1. Der Film in einem Satz:
Vom Penner zum Killer. Es geht immer noch mal schlimmer.
2. Darum geht‘s:
Wir lernen Dwight (furchtlos gespielt vom noch unbekannten Macon Blair) in einem Zustand der Verwahrlosung kennen. Er haust in einem kaputten Auto am Strand, wäscht sich heimlich in fremden Bädern und spricht mit niemandem. Eines Tages steht die Polizei vor seinem Haus/Auto und teilt ihm mit, dass der Mörder seiner Eltern die Haftstrafe verbüßt hat und freigelassen wird.
Dwight, der seit diesem Unglück ohnehin mehr dahinvegetiert als wirklich lebt, schnappt sich seine wenigen Habseligkeiten und macht sich auf, Vergeltung zu üben.
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Jeremy Saulnier, der bisher lediglich eine völlig unbekannte Horrorkomödie („Murder Party“) gedreht hat, nimmt diese Prämisse, um in seinem zweiten Spielfilm ein Brett hinzulegen, wie man es lange nicht mehr im amerikanischen Kino gesehen hat. Diese minimalistische Story, die Dwight zurück zu seinen Anfängen führen wird und in die Geschichte der eigenen wie der Familie der Elternmörder eintauchen lässt, hat eine No-Bullshit-Spannung, die uns über 90 Minuten verkrampft am Rand des Kinosessels sitzen lässt. Saulnier ist kompromisslos in der Ausführung und gnadenlos schlüssig am Ende, dreht die Spannungsschraube immer weiter, ohne dass wirklich viel im Sinne eines Actionthrillers passieren würde. „Blue Ruin“ eben statt „Blood Ruin“, denn Blut gibt es, ja, aber über allem liegt die Traurigkeit über verpfuschte Leben wohin man nur blickt.
In US-Medien wurde gerne der Vergleich zu den Frühwerken der Coen-Brothers gezogen, doch meiner Meinung nach geht diese Referenz fehl. Zwar teilen sich „Blue Ruin“ und beispielsweise das Coen-Debüt „Blood Simple“ einen ähnlichen Figuren-Kosmos und gilt auch bei Saulnier die alte Coen’schen Plotregel „jede scheinbare Lösung deiner Probleme verursacht nur noch größere Probleme“, doch verzichtet „Blue Ruin“ völlig auf komödiantische Erleichterung und lässt uns Zuschauer so nicht aus dem Wickel. Saulniers kleines dreckiges Meisterwerk greift vielmehr auf die kargen, aber unerbittlichen Thriller der goldenen Zeit des US-Independent-Cinemas vom Ende der 70er, Anfang der 80er zurück.
Dass „Blue Ruin“ ein Film zum Mitfiebern ist, erstaunt umso mehr, weil keine Figur, nicht einmal Dwight als pausbäckiger Penner auf Vergeltungstour, sympathisch erscheint. So umgeht „Blue Ruin“ auch alle Probleme, die Selbstjustizfilme sonst mit sich bringen, es ist viel mehr (und das ist kein inhaltlicher Spoiler) auch ein Film über die emotionale Vergeblichkeit von Vergeltung und Rache.
Einer der bemerkenswertesten amerikanischen Thriller seit langer Zeit, produziert für lächerliche, unfassbare 38.000 US-Dollar.
3. Der beste Moment:
Die Endkonfrontation im White-Trash-Haus der „Gegnerfamilie“.
Mexican Standoff und Familienbewältigungsaga in a nutshell.
4. Diese Menschen mögen diesen Film:
Wer spannende Thriller mag, keine Helden braucht und Komik nicht nötig hat, um Härte zu ertragen.
* Regie: Jeremy Saulnier
* imdb
Wenn ich sowieso beim öffentlichen Umformulieren meiner Sätze bin, dann lieber den hier jetze unten. An dem letzten Satz meines ersten Kommentars gestern wollt ick eigentlich einen Augenblick weiter dran pfeilen, rutschte leider mit durch.
Bei Wahlergebnissen und Umfragen lässt sich, mit anderer Konnotation, natürlich auch sinnvoll von Minderheiten sprechen.