Ein richtiges, umfassendes Ranking ist bei Serien fast unmöglich geworden: zu viel wird produziert, zu proprietär ist die Ausstrahlung, zu viele Stunden verlangt eine einzige Staffel vom Zuschauer – und in welchem Jahr zählt die Staffel (die ihrer Originalausstrahlung in USA/UK? Ihrer Erstausstrahlung in Deutschland?). Deshalb hier kein abschließendes Ranking, sondern mehr eine Empfehlungsliste, die sich ihrer blinden Flecken bewusst ist – so wurden zum Beispiel keine Netflix-Serien gesichtet. Trotzdem: die ersten beiden Plätze wären wohl auch von keiner anderen Serie auf der Welt verdrängt worden
1. Twin Peaks – The Return (Creator: David Lynch & Mark Frost)
Das vielleicht größte Risiko der Fernsehgeschichte hat sich ausgezahlt: die Rückkehr von „Twin Peaks“ nach gut einem Vierteljahrhundert und damit das Wagnis, die revolutionärste Fernsehserie überhaupt im Licht des „golden age of television“ noch einmal einer Wertung unterziehen zu lassen.
Und, oh boy, hat David Lynch (& Autor-Kompagnon Mark Frost) dieses Wagnis mit voller Lust genommen. „Twin Peaks – The Return“ war – erneut! – wie NICHTS, was jemals zuvor im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Ein Fest des Bizarren, das Surrealitätshöhen erklomm, die die Original-Staffel nur in manchen Szenen erahnen ließ. Als Cherry auf dem Verwirrungscake dazu die Weigerung, die geliebte Hauptfigur Dale Cooper stante pede wieder einzufüren – Fanservice ist wahrlich nicht Lynchs Metier.
Ja, „Twin Peaks – The Return“ war an einigen Stellen beinah unerträglich langsam und, ja, The Return war keine einfache Rückkehr (im doppelten Sinn), sondern ein Ausweiten des Universums, das manch alte Fans verschreckte. Aber „Twin Peaks – The Return“ hatte mehr phänomenale, atemberaubende Episoden als praktisch jede andere Serie in der Geschichte und war auch in den Standards von 2017 gemessen dem Rest der Fernsehwelt um Lichtjahre voraus.
Auch wenn „Twin Peaks“ vor allem als Gesamtkunstwerk besticht, muss man doch drei Folgen herausheben: Episode 8, die größte Stunde, die eine Fernsehserie je hatte. Eine alternative Weltenerzählung, eine umgekehrte Schöpfungsgeschichte: Die Genesis des Bösen, praktisch dialogfrei (mehr hier: Twin Peaks S03 E07 / 08: David Lynch gets political)
Episode 17, in der alles für einen kurzen Moment zusammenkommt und der Zuschauer scheinbar für 16 Stunden Durchhalten belohnt wird.
Nur um in Episode 18 ein so erschütternd-verwirrendes Ende vorzufinden, dass wirklich nur noch zu fragen bleibt: what year is this?
2. Fleabag (Creator: Phoebe Waller-Bridge)
Wer bei kurzem Blick auf die Story (Hipster-Mädel mit amourösen Verirrungen in Ost-London) „Girls UK“ erwartete, dürfte ganz schön überrascht worden sein. „Fleabag“ ist wie die besten britischen Serien social awkwardness auf 11 gedreht und dabei irre lustig wie erschütternd arg zugleich. Phoebe Waller-Bridge hat ein erstaunliches Drehbuch geschrieben und Regie wie Schnitt haben den Mut, ungewöhnliche Entscheidungen in der Erzählweise zu treffen. Eine „Comedy“-Serie, die sich in der Hall Of Fame gleich bei „The Office UK“ und „Curb Your Enthusiasm“ einreihen darf.
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3. 4 Blocks (Creator: Marvin Kren)
Ein deutsches Crime-Drama, das tatsächlich internationale Ansprüche erfüllt. Die Bilder haben Kinoqualität, die Besetzung ist herausragend (Frederick Lau als Berliner Straßenköter, Kida Khodr Ramadan als Gangchef Tony) und die Erzählung versiert. Dazu gelingt „4 Blocks“ eine erfrischende Authentizität, die weit weg ist von Tatort-Klischees. Wer „4 Blocks“ nicht schaut, soll nie mehr über das deutsche Fernsehen schimpfen dürfen – hier ist sie endlich, die deutsche Fernsehserie derer man sich vor englischen oder amerikanischen Freunden nicht mehr zu schämen braucht.
4. Mr Robot – 2. Staffel (Creator: Sam Esmail) Deutsche TV-Premiere 2017
Die zweite Staffel von Mr Robot polarisierte – wie immer, wenn eine Hauptfigur nicht dahin geht, wo ihn die Mehrzahl der Zuschauer aus Gewohnheit sehen möchte (siehe auch: Twin Peaks – The Return). Aber gerade der Mut, diese Serie, die ja sowieso schon so cutting edge ist, noch mal auf Links zu bürsten und den Tech-Thriller zum Depri-Fest zu machen und, a propos of nothing, fast eine komplette Folge mit ALF (ja, *dem* ALF) zu verbringen, nötigt Respekt ab. Und immer noch gilt: näher war Fernsehen nie an „Fight Club“.
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5. Patriot (Creator: Steve Conrad)
Als Hauptfigur einen depressiven Singer/Songwriter-Geheimagenten in Undercovertätigkeit bei einem Rohrleitungssystemhersteller in den Mittelpunkt einer Serie zu stellen, ist mit Sicherheit eine originellere Idee als sie in allen sechs Filmen von „Mission: Impossible“ auch nur ansatzweise vorgekommen wäre. Folglich entwickelt „Patriot“ auch eine ganz eigene Stimmung, die bipolar zwischen Verzweiflung an der Welt und skurrilem Humor schwankt – vergleichbar vielleicht mit einer depressiven Version von „Fargo“.
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Ebenfalls empfehlenswert:
6. Fargo – 2. Staffel (Deutsche TV-Premiere 2017)
7. Das Verschwinden
8. Peaky Blinders – 3. Staffel (Deutsche TV-Premiere 2017)
9. Babylon Berlin
10. Legion