vonChristian Ihle 20.11.2019

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Das Berliner Synästhesiefestival feierte dieses Wochenende einen kleinen runden Geburtstag: bereits zum fünften Mal fand das Festival für Krautrock, Postpunk, Psychrock und Verwandtes statt – und ist im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal gewachsen.

Die Entscheidung, von der Volksbühne in die Kulturbrauerei umzuziehen, erwies sich als richtig, konnte das Synästhesie-Festival neben den beiden Headliner-Bühnen so zwei kleine zusätzliche Locations auf dem Gelände der Kulturbrauerei für Acts mit besonderem Weirdness-Faktor (im Salon Oblique) oder dem stürmischen Punkgestus der Jugend (auf der Baby Satan Stage / 8mm Bar Stage) freischaufeln.

Auf letzterer war für mich auch die Neuentdeckung des Festivals zu finden: Jealous, eine israelisch-stämmige Berliner Band, die mit zwei fantastischen Frontfrauen auf dieser kleinen Club-Bühne eine Show höchster Intensität bot. Ihre Debüt-EP ist diesen Sommer auf dem eigenen Label Baby Satan Records auf Cassette erschienen, viel mehr DIY und Punk geht also nicht. Neben den eigenen Songs von der Debüt-EP war vor allem ein erstaunliches T.Rex-Cover bemerkenswert, das mit böse-sumpfiger Bassline gefährlicher klang als das Marc Bolan selbst hinbekommen hatte.

Auf der anderen Ende des Bekanntheitsspektrums befindet sich der große Headliner Stereolab. Damit war Synästhesie wie im Vorjahr mit Spiritualized ein echter Coup gelungen, spielte die britische Band um Tim Gane und Lætitia Sadier doch schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr in der Stadt. Stereolab waren allerdings schwieriger als der letztjährige Hauptact Spiritualized. Während Jason Pierce damals das Kesselhaus in eine Kathedrale des Shoegaze-Gospel verwandelte, wirkten Stereolab vor allem in der ersten Hälfte des Konzerts steif und stockend. Selbst „French Disko“, der vielleicht beste krautrockinspirierte Song des letzten Vierteljahrhunderts, wirkte nicht ausgespielt, kam nie in diesem endlosen, aber immer drängenden Groove an. Doch mit Fortdauer des Konzerts fanden Stereolab in die Spur und endeten dann doch in präzisen Hits.

Am zweiten Festivaltag eröffneten die Black Lips mit gewohnt verlässlichem Rocknroll-Exzess die Party. Ihr rollender und spuckender Garagenpunk mag nicht die größte Wandlungsfähigkeit besitzen – böse Zungen meinen gar, sie klängen „als hätten fünf Betrunkene auf einer Party Instrumente in die Hand genommen, um Schunkelmusik zu spielen“ – die Black Lips bringen aber verlässlich Clubs zum Kochen. Als gegen Ende – beinah schon eine Tradition bei ihren Auftritten in Berlin – King Khan als Gast auf die Bühne kam, war die Feier des Rocknroll auf 11 gedreht.

Einen Gegenentwurf dazu bot die junge Debütantenband Shybits. Vor der Drummerin der Snoffeltoffs spielten und sangen zwei Stephen-Malkmus-Klone weird-melodischen College Rock, wie man ihn vom neuseeländischen Flying Nun Label aus den frühen 80ern kannte.

Zurück auf der Hauptbühne spielten Deerhunter ein für mich eher unzugängliches Konzert, das erst spät seinen Weg fand. Der gewohnt schwierige, aber andererseits auch sehr authentisch-direkte Bradford Cox empfand das offensichtlich ähnlich, richtete er doch Zwischenansagen an das Publikum, dass zuletzt in München aber bessere Stimmung gewesen sei. Was los Berlin?

Hatte das Publikum also zu Beginn des Deerhunter-Konzertes nicht recht gespurt, wurden sie im Folgenden mit einem Anschlag auf die Sinne bestraft: A Place To Bury Strangers unterstrichen ein weiteres Mal, die Referenz im Bereich des Brutalo-Shoegaze zu sein und hämmerten am Ende eines Festivalwochenendes in einer denkwürdigen Sonntag Nacht ab 23.30 Uhr unbarmherzig ihren Sound in das Kesselhaus. So viel Energie in so viel weißem Rauschen, mehr als mit offenem Mund die Livepräsenz dieser Band zu bewundern, bleibt auch mir nicht.

Abgesehen von den reinen Performances ist die Herangehensweise des Synästhesie-Festivals bemerkenswert. Ein so gut kuratiertes, selbstfinanziertes und damit auch kompromissloses Festival findet sich selten. Im Vergleich zu den Vorjahren erweiterte Synästhesie seine Vision auch noch in die Breite. Neben den großen und für dieses Festival logischen Namen wie eben Stereolab, Deerhunter, Black Lips oder APTBS spielten mit dem nigerianischen Gitarristen Mdou Moctar die Größe des Touareg Blues, der bahrainisch-englischen Exotic-Psychedelica-Band Flamingods oder den südkoreanischen New-Age-Drone-Spezialisten Tengger Acts aus der ganzen Welt, die in unterschiedlicher musikalischer Herangehensweise trotzdem Spirit und Attitude dieses Synästhesie-Festival verstanden und auf kluge Art erweiterten.
So etabliert sich das Synästhesie als das besser kuratierte Festival im Berliner Herbst.

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https://blogs.taz.de/popblog/2019/11/20/synaesthesie-v-a-place-to-celebrate-strangers/

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kommentare

  • Schön, da muss ich wohl auch einmal hin. War dieses Jahr auf dem „Le Guess Who?“ und hatte mich gefragt, wo die ähnlich vielfältigen Festivals in Deutschland sind. Wohl haben wir hier einen Kandidaten.

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