vonChristian Ihle 28.07.2014

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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„Andrea Berg, als Andrea Ferber 1966 in Krefeld geboren, begann ihre Performance-Karriere, während sie als Krankenschwester arbeitete, als Funkenmariechen im Karneval. Das steckt ein wenig immer noch in ihren Bühnenshows, eine erotische Offenheit, die in einem System der Erlaubnisse und Kontrollen steckt. Sex, der irgendwie immer in der Familie, im Rahmen bleibt, niemandem wehtut und keine Mehrdeutigkeiten zulässt. Feuchte Träume für die Kinder von KiK und Beate Uhse. (…)

Ihr aktuelles Album Atlantis ist soeben fünf Wochen nach Veröffentlichung mit Platin ausgezeichnet worden. Andrea Berg spricht offensichtlich mehr Menschen in unserer Gesellschaft aus dem Herzen als Lady Gaga, Robbie Williams und Justin Bieber zusammen. Nur wird ihr Erfolg, im Gegensatz zu den letztgenannten, nicht beschrieben oder diskutiert. Die gewiss nicht sehr leise Musik von Andrea Berg erzeugt ein kulturelles Beschweigen.

Vielleicht ist dieses Schweigen so zu verstehen: Über Geschmack kann man nicht streiten, schon gar nicht ohne Klassismus; wer etwas wie das Gesamtkunstwerk Andrea Berg zum Kotzen findet, der handelt sich schnell den Vorwurf der kulturellen Überheblichkeit ein, wer sich ihrem Publikum (wie dem der Bild-Zeitung) mit Sympathie zu nähern versucht, unterstützt womöglich eine Unterdrückungs- und Verblödungsmaschinerie, wie sie Adorno sich in seinen schrecklichsten Albträumen nicht hätte ausmalen können. (…)

Andrea Berg verband Elemente des alten Schlagers mit denen der verschärften volkstümlichen Musik und mit solchen des internationalen Pop, und sie verhielt sich konsequent monothematisch: Ein weibliches, mehr oder weniger lyrisches Ich, das seine Ansprüche an ein männliches, ganz und gar nicht lyrisches Du formuliert. Dieses männliche Gegenüber tendiert offensichtlich zur Untreue, nicht selten aber auch zu schlichter Langeweile. Es scheint sich weder sexuell noch sozial um einen Traummann zu handeln, und doch will sich dieses weibliche Ich ihm unterwerfen, ihn behalten, ihn sich immer wieder schön und stark träumen. (…)

Im Unterschied zum alten deutschen Schlager gibt es bei Andrea Berg nirgendwo Ironie, keine Nonsense-Ausflüge, keine Genre-Zitate, keine Novelty-Experimente, nicht die geringste Überraschung, nicht einmal ein etwas exaltiertes Role Playing. Es gibt kein Lied, das von etwas anderem handeln würde als von diesem Ich und diesem Du, das aus allen emotionalen und kognitiven Katastrophen rekonstruiert wird. Sowenig in dieser Performance angesprochen wird, dass es eine Welt außerhalb der Paar-Fixierung geben könnte, so wenig kommt in der Andrea-Berg-Welt die Ahnung vor, eine Frau könne auch ohne den Mann zurechtkommen. Man könnte Andrea Berg wohl mit guten Gründen ein radikales antifeministisches Projekt nennen. (…)

Und die Musik? Der Rhythmus: Stumpfa-stumpfa-stumpfa. Ein Ballermann-Disco-Rhythmus. Die Melodie: Das alte Schlager-Modell, skelettiert zur Modern-Talking-Schlichtheit. Die Produktion: Zu viel ist nie genug. Der Sound: Wie in der volkstümlichen Musik werden kindliche Instrumente elektronisch aufgepimpt, irgendein Klavier oder eine Harfe schmiert Bedeutung über das gnadenlose Geschunkel. Die Stimme: Ein schiemlich schweres Sch manchmal, anschonschten keine weiteren Beschonderheiten. Keine Höhen, keine Tiefen, keine Stimmungswechsel. (…)

Doch wie ist das möglich, dass jemand, der (angeblich) von den intimsten Gefühlen singt, von einem solch gefühllos alles niederwalzenden Gestampfe begleitet wird? Wie verträgt sich dieses von Trennungsängsten gebeutelte Ich mit der besoffenen Massenstimulation? Niemand heult bei Andrea Berg. Die Botschaft von der Frau, die nichts anderes als den Mann will, wird uns buchstäblich eingehämmert. Und an solchen Punkten pflegt Unterhaltung in Ideologie umzuschlagen.

Andrea Berg konstruiert die sexuelle Ökonomie des unteren Mittelstandes in den Zeiten des Finanzkapitalismus. Sie macht aus dem unangenehmen Umstand, dass die sexuelle Ökonomie in der Krise wieder mal zuungunsten der Frauen im unteren Mittelstand ausgeht, ein pathetisches Programm. Sie tröstet die Frauen mit der Aussicht aufs Weiterträumen und damit, wie man an ihr sieht, auch mit 47 noch „sexy“ (Andrea Berg) wirken zu können, und die Männer damit, dass sie vielleicht sozial absteigen, aber immer noch eine Frau wie Andrea Berg finden, der es am Ende nichts ausmacht, wenn die betrunkenen Vollspacken mal mit der Nachbarin rummachen. (…)

Es ist das Merkelistische der Alternativlosigkeit, was hier ins Intime und Erotische gewandt ist. Sie möchte sogar, dass der Mann, der schon bei einer anderen ist, ihr die Illusion lässt, dass die Liebe weitergeht. Explizit ist die Rede von der „Wahrheit, die so viel zerstört“. „Lass mich einfach weiterträumen“ ist die militante mythische Botschaft, immer weitermachen, nicht kämpfen, nicht rebellieren, nicht aufwachen.

Dass Stars wie Helene Fischer oder Andrea Berg derzeit boomen, kann man sich nicht ohne den Merkelismus in Deutschland vorstellen. Und vielleicht kann man sich umgekehrt auch die ungebrochene Popularität von Angela Merkel nicht ohne diese Schlagerstars vorstellen. Sie bezeichnen eine Art des kollektiven Beschweigens und der ästhetischen Hegemonialisierung. Nach all den Krisen, den Katastrophen im Kleinen und im Großen wird der Innenraum von Klasse und Stand verteidigt.“


(Georg Seeßlen 2013 in Der Freitag über Andrea Berg)


Mit Dank an Basti!


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