vonChristian Ihle 27.05.2016

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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„Torkelschwof für die volltrunkene letzte Phase bei der Engtanzparty, wenn die Leute nur noch sachte widereinander schwanken, Tannenwipfel im Abendhauch. Der kleinste, feinste Schlagzeugbesen beschmiert in geduldiger Streichbewegung das zarte Filetstück des ewigschönen Liedes mit dem flüssigen Eigelb klebriger Sentimentalität, dann darf ein wehmütiges, uraltes Krokodil die Bescherung mit den Seelenbröseln seiner Tabakkrümelstimme bestreuseln, Ladies and Gentlemen, Bob Dylan.

Hören Sie das? Diese komplett geheimnislose, völlig mit sich selbst einige Gitarre, nach deren sauberem Sound Lou Reed vor „New York“ (1989) zwanzig Jahre lang erfolglos suchen musste? Der Arrangeur Bob Dylan hat sie jetzt wiedergefunden; sie lag unterm Waschbecken, in einer Wanne mit abgestandenem Geschirrspülmittel. Geistloser kann Sauberkeit nicht klingen. (…) Widerstand ist herzlos: Alles schnippt mit den Fingern, wenn auf „On a Little Street in Singapore“ ein molliges Nostalgiefeuerchen im Kamin eines gemütlichen Wimmerzimmers unter leise jaulender Zupfdudelbegleitung vor sich hin knistert und die Nummer dann plötzlich so abrupt aufhört, als würde ein Liebesroman mit dem Satz beendet: „Und dann kriegen sie einander halt.“ (…)

Nicht alles darauf ist so deprimierend schlecht wie das Geschilderte. (…) Umso schlimmer spukt der Rest, am schlimmsten die Eröffnung mit „Young at Heart“, vorgeknödelt im Gestus „Mir doch egal, wie das Ding geht, ich bin, wie ich bin“, eine Verwechslung von Gehabe mit Kunst, die als Auftakt für einen Rundgang durch Archivbestände wirkt, als würde sich jemand mit ironischem Augenzwinkern als der neunte der sieben Zwerge vorstellen. (…)

Ein Hain von unfruchtbaren, spät gepflanzten Apfelbäumchen mit wächsern glänzenden Plastikfrüchten dran. Alte Männer, ohne die der Planet Musik ein anderer wäre, sollen ihren Lebensabend genießen dürfen wie jedes andere Tierchen. Aber nicht jeder Genuss braucht und verträgt Publikum, und wenn Bob Dylan beim Häuten der Zimbel seine Jugenderinnerungen wiederfindet, ist das nur für verrentete Kulturstaatsministerialbeamte automatisch interessanter als, sagen wir: revanchistischer Schlagerschmutz, der gerade den Eurovisionswettbewerb gewonnen hat.

Haben Sie schon mal Ella Fitzgerald zugehört, wie sie „Skylark“ singt? Dylan dreht diesen Diamanten mit der Kitschkurbel von Hand in einem Grab um, das er ihm mit der andern Hand persönlich geschaufelt hat, und versucht dann, ihn in der Flamme seines Sodbrennens knusprig zu grillen. Dazu setzt es stahlblanke Saitenkrakel als geölte Beilagenblitze; die passende Schmiere kommt von rheumatischen Countrygeigen, fertig ist die Vollblamage. Das Einzige, was da noch fehlt, ist ein Triangelsolo. Merkt’s wer? Oder liegt die Singer-Songwriter-Philologie wie gehabt betend auf dem Bauch, wenn König Kauz fremdverfasste Wunder vom Blatt verhaut? (…)

Ein Album soll das sein? Frank Sinatra, dem sich Dylan neuerdings so gern ans Bein bindet, hat Alben gemacht, ohne dass das notwendig immer Konzeptplatten oder, wie’s heute gern schnarrt, „Narrative“ gewesen wären: „In The Wee Small Hours“ (1955) ist so ein Album aus Einzelschönheiten, „Songs for Swingin’ Lovers!“ (1956) ist ein anderes; man höre beide am Stück durch und wird im Vergleich dazu merken: „Fallen Angels“ ist ein opportunistisch zusammengeraffter Radionachmittag, aufgenommen mit Ärmelschonern und in langen Unterhosen. (…)

Vielleicht ist Bob Dylans Midlife-Crisis – denn darum scheint es sich bei dieser Pleitepolonaise zu handeln, weil man ihm in Anbetracht seines Lebenswerkes ja wünschen darf, er würde 150 Jahre alt – dann schon wieder vorbei, und er sieht ein, dass die Sinatras und Fitzgeralds qua allerlei Nostalgie- und Authentizitätsbetrug ohnehin dauernd präsent sind, weswegen er sich lieber wirklich verschütteten und vergrabenen Dingen zuwenden sollte, vielleicht den Neunzigern. Wie wär’s mit Mundharmonikafassungen von Beck- und Eminem-Erfolgen oder irgendetwas anderem, mit dem es ihm gelingen mag, zu demonstrieren, dass Verehrung wie Schimpfe ihn immer noch notwendig verfehlen müssen, weil er weiterhin einer Kunst entgegenstrebt, die sich außer ihm niemand vorstellen kann, bis er sie eines Tages hinkriegt?“

(Dietmar Dath in der FAZ über Bob Dylans neues Album „Fallen Angels“)

Mit Dank an, eh, Wabbeldickwurst!


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kommentare

  • Ein miserables Album miserabel rezensiert. Dylan vergewaltigt die Ohren, der „Journalist“ die Sprache. Das stand in der FAZ? Es ist kaum zu glauben. Der Text klingt wie das Machwerk eines Pubertierenden, der meint, er müsse die Sprache neu erfinden.

  • Recht hat er, wenn auch etwas selbstgefällig verschwirbelt formuliert … Aber hat schon mal jemand daran gedacht, dass dieses Machwerk eigentlich nur ein Marketingprodukt ist, die Abfälle vom letzten Album zum Geburtstagsjubiläum unters Volk zu bringen?
    Wie man sieht und liest hat es geklappt und die Feuilletonschreiberlinge knien fast alle in Anbetung am Boden!
    Amen.

  • na, da hat sich ja mal wieder ein Kritiker sehr wortgewandt, nicht unlustig + i.m.h.o. gar nicht mal so unzutreffend literarisch selbstverwirklicht….das album gab’s neulich mal im stream auf spon: zumindest hat seine bobness das alles sehr kurz + knapp abgehandelt – gar nix ( ?) ist länger als 3 min. meistens eher kürzer. immerhin

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