1. Der Film in einem Satz:
Eine beinah dreistündige Komödie über Generations-, Politik- und Familienkonflikte. Gibt’s nicht? Gibt’s doch!
2. Darum geht‘s:
Ines Conradi (Sandra Hüller) ist erfolgreiche Unternehmensberaterin, immer gestresst, immer selbstoptimiert – ihr Vater Winfried aber ein bayrisches Urviech mit Alt-68er-Attitude, ein Lehrer, ewiger Kindskopf, practical joker und bei allem Drang zum ständigen Scherzen mit dem Herz am rechten Fleck. Als der Hund von Vater Winfried stirbt, macht sich der alte Mann spontan auf den Weg, seine Tochter in Bukarest zu besuchen, wo Ines gerade dabei ist, eine Massenentlassung – Stop: natürlich „Outsourcing“ – im Auftrag einer internationalen Ölfirma zu betreiben. Man kann nicht sagen, dass sich Vater & Tochter nicht leiden könnten, aber gut verstehen eben auch nicht – genauer: sie verstehen sich einfach nicht im Wortsinn. Jede Begegnung zeugt von einer grundsätzlichen Zuneigung, wie sie das familiäre Band nun einmal spannt, aber auch von einer Nichtkommunikation, einer schreienden Unbeholfenheit im Umgang miteinander.
So weit, so unspektakulär – und tatsächlich ist „Toni Erdmann“ kaum in angemessener Form zusammenzufassen oder könnte ein Trailer (davon bitte nicht abschrecken lassen!) ihm genüge tun. Die Stärke von Regisseurin Maren Ades drittem Film liegt in der Entwicklung der Geschichte, der genauen Charakterzeichnung und gerade auch in den Momenten der unangenehmen Stille. Es ist verblüffend, wie es Ade gelingt, einen immer etwas melancholischen Zweifel am richtigen Leben mit einer Laugh-Out-Loud-Funnyness zu verbinden und punktgenau auszutarieren. „Toni Erdmann“ ist bei allen traurigen und kritischen Untertönen ohne Frage eine Komödie. Eine Komödie, die sich gegen Ende in geradezu absurde Höhen steigert, und bleibt doch immer nah an existentialistischen Zweifeln über die Frage, welchen Weg man im Leben beschreitet – und mit wem.
Dabei umschifft Ade auch alle Klischee-Klippen, verfällt nie in die Krankheit der französischen Feelgood-Komödien, die immer nach dem einen Moment der Erleuchtung suchen, die Leben umkrempeln und alle Beteiligten am Ende zu besseren Menschen machen wollen, sondern spielt offen mit diesen trainierten Erwartungen von uns Zuschauern nur um sie ad absurdum zu führen. Weil „Toni Erdmann“ näher am Leben ist als die allermeisten Filme, die in unseren Kinos laufen.
Alle Hymnen (und wann gab’s zuletzt einen deutschen Film, der so einhellig stürmisch bejubelt wurde?) auf „Toni Erdmann“ werden zurecht gesungen. Für Maren Ade, die dank des hervorragenden, aber durchaus auch recht deutschen „Alle Anderen“ hierzulande bereits als eine der größten Hoffnungen galt, wird „Toni Erdmann“ ein weltweiter Durchbruch sein. Gleiches muss auch für Sandra Hüller gelten, die vor zehn Jahren in „Requiem“ schon verblüffte, aber nun mit „Toni Erdmann“ ein Meisterstück der Schauspielkunst abliefert und mit Verve auch Szenen spielt, an die sich nicht viele Darsteller trauen würden.
Man kann es gar nicht genug betonen: „Toni Erdmann“ vollbringt eigentlich Unmögliches. Eine beinah dreistündige Komödie, die sich Längen erlaubt und trotzdem nie eine Sekunde zu lang wirkt, die sich direkt aus dem Leben gegriffen anfühlt, deren Charaktere zwar Chiffren sind, aber so mehrdimensional gezeichnet, dass sie immer wie Menschen um uns herum wirken, und sowohl in ihrem Humor wie in ihrer Tragik, in ihren Zweifeln von uns allen erzählen und fragen, wie wir leben wollen.
3. Der beste Moment:
Auf der komödiantischen Seite kommt man an Sandra Hüllers Whitney-Houston-Performance wohl ebenso wenig vorbei wie den abschließenden Nervenzusammenbruch inklusive Nacktparty zu nennen.
4. Diese Menschen mögen diesen Film:
Kaum vorstellbar, dass man „Toni Erdmann“ nicht schätzt, wenn man sich auf ihn einlässt!
Nicht umsonst hat der Film bei der jährlichen Kritiker-Umfrage des renommierten US-Film-Magazins SCREEN einen neuen all time Rekordwert gesetzt:
* Regie: Maren Ade
* imdb
„Kartoffelpuffa“ (Loriot) https://www.youtube.com/watch?v=3Ay_7nYgm5E