„Einmal im Jahr können neue Frisuren, neue Ballkleider und neue Orden hergezeigt werden (Orden bekommt in Österreich jeder, der lange genug lebt). (…) Noch bis vor einigen Jahren wurde von den Autonomen gegen das Spektakel der Reichen demonstriert. Das Ganze war ziemlich lästig, konnte aber mit routiniertem Wegschauen ausgeblendet werden. Wir wissen: Wegschauen wurde in Wien erfunden.
Dem Pöbel, einem anderen Pöbel, doch Pöbel bleibt Pöbel, ist es auf etwas subtilere Weise gelungen, zum störenden Element zu werden. Die „Döblinger Regimenter“, wie die feinere Gesellschaft Wiens nach dem Bezirk genannt wird, in dem sie sich vor Generationen angesiedelt hat, müssen sich dieses Fest nämlich schon längst mit Menschen teilen, die sie, wenn überhaupt, nur als Wesen wahrnehmen, die man höchstens im Zoo von Schönbrunn begaffen können sollte.
Wenn jemand diese Viecher personifiziert, ist es der umtriebige, über 80-jährige Baumeister Lugner, der sich seit 25 Jahren wechselnde Stars als Opernballbegleitung kauft, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, was ihm bei Gästen wie Sophia Loren, Geri Halliwell, Andie MacDowell, Pamela Anderson, Claudia Cardinale, Naddel, Sarah Ferguson, Grace Jones oder Paris Hilton stets gelingt. (…) Man mag sich über diese gekauften Stars wundern. Haben sie es wirklich nötig, sich an der Seite eines verschwitzten Clowns, der aussieht wie ein besoffener Fiakerkutscher vor einem Schlaganfall, von Kamera zu Kamera schleppen zu lassen und ihre Begeisterung über die Walzerseligkeit und die Pracht der Wiener Oper zu bekunden? Gerüchteweise um eine Million Euro Schmerzensgeld geht es. Für einen Abend an der Seite eines Hofnarren durchaus eine stattliche Summe. Aber eine Kim Kardashian sollte ihre Schäfchen doch ins Trockene gebracht haben. Andererseits, was Peinlichkeit betrifft, liegt ihre Schmerzgrenze recht hoch, da wird man ein bisschen Pinke in Wien auch nicht liegen lassen.
(…)
Der Opernball ist ein Nationalheiligtum. Nationalheiligtümer sind Traditionen, von denen keiner weiß, wie sie zu solchen geworden sind und ob man sie wirklich noch braucht, aber Österreich ist kein Land, in dem Veränderungen jemals große Dringlichkeit zugemessen worden wäre. (…) Interviewer und Kommentatoren brillieren in Penetranz und Oberflächlichkeit, glänzen durch Servilität hier und Kumpelhaftigkeit da, und für alle zählt das olympische Motto, dabei gewesen zu sein.“
(Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic im Stern über den Wiener Opernball)
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@roland
Du hast Recht.
Ich jedenfalls hatte beim Aufpoppen des Bildes einen Jumpscare-Moment, der danach durch ein „Eraserhead“-artiges, apokalyptisches Unwohlsein abgelöst wurde. Schlimme neue Welt.