„Neue Platte mit Samy Deluxe, Auftritt im Mojo: Warum kann Nena Hamburg nicht verschonen?
Nena [verwaltete] ihren Nimbus, die „einzige Überlebende der Neuen Deutschen Welle“ (Frankfurter Rundschau) zu sein, auch wenn sie mit der Neuen Deutschen Welle stilistisch und ideologisch so wenig zu tun hatte wie Olaf Scholz mit Karl Marx, denn sie war ja nicht Nina Hagen, sondern Nena aus Hagen, eine kreuzbrave Mischung aus Haarmodenrepräsentantin und Hupfdohle, ausgerüstet mit neonfarbenen Tops und Stirnbändern oder, wie im Spielfilm Gib Gas, ich will Spaß, mit einem überdimensionierten Angorapulli, für den eine ganze Karnickelpopulation ins Gras beißen musste. (…)
Aber jetzt hat Nena den Hamburger Rap-Star Samy Deluxe als Produzenten für ihr neues Album verpflichtet und dazu eine Clubtour mit Station in ebenjenem Mojo angekündigt. Die Platte heißt Oldschool, und das ist schon die erste Ungeheuerlichkeit, weil Old School eigentlich eine Phase in der Musikgeschichte bezeichnet, in der Grundlagen geschaffen werden für große Kunst. (…) die Old School hat es nicht verdient, dass jemand, der mit einem Song über 99 Luftballons berühmt wurde, einem Stück, dem selbst Rammstein mit einer gespenstisch ekligen Version nicht die infantile Aufdringlichkeit austreiben konnten, dass so jemand sich mit ihren Errungenschaften schmückt. (…)
Im Song Ja, das war’s heißt es: „Hab oft am Anfang geweint und dann am Ende gewonnen / hab mein Schicksal irgendwann in die Hände genommen. Ich werd immer noch singen / auch wenn ich Rente bekomm.“ Spricht da nicht der Neoliberale, der den zentralen Topos des deregulierten Marktes ins Zentrum seiner Ästhetik rückt: Eigenverantwortung? Abgesehen davon, dass das eine furchtbare Drohung ist – Nena singt sich in eine geriatrisch gut abgesicherte Bühnenzukunft mit Rollatorshows und 99 Gruftballons –, erklärt sich hier das an den Verhältnissen hart und schlau gewordene Bewusstsein, das weiß: Rente ist nicht. Außerdem liegt man dem Staat nicht auf der Tasche. Man schuftet weiter, und wenn es nur das Recycling des eigenen Werkes ist. Begonnen hat Nena damit schon früh: 2002 spielte sie mit Kim Wilde eine Coverversion von Irgendwo, irgendwie, irgendwann ein, im Video trugen beide schwarze Lederoutfits und tanzten aufeinander los, als hätte Pina Bausch gemeinsam mit Hein Gericke im Fieberwahn eine Choreografie erdacht. (…)
Ja, die knisternden Nena-Scheiben aus einer Zeit, als Kohl noch Kanzler war, die Mauer stand und die subkulturelle Gefühligkeit der Siebziger einer neuen schicken Härte sowohl im Sozialen als auch im Pop den Platz frei machte. Nena, das begreift man jetzt, war womöglich schon immer Kostgängerin des Status quo, den sie mit ihren Schubidu-Songs orchestrierte. „Ich weine meistens aus Wut über mich selbst“, sagte die Sängerin im Interview. „Wenn ich merke, dass ich nicht flexibel genug bin.“ Der Satz könnte auch von Katja Suding stammen, nachdem Union, SPD und AfD die nächste Idee der sozialliberalen Agenda gekapert haben.
So steht Nena heute für ein Milieu, das sich die anstrengende Zeitgenossenschaft mit Nostalgie und esoterischen Macken veredelt. Zweimal im Jahr esse sie Fisch und bedanke sich dann beim Fisch, dass er ihr seine Energie schenke, gab die Sängerin zu Protokoll.
Schrecklich
Samy Deluxe. Mojo Club. Und jetzt auch noch die Finkenwerder Scholle..“
(Daniel Haas in der ZEIT)
Mit Dank an Silke!
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Erfrischend zu lesen, obwohl nicht einmal die 99 Gruftballons von ihr sind, ebenso wenig wie irgendwie, irgendwo, irgendwann – Nena ist (war) lediglich selbstüberschätzte Interpretin ..