vonChristian Ihle 15.07.2021

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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„Juli Zehs neuer Roman »Über Menschen« ist ein Bestseller. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum das so ist. (…) Sie schreibt einen leicht konsumierbaren Feuilletonstil, der Lesende nicht mit sprachlichen Hindernissen belästigt. Der Plot folgt einer Lehrbuch-Dramaturgie, die nach Verfilmung ruft. Die Protagonistin des Romans ist außerdem noch so freundlich, nie einfach nur zu handeln – stets bedenkt und erläutert sie ihr Tun, als hätte sie über jeden Schritt ihres Lebens einen Leitartikel für »Die Zeit« zu schreiben. (…)

Ein wenig bedenklich scheint nur der Nachbar Gottfried, den alle »Gote« nennen. Er stellt sich erfrischend ehrlich vor: »Ich bin hier der Dorf-Nazi.« Besoffen singt er mit Kameraden das Horst-Wessel-Lied und pöbelt gegen »Arschficker« und portugiesische »Pflanzkanacken«. Früher war Gote auch mal »Linke klatschen« und hatte Spaß bei den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen und anderswo. Seine Frau hat er eingebüßt, weil er nach einem Messerangriff auf einen Linken ins Gefängnis musste. Aber auch er hilft Dora tüchtig, und so freundet sich die Zugezogene mit ihm an. Sie genießt es sogar, endlich einmal echten »Männerschweiß« zu riechen und mit einem richtigen Kerl »Nackensteaks« zu grillen.

Juli Zeh möchte uns mit dieser Geschichte natürlich provozieren, aber es ist eine recht feige Provokation. Gote ist von den Rechten nicht der Schlimmste und hatte bei dem Angriff das Messer gar nicht in der Hand. Er wirkt eher wie ein herzensguter Brummbär, um seine Tochter Franzi kümmert er sich liebevoll. (…) Auch ein Nazi ist ein Mensch. Ein Mähänsch! Wenigstens Sex mit Nazis erspart uns die Autorin.

Die Frage, ob Juli Zeh wirklich genauso dumm ist wie ihre Heldin, ist nicht so wichtig. (…) Die Leichtigkeit, mit der sich eine arische Bürgertochter mit einem Dorf-Nazi verbrüdert, verrät uns außerdem etwas darüber, auf welcher Seite die Wohlstandsliberalen stehen werden, sollte es im politischen Kampf einmal wieder ernster werden.“

(Michael Bittner im Neuen Deutschland über Juli Zehs Roman „Über Menschen“)


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