Das Biopic über das Leben des ostdeutschen Dichters Thomas Brasch (dessen Gedichte Masha Qrella übrigens gerade in einem ziemlich guten Album vertont hat) zerfällt in zwei Teile: der erste Part spielt in der DDR und zeigt das aufrührerische Wesen Braschs, der beeindruckt von Popkultur (Nouvelle Vague!) und Politik (Prager Frühling!) sich nicht in das diktatorische System der DDR einnorden lassen will und ein ewiger Freigeist in jeder Hinsicht bleibt. In seinem beruflichen Streben, in der Familie, mit seinen Frauen – Brasch ist nicht einzuhegen, weder duchs Kinderkriegen noch durch den Kommunismus.
Nach Gefängnisaufenthalt und Strafarbeit wird Brasch als ewig renitentem Element in der DDR tatsächlich der Ausreiseantrag bewilligt. Er wird in West-Berlin gefeiert aufgenommen. Doch weder kommt Brasch mit Ruhm und einhergehendem Kokain gut zurecht, noch will er sich und seine Lebensgeschichte vom imperialistischen Ausland instrumentalisieren lassen. Es hat eben schon seinen Grund, dass eines seiner Gedichte lautet:
Was ich habe, will ich nicht verlieren, / aber wo ich bin, will ich nicht bleiben, / aber die ich liebe, will ich nicht verlassen, / aber die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, / aber wo ich lebe, will ich nicht sterben, / aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin: / aber bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.
Filmisch gelingt Andreas Kleinert die erste Hälfte seiner Erzählung über Braschs Leben ganz formidabel. Das Schwarz-Weiß von “Lieber Thomas” bringt nicht nur das Grausein der DDR zum Vorschein, sondern auch den Kontrast, den ein wilder Querkopf wie Brasch in diesem System setzt. Seinen inneren Aufruhr und den Willen zur Revolte fängt Kleinert stark ein.
Doch mit Übersiedlung in den Westen verliert sich “Lieber Thomas” in Künstlerklischees und surrealen Episoden, die dank der Überlänge von zweieinhalb Stunden mit zunehmender Spielzeit auch enormes Nervpotential entfalten.