vonChristian Ihle 26.02.2014

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Anfang 2014 ist in den USA die Thriller-Serie „True Detective“ angelaufen und bereits jetzt, nach zwei Dritteln der ersten Staffel, ist es nicht vermessen zu prophezeien, dass das US-Fernsehen die Messlatte für serielles Erzählen ein weiteres Mal höher legt.






Die erste Staffel ist in ihrer Komplexität beeindruckend. Die Erzählung an sich ist in zwei Zeitebenen verschachtelt und lässt bisher nur erahnen, wie die Zusammenhänge zu deuten sind. Die beiden Detectives Rustin Cohle (Matthew McConaughey) und Martin Hart (Woody Harrelson) untersuchen – in der Vergangenheitserzählung – einen Ritualmord in Louisiana, den möglicherweise ein Serienkiller begangen hat. Eingebettet ist diese Erzählung der Ermittlung in eine Interviewsituation, in der – aus anfangs nicht bekannten Gründen – die beiden Cops von zwei Detectives in der Jetzt-Zeit zu ihrem damaligen Fall befragt werden.


So fidel wie eine Unterhaltung mit Nietzsche über die größten Mordfälle der Menschheitsgeschichte


Was darüber hinaus aber „True Detective“ zu der womöglich besten US-Thriller-Serie seit „The Wire“ macht, ist die brillant geschriebene und von McConaughey atemberaubend gut gespielte Figur des Rustin Cohle. Cohle ist ein Nihilist, ein Einzelgänger und Zyniker, der, wenn er sich denn zur zwischenmenschlichen Kommunikation gezwungen sieht, vernichtende Statements über Gott, die Welt, Religion und das Menschsein ablässt:

„I consider myself a realist, but in philosophical terms, I’m what’s called a pessimist.
I think human consciousness was a tragic misstep in evolution. We became too self-aware. Nature created an aspect of nature separate from itself. We are creatures that should not exist by natural law. We are things that labour under the illusion of having a self – a secretion of sensory experience and feeling, programmed with total assurance that we are each somebody, when in fact everybody’s nobody.
I think the honourable thing for our species to do is to deny our programming, stop reproducing, walk hand in hand into extinction, one last midnight, brothers and sisters opting out of a raw deal.“

Cohle ist so in „True Detective“ eine existentialistische Stimme des Rationalen und auch der Aufklärung, die im Umfeld von Louisiana, einem der Bible-Belt-Staaten der USA, noch einmal mehr aus dem Rahmen fällt. Dass dazu die Folgerungen von Cohle nicht nur zur Dekonstruktion, sondern mehr zur Destruktion der Konzepte Familie, Freundschaft und Religion führen, gibt ihm eine Verweigerungshaltung, die selbst den europäisch-aufgeklärten Zuschauer ob ihrer Kompromisslosigkeit verunsichert.

Der von Creator Nic Pizzolatto erdachte Rustin Cohle verweigert damit aber auch das beliebte Bild des zynischen, aber sarkastischen Cops, da McConaugheys Figur nun wirklich überhaupt nicht zur humoresken Auflockerung dient, sondern so fidel wie eine Unterhaltung mit Nietzsche über die größten Mordfälle der Menschheitsgeschichte ist.



[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=sOGoX1B6_2k[/youtube]
(leichte Spoiler, aber da recht früh in der Staffel kann man dieses Ende der dritten Episode durchaus anschauen)

Zudem spielt Pizzolatto mit dem Prinzip „Wahrheit“ und Eineindeutigkeit von Erzählungen und Erinnerungen. Im Fortlauf der Serie weicht die Erzählung auf der Tonspur, die in der Befragung in der Rahmenhandlung gegeben wird, immer stärker von der Bebilderung in den Rückblenden ab, werden so Fragen nach Objektivität gestellt und auch auf dieser Ebene dem Zuschauer die Möglichkeit eines schwarz/weiß-Denkens entzogen. Weder funktioniert hier ein good cop / bad cop – Spiel, noch sind die Guten und die Bösen trennscharf auszumachen, weil Unzulänglichkeiten die Figuren bestimmen.


Visuell weit über TV-Standard

Doch nicht nur das Drehbuch überragt alle Fernsehserien der letzten Jahre an Intelligenz, Bitterkeit und Artikulationskraft, sondern auch visuell ist „True Detective“ weit über TV-Standard. Im Gegenzug zu anderen Serien sind alle „True Detective“-Folgen von einem einzigen Regisseur gedreht, was eine stimmige Atmosphäre und einen gleichen Tonfall in der Erzählung zur Folge hat (ein Problem, an dem zum Beispiel die jeweils erste Staffel von „Mad Men“ oder „Breaking Bad“ durchaus gekrankt hatten).

Dass Regisseur Cary Fukunaga zudem auch ein Mann für bildgewaltiges Kino (wie schon in seinem Debütspielfilm „Sin Nombre“ demonstriert) statt schnödes Fernsehen ist, kommt der HBO-Serie entgegen und beweist vor allem die Schlußszene der vierten Folge, in der ein Raubzug mit wilder Schießerei als ein sechsminütiger, ungeschnittener (!) Tracking Shot von Fukunaga gezeigt wird (evtl. leichte Spoiler, aber nichts was den Kern der Geschichte tangiert):


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=s_HuFuKiq8U[/youtube]

Suche nach dem Dämon in jedem selbst


Doch neben dem klassischen ‚Whodunnit‘ um die Aufklärung eines Ritualmordes, das „True Detective“ natürlich auf der Oberfläche antreibt, und mancher visuell beeindruckender Szene, ist und bleibt McConaugheys irre Darstellung des Rustin Cohle das Herz der Serie – auch weil man eine derart nihilistische Weltsicht selten so überzeugend im Fernsehen präsentiert bekommen hat (Um diesen Punkt heimzuhämmern hat die US-Seite Vulture einen Sammlung aus McConaugheys Monologen zusammengestellt, die hier zu sehen ist – spoilerfrei).




Die Suche nach dem Dämon, der die Taten begangen hat, wird im Lauf der Serie zur Suche nach dem Dämon in jedem selbst.

Zu sehen ist „True Detective“ derzeit auf dem Pay-TV-Sender SKY Atlantic bzw SkyGo.

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