vonChristian Ihle 08.04.2022

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Gestern haben wir die erste Hälfte eines Kapitels aus „Dreamworld“, einem neuen Buch über die Television Personalities, veröffentlicht. Hier folgt der zweite Part des Kapitels, das nun seinen Blick wieder zurück auf die Television Personalities selbst lenkt und die Veröffentlichung des 1982er Albums »They Could Have Been Bigger Than The Beatles« beleuchtet:

Es wird Zeit, eine nächste Platte zu veröffentlichen. Konzerte, Platten, Konzerte, Platten, das macht von nun an ihr alltägliches und unalltägliches Leben aus und hält sie am Laufen.
»They Could Have Been Bigger Than The Beatles« erscheint im Sommer 1982, nur sieben Monate nach dem zweiten Album. Es ist gleichzeitig eine Compilation und ein Album, ein ziemlich merkwürdiges Ding. Aus kommerzieller Sicht erscheint es offensichtlich zu schnell, aber für Whaam! verspricht es eine profitable Veröffentlichung zu werden, und der Band erlaubt es gleichzeitig, ein paar Songs ihrer ersten Platten noch mal anzufassen. Mit seinem frechen, aber womöglich zutreffenden Titel besteht »They Could Have Been Bigger Than The Beatles« aus sechzehn Stücken, darunter überarbeitete, besser erkennbare und eindringlichere Versionen von »14th Floor«, »The Glittering Prizes«, »David Hockney’s Diary« und einigen anderen. Der Song, der von der Überarbeitung am deutlichsten profitiert, ist zweifellos »King And Country«, das in eine sechsminütige mitreißende Polemik verwandelt wurde, elektrisierend und knisternd. Die letzten zwei Minuten sind besonders kraftvoll, angespannt und werden getragen von einem instrumentalen Monolog, in dem Gitarren, Bass und Schlagzeug nervös miteinander sprechen und vorwegnehmen, wie später Bands wie Pavement und einige andere arbeiten werden.

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Neben diesen ein, zwei Jahre alten Stücken stellt Daniel Treacy Songs zusammen, die er mit Ed Ball während der Sessions für ihre jüngste Totgeburt, The Gifted Children, aufgenommen hatte, sowie zwei Coverversionen von The Creation. Diese Band, im Wesentlichen zwischen 1966 und 1968 aktiv, stützte sich stark auf Eddie Phillips, einen der versiertesten Gitarristen jener Zeit, der von The Who hofiert und von Jimmy Page imitiert wurde und auf ein paar Singles, die Hits waren … in Deutschland. Ihr einziges Album wurde nur in wenigen Ländern vertrieben, darunter Frankreich, Deutschland und Holland, nicht aber in Großbritannien. Die Karriere von The Creation ist nur kurz, aber sie hat einen großen Einfluss auf Daniel Treacy und seine Mitstreiter, einschließlich des zukünftigen Gründers von Creation Records, Alan McGee, der seine Band nach einem Creation-Songs benennen wird, Biff Bang Pow. Es ist »Painter Man« von der A-Seite genau dieser Single, die Treacy auf dem dritten Album der Television Personalities zusammen mit einer eher anekdotischen Version von »Makin’ Time« aufnimmt. Diese Coverversionen, zusammen mit dem großartigen »When Emily Cries«, einem Song, der auch von Syd Barrett hätte stammen können, setzen die Television Personalities an die Spitze eines Psych-Mod-Revivals, das die Hauptstadt für ein oder zwei Jahre aufrüttelt. Die von McGee und später von Treacy selbst organisierten Gigs bilden das Epizentrum einer Szene, die von den Swinging Sixties genährt wird, die Kinks verehrt und versucht, ihre Art des Songwritings im Post-Punk-Umfeld der frühen 1980er-Jahre zu erneuern. Veranstalter sorgen dafür, dass jemand Partydrogen verteilt, manchmal organisieren sie das auch selbst, so wie sie, ähnlich wie Warhol, Konzerte planen, die durch Malerei- oder Tanzperformances oder Filmprojektionen verstärkt werden. Zehn oder fünfzehn Jahre später ergänzen Mainstream-Bands den musikalischen Auftritt wieder mit aufwendigen Bühnenbildern und riesigen Projektionsflächen, aber natürlich hat man bis dahin vergessen, dass all das damals mit dem wenig künstlerischen Wunsch angefangen hat, ein echtes audiovisuelles Erlebnis zu schaffen, eine Alternative zu den von der Wirtschaftskrise verwüsteten Leben. Hier liegt der wahre Antrieb der Television Personalities. Es geht nicht so sehr um Unterhaltung, Ablenkung oder Flucht vor der Welt. Vielmehr geht es darum, eine alternative Realität zu schaffen, in der die Helden- oder Medienfiguren, die im Mittelpunkt des aktuellen Geschehens stehen, Männer der Politik und der Macht, durch echte Volkshelden, fiktive Charaktere und ewige Künstler ersetzt werden.

Durch die Neuinterpretation älterer Songs zeigt »They Could Have Been Bigger Than The Beatles«, wie sich Daniel Treacys Auffassung seiner Kunst entwickelt. Wie Dylan vor ihm ist er der Auffassung, dass Songs keine dauerhafte Form haben: Er kann sie überarbeiten, sie kommen und gehen lassen, manchmal im Abstand von Jahrzehnten. Im Laufe der Zeit und mit Daniels zunehmend unangepasstem Verhalten beschleunigt sich diese Entwicklung. Die Songs sind nie festgeschrieben und die Texte sind abhängig von seinen Gedächtnislücken oder seiner spontanen Inspiration. Einige Songs eignen sich später besonders für solche Ad-lib-Improvisationen auf der Bühne, vor allem »A Picture of Dorian Gray«, »I Know Where Syd Barrett Lives« und natürlich »Salvador Dali’s Garden Party«, dessen Gästeliste bei jedem Auftritt genüsslich erneuert wird.

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Die Television Personalities sind eine Band in ständiger Bewegung. In ihrer Herangehensweise macht sie sich einen Bastler-Ansatz zu eigen, der später Do it yourself genannt werden wird: schnell produzieren, aus der Not heraus aufnehmen, improvisieren und die Songs nie proben. Der Bassist Jowe Head räumt ein, in den zehn Jahren von 1984 bis 1994 gerade mal an zwei formellen Bandproben teilgenommen zu haben. Zwei Arbeitseinheiten in zehn Jahren. Genau wie Mark E. Smith, der, nach vierzig Jahren als feste Größe der britischen Outsider-Rockmusik, 2018 verstorbene Frontmann von The Fall, weigert sich Daniel, seinen Musikern vor dem Konzert eine Setlist zu geben. Während Smith ihnen die Liste in der Regel ein paar Minuten vor Konzertbeginn zusteckte, um den Druck aufrechtzuerhalten, lässt Treacy sie meist das zu spielende Stück erraten, indem er ein oder zwei Akkorde des Songs als Einleitung spielt. Diese Technik verursacht einige Neuanfänge und Pausen, ist aber beeindruckend mutig und radikal. Was man später als Ungeschicklichkeiten und mangelnde Professionalität bezeichnen würde, basiert zu Beginn auf einem Verständnis von Kunst als augenblicklichem und unwiederholbarem Spektakel.
Daniel Treacy startet auf der Bühne Sequenzen, die wie Testläufe oder spontane Eingebungen klingen. Probiert er Songs, die er im Kopf hat? Denkt er laut? Die Liste der verlorenen Songs, die ein paar wenige Male oder sogar nur einmal gespielt, erwähnt und nie wieder gehört werden, könnte mehrere Alben füllen.

»The Lives Of Millionaires« wird im Oktober 1984 in Brighton vorgestellt. Es wird sechs Monate später in London gespielt, bevor es im Frühjahr 1988 in Schottland wieder auftaucht. »The Saddest Day I Ever Lived« wird am 7. Mai 1982 mit dem Beginn des Berlin-Konzerts vor Nico geboren und stirbt auch dort. »Sad Little Boy«, »Beyond My Wildest Dreams«, »Shadows That Haunt Me«, »Somebody Loves You« werden alle am gleichen Tag getestet, während eines Akustikkonzerts, das Daniel und Ed Ball im November 1988 in London spielen. Keiner dieser bemerkenswerten Songs wird jemals wieder auftauchen. Ganze Alben gehen unter oder gehen verloren oder leben auf Bootleg-Tapes weiter, die unter Fans kursieren. Die Songtexte werden manchmal in Notizbüchern notiert oder finden sich später im Internet wieder, wo ihre Existenz durch einen Zuschauerbericht beglaubigt wird.
Flyer und Poster wechseln den Besitzer oder werden in Schubladen aufbewahrt. Fanzines werden geschrieben, in denen sich die Helden der Zeit mitteilen und über ihre Karriere berichten. Wie in den meisten Zivilisationen werden Aufzeichnungen geführt und eifersüchtig gehütet. Geschichte wird immer irgendwo geschrieben, belegt durch Gefühle, die sie weckt, und die Spuren, die sie im Leben der Menschen hinterlässt.

»They Could Have Been Bigger Than The Beatles« ist eine seltsame Zusammenstellung, der es trotz ihrer anarchistischen Verfassung nicht an Kohärenz mangelt. Die neuen Stücke sind bemerkenswert, eine Mischung aus Leichtigkeit und dem Geist der Zeit. Großbritannien befindet sich im Krieg um die Falklandinseln, die von der argentinischen Diktatur überfallen wurden. Es ist ein kurzer Konflikt, der gewonnen wird und Margaret Thatcher im folgenden Jahr die Wiederwahl sichert. Die Fußballweltmeisterschaft wird in Spanien ausgetragen. England scheidet nach einer kläglichen zweiten Runde aus, ohne ein einziges Tor geschossen zu haben. Margaret Thatcher ist an der Macht, die sie bis 1990 behalten wird. Die IRA zündet Bomben im Hyde Park und in der Regent Street, die mehr als zwanzig Todesopfer fordern. Neun weitere Menschen werden 1983 in Harrods, nur wenige hundert Meter von der King’s Road, getötet. Das Land driftet langsam auseinander, verändert sich im Eiltempo und mit Schmerz und Leid. Die konservative Revolution bringt die Menschen zum Tanzen, zum Vergessen und gleichzeitig zum Widerstand. Man kann die zweite psychedelische Welle nicht von dem Kontext trennen, in dem sie entsteht. Es wird Krieg gegen die Armen geführt und jeder versucht, sich durchzuschlagen. Die zweite psychedelische Welle hat wenig mit der ersten zu tun. Es ist eine Bewegung, die die Realität der Zeit nicht ignoriert, eine Bewegung von hungrigen Menschen, die Mitte der 1980er-Jahre keine anderen Möglichkeiten haben zu flüchten oder ihr Leben außerhalb des herrschenden Systems aufzubauen.

Weiterlesen:
Die erste Hälfte des Kapitels: „Television Personalities meet Nico, 1982 in Berlin“

Abdruck aus »Dreamworld« von Benjamin Berton, Ventil Verlag
Hier zu finden.

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