vonChristian Ihle 26.08.2019

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Zentrale Idee des Berliner Pop-Kultur-Festivals ist es, Einzelereignisse zu erschaffen und sich somit – auch dank der Möglichkeiten der reichen Subventionierung – von üblichen kommerziell orientierten Festivals wie dem Lollapalooza abzusetzen. Hebel dafür sind neben des Bookings, das auf Diversität wert legt, vor allem die „commissioned works“, also Aufführungen, die ausschließlich für Pop-Kultur geschrieben oder geprobt werden.

Diese „commissioned works“ lesen sich auf dem Papier fast immer herrlich interessant, sind in der Umsetzung dann zuweilen allerdings mehr „interessant“ als wirklich mitreissend. Ein gewisses Frustrationspotenzial hinsichtlich eines Acts, der nun mal konzeptbedingt alles nicht spielt, weswegen ihn das Publikum wahrscheinlich ursprünglich sehen wollte, ist dabei systemimmanent.

Diese Offensichtlichkeit beiseite geschoben auf vier der diesjährigen Commissioned Works geblickt: Jens Friebe spielte – begleitet von 21 Downbeat – den„Ring der Nibelungen“ als 60minütigen Ritt durch Richard Wagners magnum opus und ordnete sich damit eben in die zweite Kategorie „interessant“ ein. Abgesehen von einer sehr passenden Velvet-Underground-Stelle („I’ll Be Your Mirror“) war Friebes „Ring“ irgendwo zwischen Parodie, Wagner-Entzauberung und artsy-fartsy gefangen.

Weniger konzeptuell ging dagegen Ilgen-Nur vor, die in einem kleinen bestuhlten Theater alleine auf elektrischer Gitarre Holes legendäres „Live Through This“ – Album nachspielte und, ganz dem Albumcover gemäß in Brautkleid gekleidet und vor Rosen-Backdrop stehend, Holes großem Durchbruch-Album eine erfreulich intime Intensität zurückgeben konnte und so insbesondere Courtney Loves Lyrics wieder in den Vordergrund schob, die ohne Courtneys Skandalpersönlichkeit und im #metoo-Zeitalter eine erfrischende Aktualität annehmen.

Einen dritten Weg bestritten International Music. Wie aufmerksame Leser wissen, ist das International Music – Album wunderschön.
Aber wunderschön war ihnen nicht genug und so spielten die drei Internationals ihr Debüt verstärkt vom 15-köpfigen Orchester The Dorf, das dankenswerterweise die repetitiven International-Music-Songs nicht mit Streichern aufblähte, sondern mehr an Spiritualizeds noisigen Orchester-Einsatz erinnerte.

Jauche, eine Kollaboration von Max Rieger (Die Nerven, All Diese Gewalt), Ralv Milberg (Produzent von unter anderem Die Nerven, Karies, Human Abfall) und Thomas Zehnle (Wolf Mountains), spielte ein sechsstündiges Set, das – meinem Zwischendurch-Besuch nach zu urteilen – sich in der Nähe von Riegers All Diese Gewalt in einer Ambient-Version bewegte. Widerspricht ja auch nicht der offiziellen Ankündigung: „Jeder der Beteiligten hat, im Gegensatz zu den ursprünglichen Sessions in Milbergs Stuttgarter Tonstudio, diverse elektronische Musikinstrumente und Effektgeräte vor sich, die zum Teil fehlerhaft und schwer zu bedienen sind. Zwei Mikrofone stehen zur Verfügung, dazu ein Bass und ein Verstärker, die jeder der Musiker benutzen kann. Im Vorfeld werden keinerlei Absprachen getroffen: was passiert, passiert.“

Das gibt dann am Ende auch die Essenz der Commissioned Works wieder, die eben idealerweise etwas passieren lassen, das sonst nicht passieren würde.

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