1. Der Film in einem Satz:
Das depressive Amerika aus „Winter’s Bone“ in der Machismo-Variante.
2. Darum geht‘s:
Der vom Leben nicht mit viel Glück bedachte Russell (Christian Bale) versucht ein anständiges working class Leben zu führen. Doch der Vater ist totkrank, der kleine Bruder (Casey Affleck) kehrt mental versehrt aus dem Irak-Krieg heim und in einem unbedachten Moment verursacht er einen Autounfall für den er ins Gefängnis wandert. Während seiner Knastjahre stirbt der Vater, verlässt ihn seine Freundin für den Dorfpolizisten und irrt sein Bruder Rodney vater- und bruderlos durchs Heimatstädtchen, immer auf der Suche nach ein bisschen Geld, ein bisschen Glück, inneren Frieden.
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Zwangsläufig lässt sich Rodney mit den falschen Leuten ein und will das große Geld bei einem Bareknuckle-Fight im Redneck-Gebiet verdienen, wo sich sonst nur die Meth-Heads und die Psychopathen herumtreiben. Alles endet natürlich noch schlimmer als es eh schon ist.
„Auge um Auge“ (oder weniger biblisch der Originaltitel: „Out of the furnace“) ist ein wuchtiges Drama mit ordentlicher Härte. Regisseur Scott Cooper („Crazy Heart“) fängt in seinem bis in die Nebenrollen toll besetzten (Forest Whitaker als Dorfpolizist, Woody Harrelson als psychopathischer Meth-Junkie), gut gespielten Film mit bedrückenden Bildern ein Land des Verfalls ein. Dabei ist die Tragik, die die Figur des Russell umweht, das Herzstück des Films. Bale spielt die Verzweiflung, die sich bei diesem ehrlichen, aufrichtigen Typen breit macht, greifbar, ans Herz gehend.
Eine Verwandtschaft mit dem großartigen „Winter’s Bone“, der damals Jennifer Lawrence Karriere begründete, ist nicht zu leugnen: in beiden Filmen versucht eine grundgute Figur in einem unwirtlichen, menschlichkeitsfeindlichen Umfeld ihre Familie zu schützen. Während sich „Winter’s Bone“ dabei aber ausschließlich im Methhütten- und Trailerpark-Umfeld bewegt, fügt „Auge um Auge“ noch die Facette einer – gerade noch! – intakten Kleinstadt hinzu. Aber „Auge um Auge“ umweht schon die gleiche gemeinschaftszersetzende Tragik, die sich in die amerikanischen Filme der Post-Vietnam- und frühen Reagan-Ära eingefressen hatte: sie alle zeichnen ein Bild des desolat Abgewirtschafteten, zeigen ein Land auf der Suche nach sich selbst, zerrissen zwischen den falschen Kriegen auswärts, der kaputten Industrie daheim.
In der Struktur ist „Auge um Auge“ dafür nicht so originell wie „Winter’s Bone“. Dort ist die Jennifer-Lawrence-Figur im Zentrum eine selbstbewusste, toughe Frau. Dagegen spielt das Machismo-Umfeld der Stahlarbeiter-Working-Class und Bareknuckle-Fight-Kriegsheimkehrer in „Auge um Auges“ natürlich mit konservativen Rollenbildern.
Gerade mit Blick auf die Verhärtung von Stereotypen aus alter Zeit, die Regisseur Scott Cooper hier befördert, kommt man auch nicht umhin, das Ende, die finale Konfrontation zwischen Christian Bales Russel und Woody Harrelsons Meth-Head-Psychopathen moralisch fragwürdig zu finden.
3. Der beste Moment:
Wenn Christian Bales Figur versucht, wieder Fuß zu fassen nach seinen Jahren im Gefängnis. Ein aufrichtiger, im Grunde guter Mann, dem nach und nach alles genommen wird. Herzzerreissend die erste Wiederbegegnung mit seiner Ex-Freundin Lena: wir spüren die immer noch vorhandene Liebe zwischen beiden, doch als Lena ihm mitteilt, dass sie schwanger ist, sehen wir auch diesen letzten Anker guten Lebens für Russell verschwinden.
4. Diese Menschen mögen diesen Film:
Wer wuchtige Abwärtsspiralen und hervorragende Schauspieler schätzt.
* Regie: Scott Cooper
* imdb