1. Der Film in einem Satz:
Das Aufwachsen eines Jungen in Nowhereville, USA. In Echtzeit!
2. Darum geht‘s:
Mason wächst mit seiner Schwester bei der alleinerziehenden Mutter Olivia (Patricia Arquette) auf. Vater Mason Snr. (Linklater-Stammschauspieler Ethan Hawke) ist ein rechter Hallodri, zwar liebenswert, aber selbst ein ewiges Kind und zum gemeinsamen Aufziehen von Nachwuchs so ungeeignet wie für eine stabile Erwachsenenbeziehung. Wir folgen dem Weg des jungen Mason von einer mehr oder minder unbeschwerten Kindheit über die Wirren der Adoleszenz, die Schwierigkeiten mit Ersatzvätern bis zum Auszug von Daheim und dem Neubeginn im College.
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Das mag alles herzlich unspektakulär klingen, aber doch ist „Boyhood“ das vielleicht ungewöhnlichste Filmkonzept seit Jahren. Regisseur Richard Linklater hat die Geschichte von Mason nämlich über einen Zeitraum von 13 Jahren gefilmt, jedes Jahr ein neues Kapitel mit den gleichen Schauspielern hinzugefügt. Keine Maske ersetzt also das Älterwerden, keine verschiedenen Darstellen spielen den fünfjährige oder den achtzehnjährigen Mason, sondern immer der echte Ellar Coltrane in seinem jeweiligen Alter.
Dieser Kniff ist auch weit mehr als ein sehr sehr aufwändiger Gimmick, weil das Leben Spuren in diesen Gesichtern hinterlässt, die keine Maske, keine Filmtrickserei je so echt erreichen könnte. Wie Patricia Arquette von der jugendlichen, attraktiven Olivia zur lebensgestandenen Mutterglucke wird, wie wir ihr beim Altern zusehen können – und zur gleichen Zeit den wilden Ethan Hawke langsam gleichzeitig verwelken sehen, ihm aber dadurch die hart erkämpfte Reife der späten Jahre auch erst glauben können, ist phänomenal. Man kann gar nicht umhin als tief getroffen zu sein, diese Leben im Zeitraffer von drei Stunden an einem vorbeiziehen zu sehen, ihren Lebenswegen zu folgen, die natürlich nie geradlinig sind, sondern immer verschlungenen Pfaden gleichen.
„Boyhood“ ist einer dieser Momente, in denen man das Gefühl bekommt, dass die ganze Karriere, der ganze Lebensweg eines Künstlers auf genau diesen einen Kulminationspunkt zugelaufen ist. Alles, was Linklater je gemacht hat – von den frühen Slackerfilmen wie „Dazed & Confused“ über die „Before Sunrise/Sunset/Midnight“-Trilogie bis hin zu seinen philosophischen, fast existentialistischen Exkursen um Fragen zum Sinn des Lebens wie „Waking Life“ – findet sich in „Boyhood“ wieder. So ist „Boyhood“ einerseits ein best of von allem, was Linklater je gemacht hat und zugleich etwas, das man noch nie von irgendjemandem in dieser Art überhaupt gesehen hat.
Nach drei Stunden „Boyhood“ ist man gerührt, einem so wundervoll gelungenen, verrückten Experiment beigewohnt zu haben. „Boyhood“ ist nicht nur einer der besten Filme des Jahres, sondern mit Sicherheit ein Referenzwerk für das zukünftige Kino, ein so-noch-nie-gesehen-Film, der ewig im Gedächtnis bleiben wird.
3. Der beste Moment:
Natürlich kann es in „Boyhood“ keinen besten Moment geben, weil der Film ja gerade über die Flüchtigkeit des Jetzt ist und den Verlauf, das Alles-Fließende des Lebens in sein Zentrum stellt.
4. Diese Menschen mögen diesen Film:
Wer Linklater bisher schon mochte, wird von „Boyhood“ überwältigt sein. Jeder, der den gleichen Zeitraum in den letzten zwei Jahrzehnten durchlebt hat, wird sein eigenes Mit-Altern nicht vergessen können und tief berührt aus dem Kino gehen.
Der alte Satz von Kafka, hier steht er zu recht: „Im Kino gewesen. Geweint.“
* Regie: Richard Linklater
* imdb
Öh:
ich las grad gelegenheitsmäßig in ein Gemeinschafts-Abo der taz hinein. Siehe da?
Der Rezensionsartikel zu dem Film gibt in der Zeitung mehr her! So jedenfalls mein Eindruck. Kam nicht zum Durchlesen. Ich lese sehr sehr so, Mist wieso ist kein Wochenende, also sooo gern nach ausgepowerten Werktagen wochenends an Überwiegende-Zeit-im-Bett-Tagen angesammelte gedruckte Artikel! Die Rezension hebe ich für so einen Anlass auf.
Frage:
Kann ich davon ausgehen, dass viele der Blog-Artikel hier in der Zeitung ausführlicher sind? Als ich gestern zuhause von dem Film erzählte, schindete ich nicht sonderlich viel Eindruck, obwohl mich die Rezension selbst sehr beeindruckte. Konnte kaum vom Inhalt erzählen. Frage absatzanfangs gestellt. Bis denne