vonChristian Ihle 22.10.2014

Monarchie & Alltag

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„Christian Petzolds Film „Phoenix“ über das Verdrängen im Nachkriegs-deutschland ist bleiernes Knallchargentheater.

Was also soll diese Geschichte, die alle Plausibilität sprengt und auf eine geschichtspolitische Volte hinführt, ähnlich exkulpatorisch wie in Bernhard Schlinks Bestseller-Roman „Der Vorleser“: eine jüdische Überlebende, im Gesicht schwer verwundet, zurück aus dem Lager, von ihrem nicht jüdischen Mann womöglich verraten – die nichts mehr will als zu diesem Mann zurück, ein Opfer, das den Täter anfleht, erkannt, erlöst, gerettet zu werden. (…)

Noch mal: Was soll das? Das Schweigen, die Lüge und der Verrat haben sich in die deutsche Nachkriegsgesellschaft gestohlen, ach ja? Aber doch nicht so. Was soll also dieses bleierne Knallchargentheater, was soll diese empathiefreie Kunstübung, was soll diese Verwechslungstragödie, bei der so gut wie nichts stimmt?

Nicht die Interieurs: Die Deutschen hausen in Löchern und hungern, die Juden residieren in Villen und haben eine Haushälterin – ist jemandem von der Produktion mal aufgefallen, dass so eine irrwitzige Darstellung genau die Vorurteile spiegelt, mit denen sich der Judenhass äußert?

Nicht die Figuren: Was für ein Mensch müsste diese Nelly sein, dass sie sich ihrem Mann auf eine masochistische Art und Weise unterwirft, die nicht mal sexuell konnotiert ist, denn sexuell ist selten etwas in Petzolds Filmen. Was für ein Duldsamkeitsapostel müsste diese Frau sein, dass sie nicht zusammenbricht, als sich ihre Freundin Lene, die Nelly gerettet und umsorgt hat und die mit ihr nach Palästina gehen wollte, einfach umbringt – was übrigens ist hier genau die geschichtspolitische Aussage? (…)

Es ist eine seltsame Vergebungssehnsucht, die diesen Film durchzieht und dabei – „Phoenix“ ist dem historischen Helden und Nazi-Aufklärer Fritz Bauer gewidmet – so tut, als wäre diese Schmonzette ein Beitrag zu irgendeiner Diskussion darüber, wie die Deutschen zu Mördern wurden und wie sie mit diesem mörderischen Erbe umgingen und warum das Nachkriegsdeutschland so eisig unterkühlt war, so schockgefroren wie die Seelen der Figuren in diesem Film.

Im Grunde verniedlicht Petzold damit die Verdrängung nach 1945, er relativiert das, was er wohl über die deutsche Geschichte sagen wollte: Schaut her, versucht zu verstehen, wie seltsam der Mensch wird, wenn es um Fragen von Krieg und Lüge, von Liebe und Verblendung geht – und glaubt mir, wenn ich euch zeige, wie groß die Möglichkeit des Selbstbetrugs und der Selbstverleugnung ist. (…)

Was „Phoenix“ aber fast exemplarisch vorführt, ist das Scheitern eines privatistischen Verständnisses von Politik – Petzolds Versuch, das Riesenverbrechen auf Kammerspielgröße zu quetschen, und seine diffuse Sicht auf Geschichte als eine Aneinanderreihung von Zuständen, dieser Nebel, in den er dieses Deutschland so oft und gern taucht, zuletzt in seinem Film „Barbara“ von 2012. (…)

Aber eben nicht so. Das Irgendwo ist vielleicht ein guter Ort, um einen Latte macchiato zu trinken, das Irgendwo ist aber nicht der richtige Ort, um den Holocaust zu verhandeln. Und wenn „Phoenix“ ein Versuch gewesen sein sollte, den Judenmord ohne Braunhemden und anderes Hasskolorit zu zeigen und eher als melancholisch verhangene Jazzballade, dann kann man sagen, dass dieser Versuch gescheitert ist.“


(Georg Diez im SPIEGEL)


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