vonChristian Ihle 15.04.2020

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Twin Peaks – Fire Walk With Me

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„So, you wanna fuck the homecoming queen?“ – will man den Unterschied zwischen der Originalserie „Twin Peaks“ und seinem späteren Prequel-Kino-Film auf den Punkt bringen, ist es dieser Satz von Ballkönigin Laura Palmer.

„Fire Walk With Me“ ist krasser, wilder, sexueller, ärger, härter, abstrakter, gemeiner und nerviger als seine Mutterserie. An die Stelle des liebevoll skurrilen Humors treten Meta-Witze wie der in der Eröffnungsszene mit einer Axt zerschlagene Fernseher oder die „Blue Rose“ – Missionsbeschreibung mittels Pantomime, die die mystische Verklärung aus der Serie bis zum Witz überspitzt und – Lynch sich selbst? Oder doch den Zuschauer? – krude verhohnepiepelt . Für die Teenie-Soap-Opera-Bestandteile bekommen wir ein heimisches Missbrauchsdrama mit extrem unangenehmer Atmosphäre. Für die Tagebuchandeutungen einer Teenagerin offen gezeigte Gruppensexsequenzen im Drogenrausch.

„FWWM“ ist – wie die neue Staffel von 2017 – ein düsteres, abstraktes Meisterwerk, das verstört und nervt, das den Zuschauer an seine Grenzen bringt, aber immer auch Momente von so schlagender Schönheit und beeindruckender Wucht enthält, dass beide als singuläre Werke in der Film- und Fernsehgeschichte stehen (sollten).

Donna: Do you think that if you were falling in space… that you would slow down after a while, or go faster and faster?

Laura: Faster and faster. And for a long time you wouldn’t feel anything. And then you’d burst into fire. Forever… And the angel’s wouldn’t help you. Because they’ve all gone away.

Climax

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Das Hieronymus Bosch Disco Inferno.
Auch mit seinem fünften Film erschafft Gaspar Noe einen Kino-(Alb)Traum. Wie schon in „Enter The Void“ liefert eine entfesselte Kamera Bilder, wie man sie sonst nie zu sehen bekommt. Noe kreiert eine 15minütige Tanzsequenz, die atemberaubend choreographiert und gefilmt ist. Die Hölle lässt aber natürlich nicht lange auf sich warten und so wird das letzte Drittel zu einem wirklichen Geduldstest für den Zuschauer, fängt „Climax“ doch Drogen-Psychosen mit einer Eindrücklichkeit ein, die uns wirklich zu schaffen macht.

Nymphomaniac (Vol. 1 & 2)

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Selbst für Lars von Trier, den größten Querkopf des Weltkinos, ist „Nymphomaniac“ ein Projekt wie kein zweites. In seinem insgesamt fünfstündigen, in zwei Teile aufgesplitteten Epos verhandelt er verschiedenste Facetten von Sexualität in einer Art Meta-Film to end all Meta-Filme.

Von Trier diskutiert durch den fast klinisch-kühlen Aufbau der Rahmenhandlung Sexualität in einer dialektischen Weise. Seine Figuren Joe und Seligman (die möglicherweise zwei Facetten (s)einer Persönlichkeiten darstellen sollen: Verstand & Lust?) sind dabei bestrebt, in einem Zwiegespräch gegenteilige Meinungen abzubilden, die thematisieren, was Sünde sein kann – oder ob es Sünde überhaupt geben kann.

Was aber das Überraschendste an all dem ist: „Nymphomaniac“ ist trotz seines immensen theoretischen Überbaus der unterhaltsamste, flotteste, und, ja, lustigste von Trier – Film überhaupt. Er versieht (unausgesprochen) Schoko-Sperma-Geschmack mit einer Proust-Anspielung, erklärt die Fibonacci-Zahlen anlässlich der Folge der vaginalen bzw analen Penetrationen der Hauptperson oder versinnbildlicht die Kompositionen von Johan Sebastian Bach als Erklärungsansatz für eine Beziehung mit drei Männern.

So ist Nymphomaniac einfach alles: arg, lustig, explizit, hart, (bis an die Parodiegrenze) intellektuell, wild, neugierig, kurios verkopft und unsubtil.

Super Dark Times

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An „Super Dark Times“ hatte ich ganz andere Erwartungen, nämlich ein erwachseneres „Stranger Things“. Der recht straight erzählter Thriller erinnert aber mehr an Lynne Ramsays Amoklauf-Arthouse-Abhandlung „We Need To Talk About Kevin“.
„Super Dark Times“ fesselt und ist gut anzusehen, allerdings ist die Charakterentwicklung recht sprunghaft.

The Forest Of Love

https://www.youtube.com/watch?v=eQLQbHXf9Vc

„The Forest of Love“ ist die erste Netflix-Produktion des japanischen Regie enfant terribles Sion Sono und sein Greatest-Hits-Album: Wir haben die Schulmädchen-Selbstmord-Szene („Suicide Circle“), die Gedärmwühlereien und den Über-Gore der Leichenfeinzerteilungen („Cold Fish“), die inzestuösen Spannungen („Strange Circus“), den japanischen Arthouse-Porn („Guilty Of Romance“) und natürlich die Punk-Referenzen & -Attitude (alle).

Auch wenn „The Forest Of Love“ zunächst wie eine Ansammlung von verrückten Szenen durchgeknallter Charaktere in abstrusem Narrativ wirkt, steckt – glaube ich – doch eine interessante Frage hinter all diesem Mord & Fick & Tod & Schrei: wieviel rechtfertigt Kunst? wieviel Zerstörung darf sie in ihrem Entstehen verursachen? wie missbraucht die Kunst, genauer: das Filmgewerbe, die Naivität der Jugend, wie sehr verbrennt sie deren Leben zugunsten eines Werkes?

Nocturama

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Sehenswert: „Nocturama“ ist ein verstörend ruhiger, aber dennoch wuchtiger, umstrittener Film über Boredom, Alienation, Despair & Terrorism der jungen Generation.
Paris is burning.

No Country For Old Men

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Die brutale, straffe Verfilmung eines Cormac McCarthy – Romans war eine nicht mehr zu erwartende Wiedergeburt der Coen’schen Kreativität nach Jahren des Dümpeln im irrelevanten Hollywoodrangebiet. Der meisterhaft inszenierte Münzwurf-Dialog, Javier Bardem in der Rolle seines Lebens und – viel zu selten mit Lob bedacht – die anderen „Nebendarsteller“ vom herausragenden Josh Brolin zu Altmeister Tommy Lee Jones lassen NCFOM zu einem leuchtenden Feuer in der dunklen mittleren Karrierephase der Coen-Brüder werden.
Nachdem die erste Begeisterung sich gelegt hat und man „No Country…“ mit mehr Nüchternheit richten kann, scheint es nicht vermessen zu sein, diesen Film als besten in der ganzen Schaffensgeschichte der Coens zu sehen. Und das soll etwas heißen bei den Erfindern von Fargo, Big Lebowski oder Barton Fink.

Tiger Girl

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Von wegen German Mumblecore ! Jakob Lass, dessen sehr guter Vorgängerfilm „Love Steaks“ als Geburt einer deutschen Mumblecorebewegung angesehen wurde, zeigt mit „Tiger Girl“, dass man die Vorzüge dieses Genres (improvisierte Dialoge, Handkamera) durchaus mit mitreissendem Storytelling, knalligen Szenen und lautem Fluchen statt stillem Murmeln verbinden kann.
Die junge verschüchterte Maggie, in der Ausbildung zur Securityfachfrau, lernt die wilde Tiger kennen, die mit Kumpels auf einem verlassenen Dachboden haust. Tiger lehrt Maggie, sich zu wehren und sich zu nehmen, was sie will. Doch während bei Tiger alle Aktionen immer einem inneren moralischen Kompass folgen, verliebt sich Maggie in die Gewalt und die dadurch scheinbar gewonnene Freiheit. Jakob Lass zeigt die Geschichte seiner beiden Figuren als Erzählung, die zwischen Anarchie und Kontrolle oszilliert, und fängt den Kick der wilden Jugend gelungen ein. Beide Hauptdarstellerinnen sind hervorragend und vor allem Ella Rumpf als Tiger hat ein Charisma, das man lange nicht mehr im deutschen Film gesehen hat.

I Am The Pretty Thing That Lives In The House

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Gothic Horror Story, die minimalistischer nicht sein könnte: ein Setting, eine Stimme, kaum mehr als zwei Personen (Ghosts not included).
„I Am The Pretty Thing That Lives In The House“ arbeitet rein über die Atmosphäre und benötigt mit Sicherheit eine gewisse Ruhe beim Zuschauer, damit diese sich entfalten kann.
In diesem Gegensatz aus absoluter Stille mit Off-Monolog versus ‚random Geisterspiegelung im Fernseher nach 60 Minuten‘ hat’s mich allerdings durchfahren mit Schreck wie bei 50 Jump Scares in 100 Teenie-Horror-Filmen nicht.

Spring Breakers

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Der alte Arthouse-Schreck Harmony Korine versammelt Disney-Sternchen und dreht einen Hochglanzfilm über den Spring Break – und täuscht das Publikum gleich mehrfach: weder war „Spring Breakers“ ein Girls Gone Wild – Verschnitt für High School Musical – Freunde noch eine Bloßstellung seiner zuckersüßen Stars oder gar eine von Trier’sche Provo-Aktion – kaum fassbar, was Korine hier genau macht, aber er bürstet wirklich alle Erwartungen gegen den Strich (und zwar sowohl die Mainstream-Erwartungen als auch die der Arthouse-Crowd oder eben der Provokationsgeilen). Am Ende bleibt ein fast zärtliches Bild weiblicher Selbstermächtigung übrig. Faszinierend.
Und im Vorübergehen gelingt es Korine auch noch, Britney Spears Kitschoper „Everytime“ zu rehabilitieren.

P.S.: Eine der schönsten (und wahnsinnigsten) Filmkritiken der vergangenen Jahre hat Dietmar Dath anlässlich von Spring Breakers geschrieben:

“Verpeilte sitzen daher jetzt im Kinodunkel und denken, dieser Film feiere die suizidale Unzurechnungsfähigkeit junger Übergeschnappter als solche. Noch Verpeiltere wollen in derlei filmischer Simulation von Exzessen eine besonders subtile Kapitalismuskritik erkennen. Die Allerverpeiltesten schließlich unterstellen dem Regisseur, er sei in Wahrheit weder Rauschtrottel noch Bedenkenträger, sondern Zyniker und wolle mithin vor allem provozieren, da es für einen Künstler ja bekanntlich nichts Schöneres gibt, als wenn ihm ein rezensierendes Mauerblümchen beim Bistumsblatt von St. Pfäffle übelnimmt, dass er mit den rostigen Folterwerkzeugen seiner Kunst unermüdlich zählebige Moralvorstellungen, Sehgewohnheiten und Hirnrinden zerpflückt.“

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* 10 für Netflix: Drama
* 10 für Netflix: Horror
* 10 für Netflix: Thriller
* 10 für Netflix: Science-Fiction
* 10 für Netflix: Dokumentationen

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