel 1 die Kommunalpolitik vor, Staffel 2 den Corpsgeist in der Armee und Staffel 3 gleich den Premier Minister und den großindustriellen Komplex – und stellt (nicht allzu leise) im Subtext unbequeme Fragen über den Wert von Moral in Zeiten wirtschaftlicher Abstiegsängste.
Während Staffel 2 leicht abfällt (aber immer noch – bis zum etwas arg bemühten Ende – überdurchschnittliche Fernsehunterhaltung darstellt), ist Staffel 1 ein dermaßen perfekt inszeniertes, gecastetes und gespieltes Ensembledrama wie man es im kontinentaleuropäischen Fernsehen womöglich noch nicht zuvor gesehen hat. Staffel 3 ist dann nicht nur in dieser Hinsicht wieder auf Augenhöhe mit Staffel 1, sondern gelingt endlich auch eine letzte Episode, die dieser Serie gerecht wird.
Dass das ZDF sich in all seiner großmütterlichen Betulichkeit nicht entblödet hat, diese fabelhafte Krimiserie „Kommissarin Lund“ zu nennen, um womöglich sein Rosamunde-Pilcher-Publikum nicht zu verschrecken, ärgert uns The-Killing-Freunde bis heute. Dass aber andererseits das Quasi-Staatsfernsehen diese letzte Episode ausstrahlt, kann man fast nicht glauben – und ist, womöglich unabsichtlich, nichts anderes als suversiv, denn:
War das öffentlich-rechtliche Fernsehen jemals nihilistischer, düsterer, verzweifelter als in diesen 60 Minuten?
Hat man zuvor schon einmal so deutlich allen Schichten der Gesellschaft den moralischen Totalbankrott attestiert?
In dieser allerletzten Episode von „The Killing“ in Staffel 3 (und es soll wohl keine weitere Saison mehr entstehen) gelingt es den Dänen tatsächlich, das alte, ursprüngliche Problem zu lösen, an dem sogar Lynch für viele Zuschauer gescheitert war: ohne die Suche nach dem Mörder von Laura Palmer hatte „Twin Peaks“ nur noch Kirschkuchen, verdammt guten Kaffee und seine Quirkiness zu bieten. Was für manche immer noch genug war (wie mich zum Beispiel, der auch die Post-Laura-Palmer-Folgen für das Irrste hält, was im Fernsehen überhaupt zu sehen war), aber die meisten Zuschauer doch auf Nimmerwiedersehen verabschiedete. Was Lynch übrigens auch vorher schon geahnt hatte: „It’s human nature to have a tremendous letdown once you receive the answer to a question, especially one that you’ve been searching for and waiting for. It’s a momentary thrill, but it’s followed by a kind of depression. And so I don’t know what will happen“.
Dass sich „The Killing“ nun mit dieser großen Leere verabschiedet, mit diesen in die Welt hinausgeschrieenen Zweifeln an allen, wirklich allen Institutionen und ihrer Moral, ist vielleicht für viele schwer zu ertragen, aber letztlich die vielleicht einzige Möglichkeit, diese Serie mit einer ihr gebührenden Intensität enden zu lassen – was in Staffeln 1 und 2 eben nicht gelang. Doch „The Killing III“ endet nicht mit einem whisper, sondern einem bang.
Und das Beste daran?
Die dramaturgische Finesse in Staffel 1 dank der der Zuschauer unweigerlich in diesen Sog der Tätersuche hineingezogen wird. Selten hat einen das Zusammenfügen eines Krimipuzzles mehr beschäftigt als in „The Killing“.
Schlaflose Nächte bekommt man hier nicht dank Albträume verursachender grässlicher Leinwanddarstellungen, sondern vom ewigen Mitdenken, Indizien analysieren, Hinweise zusammenfügen…
Die Fakten:
* Dänemark
* Originaltitel: Forbrydelsen
* 3 Staffeln im Original sowie ein amerikanisches Remake der ersten Staffel, das dort ebenfalls unter dem Titel „The Killing“ lief.
* in Deutschland wurden die Episoden im ZDF ursprünglich in Doppelfolgen ausgestrahlt, Staffel 1 bestand hier also aus zehn Folgen à zwei Stunden, die Staffeln 2 & 3 aus fünf zweistündigen Folgen.
* 2007 – 2011
* Erdacht von: Søren Sveistrup
Die Preise:
* BAFTA: Beste Internationale Serie (höchste britische Film-und-TV-Auszeichnung)
* Emmy: für beide bisher ausgestrahlte Serien für „bestes internationales Drama“ nominiert
(Text. Christian Ihle)
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