vonChristian Ihle 08.09.2022

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Kürzlich habe ich darüber nachgedacht, wie populär eigentlich die wichtigen Bands aus den vergangenen Jahrzehnten heute noch sind. Welche Langlebigkeit haben Gruppen wie Oasis und Blur – aber auch die Manic Street Peachers? Oder gar Sleeper?

Spotify sorgt ja für eine ungewohnte Transparenz, indem beispielsweise die Streaming-Zahlen der Songs offen gelistet werden. Also habe ich mich in meine Brit-Pop-Vergangenheit eingegraben und analysiert, wer heute noch wie oft gestreamed wird. Natürlich gibt es Verzerrungen, weil nicht jede Band schon immer mit all ihren Songs auf Spotify zu finden war, aber als grober Indikator für die heutige Popularität sollte dieser Blick schon helfen. Um die Perspektive etwas zu verbreitern, habe ich nicht nur den erfolgreichsten Song recherchiert, sondern auch den fünfterfolgreichsten mit seinen Streamingzahlen notiert. Denn bei manchen Bands gibt es natürlich den einen Überhit, der hundertmillionenfach gestreamed wird, während der Rest des Oeuvres eher digitalen Staub fängt (Hallo Supergrass!).

Ich sehe übrigens einen Indikator, ob eine Band als Ganzes heute noch geliebt wird, wenn der Top5-Song im untenstehenden Band-Ranking über dem Top1-Song steht – dann ist davon auszugehen, dass sich der Hit nicht allein verselbstständigt hat und durch Playlists geistert, sondern gezielt Fans den Katalog der Band auch heute noch hören. Ein Beispiel wären Blur, die zwar mit „Song 2“ den einen Monsterhit haben, aber hinsichtlich ihres Top-5-Songs nur von Oasis und Radiohead übertroffen werden.

Und jetzt natürlich die wichtigen Fragen:

Ist „Song 2“ größer als „Bitter Sweet Symphony“?
Sind die Manic Street Preachers populärer als Suede?
Pulp oder Travis?
Hört noch irgendjemand Menswear?

Einige Auffälligkeiten:

Oasis: Stop Crying Yr Heart Out auf #4 (202 Mio), Half The World Away als b-Seite in den Top 10 (94 Mio, #7)
Radiohead: Zwei Songs aus „In Rainbows“ in den Top10, aber keiner von Kid A oder Amnesiac
The Verve: Mit „Love Is Noise“ ist vom vielgehassten vierten Album dann doch ein Song erstaunlich langlebig. Der wunderbare frühe Hit „History“ ist dafür nicht in den Top5.
Blur: „Ghost Ship“ vom Comeback-Album rätselhaft erfolgreich: 54 Mio Plays (#7)
Supergrass: „Alright“ megaerfolgreich im Vergleich zum sonstigen Backcatalog. Mit „Caught By The Fuzz“ erstaunlicherweise nur ein weiterer Debütalbumsong in den Top10
Pulp: Drei Lieder aus der Zeit vor Different Class Songs in den Top10 (u.a. „Babies“ #3, 46 Mio)
Travis: Obwohl „Why Does It Always…“ der große Durchbruch für Travis war: nur auf #2 mit halb so viel Streams wie „Sing“. Generell weniger vom Monstererfolg „The Man Who“ als man denken würde
Placebo: Zweiterfolgreichster Placebo-Song ist ein Kate Bush – Cover: 105 Mio Streams für „Running Up That Hill“
Manic Street Preachers: Mit „Your Love Is Not Enough“ & „Autumnsong“ zwei „späte“ Songs auf #4 & #6 und damit erstaunlich weit oben.
Suede: Mit „The Wild Ones“ nur ein Song von „Dog Man Star“ in den Top10
Lightning Seeds: Trotz der zweijährlichen Ubiquität wird „3 Lions“ seltener gehört als gedacht. „Pure“ & „Life Of Riley“ sind die ‚regulären‘ großen Hits (#2/#3)
Ash: Das zweite Album Nu-Clear Sounds ist leider völlig vergessen, kein Song mehr als 250.000 Streams, trotz „Jesus Says“ und „Wildsurf“. Erstaunlich dass dann wieder zwei Lieder vom vierten Album „Meltdown“ heute häufiger gehört werden als Top10-Hits vom Debütalbum wie „Oh Yeah“ und „Goldfinger“
Elastica: in den Top10 nur Songs vom Debütalbum, „Waking Up“ mit nur 5,3 Mio und damit viel zu wenig Plays für dieses fantastische Lied
Kula Shaker: Die beiden Kula-Shaker-signature-songs „Tattva“ & „Govinda“ erst auf #3 & #4

The Bluetones: „Slight Return“ ist der mit Abstand größte Hit, auf #2 überraschend Sleazy Bed Track (4,5) der damals nur #35 in UK und damit der erste Single-Flop der Band war
Shed Seven: „Chasing Rainbows“ doppelt so erfolgreich als Shed Sevens einziger UK Top10 Hit „Going For Gold“ (#2/10,0)
Embrace: Entgegen meiner Erwartung sind die beiden erfolgreichsten Songs nicht vom Debüt, „All You Good Good People“ (#3/7,6) + „Come Back To What You Know“ (#4/7,3) erst danach. „Nature Law“ auf #5 sogar vom 2006er Album, das ich ganz vergessen hatte.
Catatonia: „Road Rage“ & „Mulder+Scully“ mit 14 bzw. 11 Mio Streams, dann aber keiner mit mehr als einer Million (Ausnahme: „Dead From The Waist Down“, der auch einziger Song vom darauffolgenden Album der in den Top10 ist)
The Boo Radleys: „Wake Up Boo“, klar. Aber der zweiterfolgreichste Song? Ein „There She Goes“-Cover aus dem vergessenen Mike Myers Film „How I Married An Axt Murderer“…
Divine Comedy: „Generation Sex“ nicht mal in den Top10.
Space: Größter Chart-Hit „The Ballad Of Tom Jones“ (UK #4) nur auf 4 mit 1,6 Mio.
The Seahorses: John Squires Stone-Roses-Nachfolgeband hat zwei immer noch erstaunlich erfolgreiche Hits („Blinded By The Sun“ & „Love Is The Law“) mit je 9 Mio Streams, der Rest fällt deutlich ab
Sleeper: Ein Blondie-Cover ist heute der meistgespielte Sleeper-Hit
Echobelly: „Today Tomorrow Sometime Never“, Opener des Debüts & mein Lieblingshit von Echobelly, wird auf Spotify ignoriert, nur 163.000 Streams
Menswear: die große Hype-Band, die nie geliefert hat, läuft auch auf Spotify unter ferner liefen und hat die niedrigsten Werte aller analysierten Bands

P.S.: Natürlich ist die Auflistung keine strenge Brit-Pop-Genre-Definition, aber eben britische Indie-Gitarren-Bands aus den Mitt-90ern, die im weitesten Sinne unter diesen Schirm gefasst wurden.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2022/09/08/ist-das-noch-populaer-britpop-edition/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Ah, das erklärt es! Danke fü den Hinweis.
    „Half The World Away“ war immer eine meiner liebsten Oasis-B-Seiten. Die kommt ja noch aus der ganz großen Noel-Gallagher-Zeit, als er nicht wusste wohin mit all seinen guten Songs und solche Knaller wie „Half The World Away“, „The Masterplan“ oder „Acquiesce“ als b-Seiten verbraten hatte.

  • „Half The World Away“ von Oasis ist der Titelsong der populären und lange gelaufenen (3 Staffeln und mehrere Specials über insgesamt 14 Jahre verteilt) Sitcom „The Royle Family“. Daher verwundert es nicht, dass gerade dieser Titel oft abgerufen wird. Tatsächlich bin z.B. ich auch erst durch die Serie auf diese B-Seite aufmerksam geworden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert