vonChristian Ihle 13.03.2023

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Mit keinem Künstler habe ich soviele Interviews geführt wie mit Andreas Spechtl von Ja, Panik – auch wenn das letzte schon etliche Jahre zurück liegt. Zur 2021 veröffentlichten letzten Platte und der gerade erschienen Non-Album-Single „Counterpoints“ haben wir uns wieder getroffen und die Entwicklung innerhalb der Gruppe Ja, Panik besprochen. Und natürlich einige ewige Themen – Popularität im oder gegen den Mainstream, die Frage nach dem Guten Leben, Revolution – diskutiert, die in unseren Gesprächen im letzten Jahrzehnt immer wieder im Zentrum standen.

Sieben Jahre liegen zwischen dem letzten Ja, Panik Album LIBERTATIA und DIE GRUPPE. Aus eurem 2016 erschienen Buch FUTUR II hätte man aber schon auch herauslesen können, dass Du einen Schlussstrich unter Ja Panik gezogen hast?

War’s ja auch. So wie Ja Panik damals funktioniert hat, nachwirkend auch von den Personalwechseln, vom Auflösen unserer Band-WG und dass wir nach und nach Zweifel am Ganzen bekommen hatten… Einen Teil des Buchs macht ja auch die fragende Haltung des Buchs aus: wir wissen nur ’so geht’s nicht weiter‘, aber wir wissen noch nicht, wie es weitergehen könnte.
Wir haben es uns offengelassen. Es war klar, es gibt uns erst einmal nicht mehr, aber wir lösen uns auch nicht offiziell auf. Für Außen ist die Band vielleicht nur die Platten die man veröffentlicht, aber für uns war Ja, Panik immer mit viel Persönlichem verknüpft… Allein die Freundschaft zwischen Stefan (Pabst, Bassist, Anm.) und mir, die die Quintessenz von Ja Panik ist, hält schon an seit wir beide zehn Jahre alt sind. Und auch wenn wir als Ja Panik gerade nicht existierten, hat die angehalten. Wir haben uns immer gesehen und darüber geredet, was man noch machen könnte. Die probende, musizierende Gruppe Ja Panik war nicht mehr vorhanden – der Rest schon.

Die Pause war die einzige Möglichkeit, dass es Ja Panik noch weiter gibt. Damals war klar: wenn wir jetzt aufhören, kann man später noch einmal etwas aufnehmen. Wenn wir es jetzt aber weitertreiben, dann macht man schnell noch eine Platte, aber dann sicher keine mehr.

Euer LIBERTATIA-Album hattet ihr mit Tobias Levin aufgenommen. Als wir uns damals zu dem Album unterhielten, meintest du, dass es der anstrengendste Prozess für eine Platte war & wenn Ja, Panik noch einmal so eine Platte aufnehmen würden, gäbe es die Gruppe nicht mehr. Zuvor hattet ihr mit Moses Schneider aufgenommen, der eine an Livesituationen angelehnte Produktion bevorzugt. Tocotronic sind den Weg andersrum gegangen: das „Weiße Album“ mit Levin, die Platten danach mit Schneider.

Für uns war Tocotronics „Weißes Album“ auch ein großer Grund, warum wir damals zu Levin gegangen sind. Das „Weiße Album“ ist immer noch eine der besten deutschen Pop-Platten. Auf jeden Fall diejenige, die am besten klingt. Tobias Levin ist schon der feinste, am wenigsten deutsch klingende Produzent.

Psychologisch war der Aufnahmeprozess aber für uns sehr anstrengend. Das lag jetzt gar nicht nur an Tobias Art zu arbeiten, sondern ganz einfach auch an der besonderen Situation in der sich die Band gerade befand. Zwei Leute waren ausgestiegen (Gitarrist Thomas & Christian an den Keys, Anm.), wir waren irgendwie auf der Suche nach einer neuen Form der Gruppe und haben inmitten dieser Umbruchphase uns noch dazu entschieden mit Tobias einen sehr starken und fordernden Produzenten in dieses sensible Konstrukt rein zu lassen. Das hat uns glaube ich am Ende künstlerisch in mancherlei Hinsicht gut getan, aber emotional und zwischenmenschlich hat es uns auch gewisse Grenzen aufgezeigt.

Die neue Platte habe ich produziert bzw. wir als Gruppe gemeinsam. Es hat uns gutgetan, selbst zu machen und drauf zu scheißen, dass wir vielleicht nicht das technische Know-How haben. Es entspricht wieder mehr dem Selbstverständnis der Gruppe Ja, Panik und reicht zurück an die „Taste & The Money“, die wir damals auch stark selbst aufgenommen hatten. Genau das hat uns auch geholfen wieder als Gruppe zusammen zu wachsen. Bei LIBERTATIA warten wir eher drei Einzelmusiker.

Erst nach der LIBERTATIA-Aufnahme ist Laura Landergott zur damaligen Tour dazu gestoßen. DIE GRUPPE ist nun die erste mit Laura aufgenommene Ja,Panik-Platte. Was bringt Laura in die Band mit ein?

Laura hat ein Gefühl für zweite Stimmen und durchblickt das technisch wie theoretisch.
Laura ist ursprünglich für Christian gekommen, also Keyboarderin. Jonas Poppe (jetzt: Oum Shatt, Anm.) ist der eigentliche Ersatz für Thomas gewesen, aber als Jonas auch schnell wieder ausgestiegen ist, hat Laura praktisch beide ersetzt. Auf der Platte ist sie hauptsächlich Gitarristin, vor allem was die filigranen Gitarrenlinien angeht. Die Riffs, Akkorde sind dagegen eher von mir. Live ermöglicht mir Laura, dass ich mich mehr aufs Singen konzentrieren kann, was mir unheimlich viel Spaß macht. Sie ist eine sehr, sehr gute Gitarristin, Thomas dagegen war mehr ein Effekt-Gitarrist. Auch ein ganz toller Gitarrist, aber ganz anders: Thomas brauchte etwas, woran er sich festhalten und darauf seine Noise-Wand bauen kann. Laura dagegen kann auch ein Stück allein tragen.

Rabea ist ein weiteres neues, und wie ich finde, wichtiges Element für Ja, Panik. Ihr No-Wave-Saxophon bringt eine Kühle im Sound mit ein, die am Ende auch das ganze Album bestimmt hat. Live ist sie sogar noch präsenter. Ist sie offiziell Ja, Panik-Mitglied?

Wir sehen das alles nicht so streng. Denn im Grunde gehört zu Ja, Panik auch immer noch Christian (aus der Ur-Besetzung, nach DMD KIU LIDT nicht mehr bei den Aufnahmen dabei, Anm.), der zum Beispiel auf der neuen Platte viele Backing Vocals gesungen hat und bei der Tour als Lichttechniker dabei war. Aber ja: Rabea ist bei der Gruppe Ja, Panik. Wenn wir etwas Neues machen, wird Rabea dabei sein. Gerade sind eh viele Leute in der Gruppe Ja, Panik und man muss sich auch sehr anstrengen, dass man rausfliegt. *lacht*

Die nächsten Jahre ist Rabea zum Beispiel beruflich viel in Argentinien. Deswegen haben wir gerade mit Annea Lounatvuori eine neue Live Musikerin aufgenommen. Sie spielt Saxophon, aber ist auch gelernte Cellistin. Sie wird auch auf der kommenden Platte zu hören sein, gemeinsam mit Rabea. Wir sehen das “Gruppe-Sein” also gerade sehr offen. Wer gerade da ist, ist dabei. Vielleicht spielen wir mal nur zu viert, vielleicht mal alle sechs live. Ich mag das sehr, wie sich das gerade immer mehr in so eine Art Kollektiv entwickelt, das auch in seinen Einzelteilen funktioniert.

Henne-Ei-Frage: klingt DIE GRUPPE so, weil Rabea diesen Input gibt, oder sind die Songs so geschrieben, dass es diesen kühlen, weirden Input braucht?

Am Tag der Aufnahme hat der Lockdown in Österreich begonnen. Manche konnten nicht einmal anreisen. Rabea hat deshalb ganz frei über die Demos gespielt, wovon viel auch auf der Veröffentlichung übrig geblieben ist. Im Gegensatz zur sonstigen Platte, bei der alles genau überlegt und durchdacht wurde.

Sie spielt aber live auch bei vielen alten Stücken Saxophon, dadurch hört sich das Konzert nicht wie ein Flickenteppich an, sondern wir haben den neuen Sound in die alten Songs integriert. Rabea spielt ihr Saxophon auf Thomas‘ Gitarrenlinien, zum Beispiel bei „Ich bringe mich in Form“, „Trouble“ oder „Eigentlich wissen es alle“.

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Sind die neuen „Counterpoint“-Singles bereits zum Album geschrieben worden oder erst danach?

Die Musik haben wir bereits zur Platte aufgenommen, die Texte aber sind neu. Ich texte immer ein ganzes Album: ein Haufen an Text, der nachher Stücken zugewiesen und nach Themen sortiert wird. Zum Beispiel steckte in einem der „Counterpoint“-Singles, unserem White-Boy-Hip-Hop mit Stromgitarren-Song, ursprünglich der „Apocalypse Or Revolution“-Refrain sowie die Lyrics von „Backup“. Die erste „Counerpoint“-Single ist übrigens mehr im Radio gespielt worden als die Songs vom Album, aber sie war uns zu poppig für DIE GRUPPE.

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Für die Spotify-Ära ist DIE GRUPPE ungewöhnlich aufgebaut. Standard ist ja derzeit, dass alle Bands ihre „Hits“ nach vorne schieben und die Alben dann im weiteren Verlauf abflachen. „Die Gruppe“ hat dagegen einen schwierigen Einstieg mit den ersten vier Stücken, dafür war der zweite Part für mich die beste Plattenhälfte des Jahres.
Es wäre aber ja auch eine andere Entscheidung denkbar gewesen, z.B. der große Titelsong mit seinen mächtigen Drums – auch das wäre ja ein denkbarer Opener gewesen?

Das war auch lang eine Überlegung. Wir stehen aber auf das Albumformat als Möglichkeit, eine Geschichte in einzelnen Kapiteln zu erzählen. Da der Sound ja anders ist als auf den Alben zuvor, wollten wir mit dem Tracklisting eine Welt etablieren. Du kannst dir die erste Hälfte der Platte – bis „Livestream“ – als ein langes Intro vorstellen. Es werden Themen und Sounds in einer experimentelleren Weise bereits zu Beginn angedeutet, erst später kommt das fertige Ergebnis. Der erste Song ist ein Crescendo, nur Gitarren, kein Refrain. Die Platte endet dann aber in dieser großen Frage: Apocalypse Or Revolution?

Ich habe von Ja, Panik zugeneigten Freunden gehört, dass sie keinen Zugang zu DIE GRUPPE finden und sie mit dem „kalten Sound“ hadern.

Dabei ist es doch eine sehr persönliche Platte! Oder das Persönliche ist eben die Kälte. *lacht*

„Die Gruppe“ ist in einer emotional sehr schwierigen Phase entstanden. Ich hatte das Gefühl, dass ich Texte, die ich zu „DMD KIU LIDT“ geschrieben habe, erst jetzt erst verstehe. Es geht um Depressionen und Ängste, die ich damals noch gar nicht hatte. Wenn ich jetzt auf „DMD“ zurückschaue, war ich dort in einem Zustand von Melancholie oder Traurigkeit, vielleicht mit einem kleinen Drogenproblem, aber in „DMD“ ging es um Menschen und Sachen, die um mich herum geschahen.

Nimm „The Cure“ von der letzten Platte dagegen: das ist vielleicht persönlichste Stück, das ich je geschrieben habe. Ein Jahr vor Corona hatte ich krasse Panikattacken, ich kannte so etwas vorher nicht. Ich war einige Male in der Notaufnahme und dachte, es ist vorbei, eine leicht dramatische Fehldiagnose inklusive – damit hatte ich dann mehr als eineinhalb Jahre ziemlich zu kämpfen. Und darum geht es in dem Stück. Dass gerade dieses Stück, eben besonders die Doktor-Passage, immer im Zusammenhang mit Corona gelesen wurde, hat mich dann bei der ersten Rezeption des Albums ziemlich genervt („Doctor hilf mir / Doctor bitte / Doctor hilf mir / Damit ich wieder rausgehen kann / Doctor please / Ach doctor bitte / I wanna see the sun“).

„The Cure“ ist eine Reminiszenz an mein jüngeres Ich. Nun sitze ich bei irgendwelchen Ärzten und erwarte, dass mir jemand hilft. Ich musste mich dann selbst daran erinnern, dass es Faktoren gibt, die von außen kommen, die vom System sind. „It’s nothing personal“ (Anm.: aus „DMD KIU LIDT“), daran musste ich mich selbst erinnern. Was dich richtig kaputt macht, ist das Leben, in dem du gefangen bist. „The Cure“ ist sowohl Hommage an „DMD KIU LIDT“ als auch Erinnerung: „The only cure from capitalism / Is morе capitalism“ – Du weisst es doch eh, Andreas!

Ich hatte ja gedacht, dass der Satz marxistisch zu verstehen ist, also dass erst wenn die Krise so groß ist, dass das System sich selbst besiegt, eine Revolte möglich wird. Es ist aber gar nicht politisch gemeint?

Doch, man kann es natürlich so lesen und es ist auch eine Fährte in diese Richtung. Allerdings glaube ich nicht daran, denn im Grunde wurde diese Marx‘sche Idee doch widerlegt. Jede Krise hat den Kapitalismus stärker gemacht.
Der Satz ist ein Neudenken, eine Paraphrasierung von „Denn das, was uns zerstört, will uns gleich schon reparieren“ (Anm.: Textstelle aus DMD KIU LIDT). In dem Satz ist Kritik: die Person, die vorher den Doktor sucht, merkt: ich weine den Falschen an. Gewisse staatliche / wirtschaftliche Strukturen setzen daran, Dich zu zerstören. Gleichzeitig stellen sie aber auch die Heilung, die Ärzte, die Psychotherapeuten zur Verfügung. Es gibt kein Außen.

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„The Cure“ ist auch einer der wenigen „Sing Along Momente“ auf dem Album. Ist das auf Konzerten nun seltsam, wenn ein so persönliches Lied von BesucherInnen entgegengesungen wird?

Nein, es hilft mir. Ich glaube an eine Heilung durch gemeinsames Singen und durch Konzerte. Das ist so nah, wie ich an Gospel kommen kann.

Direkt vor „The Cure“ ist einer meiner liebsten Songs auf dem Album, „1998“.

Wir als Mitt80er Kinder haben mit dem Internet unsere Adoleszenz erlebt. Ich kann mich an eine analoge Festnetz-Zeit erinnern, aber als ich in die Pubertät kam, war SMS, Internet, Netzwerk, Napster da. In dem Moment, wo du selbst gebaut wirst, tritt also auch all das neu auf.

Ich wollte einen Song über dieses Erleben schreiben. Es gab tausend Versionen davon, aber alle waren platt. Es ist einfach keine gute Idee – wer will schon einen Song übers Internet schreiben? Dann habe ich aber über das Erleben als 14jähriger geschrieben. Wie das war, heimlich den Router anzumachen und zu denken die Mama merkt‘s nicht… bis die Rechnung kam. Sich dann die ersten Blur- oder Oasis-Tabs herunterzuladen, Sachen zu bestellen. Wie das mein Leben auf dem Land verändert hat.
Ich glaube, in der westlichen Welt gibt es diese Art von „300 Einwohner Kaff – Situation“ gar nicht mehr, hundert Kilometer vom nächsten Plattenladen entfernt, ohne jeden Zugang Zugang zu irgendeiner Szene. Wenn du 14 bist und unbedingt die Welt brauchst, aber in so einem Kaff sitzt… und dann ist auf einmal das Internet da:
„a crack in the world“.

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Natürlich hat sich nichts von den großen Versprechen – wie Macht transferiert wird – eingelöst und das Internet ist doch nur eine Spiegelung der Welt mit einer Potenz ins Böse. Dabei sind Möglichkeiten wie die Vernetzung von kleinsten Randgruppen zu machtvoller Größe immer noch vorhanden. Theoretisch ist das Handwerkszeug noch da, aber es wurde ein anarchischer Ort im schlimmsten Sinn, weil keine Regelungen da waren und so das Internet okkupiert wurde.

Aber ist das nicht extrem deprimierend, weil ein von der Gesellschaft unregelementierter, „total anarchischer Ort“ doch sonst etwas ist, das Subkulturen suchen? Denn es gab für einige Jahre diesen Raum und in deinen Worten änderte es sich zum schlimmstmöglichen, weil die Regeln und Strukturen nicht da waren?

Es ist aus meiner Sicht wahnsinnig naiv zu glauben, dass innerhalb eines ausbeuterischen, klassistischen und patriarchalischen System etwas Großes, Wichtiges, Befreiendes passieren kann. Im Kleinen kann das geschehen, aber auch nur, weil es komplett harmlos für das Große ist. Aber ich habe keinen Weg gefunden. Warum sollte der Kapitalismus, in dem wir leben, einen total freien, anarchistischen Ort zulassen? Er muss ihn bekämpfen, einer von beiden wird drauf gehen.

Es ist im Endeffekt die interessanteste Frage, es ist auch die Frage nach dem „schönen Leben“.
Ich will ja nicht unglücklich sein, ich will’s doch auch gut haben.

Die Chancen sind aber ziemlich klein, dass ich noch einmal in einer emanzipierten Welt aufwache. Hier nicht in eine „es ist egal“ – Haltung zu verfallen ist eine Aufgabe, die gerade auch mit dem Alter immer schwerer, aber auch interessanter wird. Denn ich habe auch keine Lust, kleinbeizugeben, meinen Stachel zu verlieren.

Diese Haltung spiegelt sich auch in „Apocalypse Or Revolution“ wider…
Ein politisches Statement to end all politische Statements, obwohl der Song ja ohne die musikalisch gestreckt Faust auskommt, die sonst fester Bestandteil von Revolutionsliedern ist.

Total. Es geht um das Suchen, es geht um genau diese Fragen. „Apocalypse…“ ist nicht unkonkret, aber wie du sagst: es fehlt die gestreckte Faust. Man ist ja nicht auf der Suche nach einer Haltung! Es ist kein „du weißt nicht, was du willst“ – sondern: wie gehe ich damit um, wenn ich weiß, was ich will, aber nicht die Mittel dafür in der Hand habe. Wie sehr lasse ich mich fertig machen.

Wie ich die Welt erlebe, werden mir zwei Dinge angeboten: find dich damit ab, schleif deinen Stachel ab und dafür geben wir dir einen kleinen Teil von Glück und Zufriedenheit, wofür du dich aber hier und da schänden lassen musst. Oder du entscheidest dich dagegen anzukämpfen, bist wirklich der Feind: dann bekommst du gar nichts.
Dann machen wir es dir schwer: emotional, ökonomisch, in jeder Hinsicht.

Gibt es ein Arrangieren im System? Einen Teil vom „guten Leben“ haben, aber dennoch der Stachel im System bleiben?

Die Frage ist, was will der Stachel? Ist er nur für einen selbst? Interessiert das System meinen Stachel? Oder nur, dass ich selbst behaupten kann, ‚ich bin ein Stachel‘ und damit mein eigenes Gewissen beruhigen kann? Dass ich es repräsentativ für andere erledige? Für diejenigen, die Ja, Panik hören – einen Anarcho – und damit ihr safes eigenes Leben angespitzt haben?

Momentan ist es ein Suchen, wie man kleine Dinge ändern kann. Immer wieder Hierarchien, Patriarchat, Rassismen hinterfragen. In einem selbst, in dem Arbeitszusammenhang, in dem man ist. Da bist du wieder bei Hauptwiderspruch / Nebenwiderspruch. Ja, natürlich wird ‚mehr Rechte für Minderheitengruppen‘ nicht die Weltrevolution auslösen – aber es ist auch falsch zu sagen, man sollte erst die Weltrevolution machen und sich danach um die Benachteiligungen kümmern. Jedes kleine Recht ist wichtig erkämpft zu werden.

Vielleicht bereiten wir ja auch etwas Großes für unsere Kindeskinder vor.

Zu LIBERTATIA-Zeiten und anlässlich von „Eigentlich wissen es alle“ hattest du mir im Interview gesagt, dass um dich herum immer mehr Leute wegbrechen in ein „bürgerliches Leben“. Jetzt sind acht Jahre vergangen…

Da kann ich dir ganz einfach antworten: es wird immer schlimmer. lacht
Karriere, Kinder – ab einem gewissen Alter nimmt das eine Wichtigkeit ein. Was ich traurig finde: wenn Dinge, gegen die man angekämpft hat, sich über die Leben stülpen und argumentiert wird, man hätte ja keine Wahl.
Es kommen aber einige auch wieder zurück, in einigen Jahren.
Zumindest hoffe ich das.

Morgen folgt der zweite Teil des Interviews mit Andreas Spechtl

Die neue Single „Counterpoints“ ist gerade auf Vinyl erschienen.

Ja, Panik im Popblog:
* Ja, Panik – Interview (2014/1): „Wir haben uns natürlich schon gefragt: sind wir überhaupt noch Ja, Panik?“
* Ja, Panik – Interview (2014/2): „Die ‚lostness‘ wird nicht mehr akzeptiert, jeder sucht mit einem wahnsinnigen Zwang seinen Platz in dieser Welt“
* Interview mit Ja, Panik (2011/1): “Es sind schon unschuldigere Menschen als Merkel und Sarkozy getötet worden”
* Interview mit Ja, Panik (2011/2): “Das Konzept Rockband ist ein Auffangbecken für machoide, kleingeistige, trottelige, schwanzfixierte Idioten”
* Ja, Panik – Portrait: Es gilt nach wie vor, eine Welt zu zerstören.

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