vonChristian Ihle 08.02.2023

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Früher Proto, heute Retro, immer Pogo:
Die Hard Lovin` Men von Johnny Moped im Wild at Heart (04.02.2023)

Hand auf`s Heart! Wenn Sie es nicht vielleicht sogar besser gewusst hätten, hätten Sie sich dann hinreißen lassen, das Konzert einer Band namens Johnny Moped zu besuchen? Wahrscheinlich nicht, aber hätten Sie mal besser!

Denn dann wäre Ihnen nicht eines dieser kleinen Konzerte entgangen, die einen langen Erinnerungswert haben. Am vergangenen Samstag waren Johnny Moped zu Gast im gutgefüllten Kreuzberger Wild at Heart, was der Location nach schon eine Empfehlung ist. Ist doch dieser Klub schon seit Jahr und Tag auf kleiner Bühne, aber mit großer Hingabe subkulturellen Künstler*innen verschiedener Genres verpflichtet.

Nun also Johnny Moped. Eine Band, die 1974 im Süd-Londoner Stadtteil Croydon von Sänger Paul Halford und ein paar Jungs gegründet wurde, die einfach nur der Langeweile entfliehen wollten und Spaß an rauer Rockmusik hatten. Kurze Zeit später nannte sich das Ganze Punk, und unsere Jungs wurden nachträglich zu Proto-Punks geadelt. Wegen der Vorliebe Halfords für schwachmotorisierte Zweiräder verpasste der Gründungsgitarrist Ray Burns ihm den Spitznamen Johnny Moped, was nach einigen sprachlichen Irrungen und Wirrungen auch zum Bandnamen wurde. Burns verließ später die Band und gründete unter dem Namen Captain Sensible die Band The Damned, der Rest ist Geschichte. Eine andere Geschichte ist die von Chrissie Hynde, die als zweite Gitarristin gefeuert wurde und später mit den Pretenders zu großem Ruhm gelangte. Johnny Moped hingegen erwarben sich zwar einigen Respekt, spielten in den angesagten Punkclubs und finden sich auch heute noch auf jeder ordentlichen Punk-Anthologie, der ganz große Wurf gelang ihnen aber nie. Vielleicht, weil ihnen die schrille Attitüde der Sex Pistols, das Sendungsbewusstsein von The Clash oder das Prosaische der Buzzcocks fehlte. Und es fehlte ihnen wohl auch der zündende Ehrgeiz, zumal sich Halford mehr und mehr zurückzog. So war nach dem immer noch großartigen 1978er Album Cycledelic erstmal Schluss, es kam danach mehrfach zu eher kurzlebigen Neuversuchen.

Johnny Moped spielt im Kreuzberger Club Wild at Heart.
Johnny Moped spielt im Kreuzberger Club Wild at Heart.

Einigermaßen stabil ist die Formation erst wieder seit 2015. Aus alten Tagen sind noch dabei der Sänger Paul Halford, Drummer Dave „Berk“ Batchelor und „Slimey Toad“ als damalige Nachbesetzung für Ray Burns. Vervollständigt wird das Quintett von dem zweiten Gitarristen Robert Brook und einem Bassisten mit dem launigen Namen Jacko Pistorious. Nach der großartigen Einstimmung durch die Berliner Punkband Bad Shapes traten die Fünf auf die Bühne des Wild at Heart und feuerten sofort los. Als Opener brachten sie das fulminante „Catatonic“. Halford trug dabei wie immer seine benietete schwarze Lederweste, außerdem ein T-Shirt mit der sinnigen Reminiszenz „Möpedhead“. Er hielt sich ein wenig tapsig am Mikroständer fest und nuschelte hier und da etwas ins Volk, was allerdings wegen seines Herkunftsslangs nicht immer verständlich war. Machte nichts, er und die gut aufgelegte Band ballerten routiniert durch die Setlist mit 24 Songs inklusive der Zugaben. Darunter waren natürlich solche Perlen wie „Rookie“, „VD Boiler“, „Darling, let`s have another baby“, „Hard lovin‘ man“ und „Groovy Ruby“. Das Publikum dankte es mit Jubel und im Bühnenbereich mit Gepoge und Geschubse. Irgendwann hing dann passend noch ein 1. FC Union-Schal am Mikroständer. Nach dem Konzert noch ein schnelles Bier, „Slimey Toad“ kurz die Hand geschüttelt und raus auf die Wiener Straße. Fast so wie früher, nur älter. Und wer sich jetzt zu Recht ärgert, dieses kurzweilige Konzert verpasst zu haben, dem sei zumindest die derzeit auf Netflix verfügbare Doku Basically, Johnny Moped von Fred Burns (des Captains Sohn) empfohlen.

Johnny Moped spielt im Kreuzberger Club Wild at Heart.
Johnny Moped spielt im Kreuzberger Club Wild at Heart.

Text: Gero Riekenbrauck
Fotos: Martin von den Driesch -> noch mehr Fotos des Abends sind hier zu finden.

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