vonChristian Ihle 28.03.2023

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Der zweite Teil des Interviews mit Ja, Panik – Teil 1 hier: „Warum sollte der Kapitalismus einen total freien, anarchistischen Ort zulassen?“ – Gespräch mit Ja, Panik über die letzte Platte, die neue Single, den Kapitalismus und das Schöne Leben.)

Zu DMD KIU LIDT hast du mir gesagt: „Wir müssen uns umbringen, es gibt nichts zu ändern, wir müssen die Band auflösen, aufhören Musik zu machen – es ist alles im Argen, deshalb: Suicide“.
Zu LIBERTATIA: „An der Analyse der Zustände hat sich nichts geändert, nur dass die Platte etwas positiveres hat, mehr Agit ist. Faust in die Höhe, es ist die politischere Platte“.
Wie würdest du nun DIE GRUPPE im Kontext der beiden Vorgänger sehen?

Sie ist näher an DMD KIU LIDT gebaut. Aber die beiden Platten fassen den Weg zusammen: vom Abgesang, der Abgewandtheit, dem Verschließen der Welt gegenüber – zum Suchen nach dem Ort, wo man sich frei fühlen kann, an dem die Welt so funktioniert, wie man sie sich wünschen würde. DIE GRUPPE ist die Platte, die gemerkt hat, dass das eben nicht funktioniert, diesen Ort herbeizuschreiben, zu imaginieren, aber dass die Ideen dafür dennoch gelten müssen. Das Beharren darauf quasi.
DIE GRUPPE ist im Gegensatz zu LIBERTATIA die Platte über die Suche nach den kleinen Momenten. Ich habe auch die Gefahr gesehen im Ausrufen, im Agitatorischen von LIBERTATIA, dass es nicht stimmt, dass es nicht passieren wird. Um diese Enttäuschung zu verarbeiten, dass es keine Utopie, kein Libertatia geben wird, geht es in DIE GRUPPE.
Weniger um einen freien Ort, sondern darum, immer wieder einen Ort zu befreien.
Wenn ich zurückdenke, ist LIBERTATIA meine unliebste Platte. Die Band war zerfleddert, wir wussten nicht mehr, wer wir waren. Als wir dachten, wir können uns politisch radikal positionieren, aber trotzdem in den Mainstream stoßen. Das hat nicht funktioniert und daran glaube ich überhaupt nicht mehr. Ich mag auch viele der Stücke der LIBERTATIA wahnsinnig gern und wir spielen viele live, aber an das Konstrukt von LIBERTATIA glaube ich nicht mehr und es war der schwierigste Moment in der Geschichte der Gruppe Ja, Panik.
Deshalb ist DIE GRUPPE für mich ein direkter Anschluss an DMD KIU LIDT, die Enttäuschung über LIBERTATIA eingearbeitet.

Hat Ja, Panik eine gewisse Reichweite, die auch nicht aufzubrechen ist? Oder denkst Du: wenn ich wollte, könnte ich auch andere Ecken erreichen. Oder war LIBERTATIA eben genau das: der Versuch, diese „natürliche“ Reichweite deutlich zu vergrößern?

Ich glaube Ja, Panik hat eine natürliche Reichweite.
Wenn ich wollte, könnte ich aber nächste Woche eine Platte schreiben, die wär‘ im Herbst Nummer 1 in Deutschland. Das wäre aber nicht Ja, Panik.

Das sagt jetzt der alte Oasis Fan in mir *lacht*
Das einzige, was ich eigentlich nach wie vor gut finde an Oasis, ist diese Art von groß die Goschn aufreissen. Deswegen mag ich auch viele HipHop Sachen sehr gern. Ich liebe diese Hybris. Und glaube da auch daran. An sich selber glauben ist nach wie vor der beste Garant um Dinge auch wirklich hinzukriegen. Am Ende unterscheidet man aber natürlich zwischen den Leuten, die es machen, und denen, die es nicht machen. Aber es geht eben meist gar nicht ums machen können. Sondern ganz einfach ums machen, ums angehen, ums durchziehen… Insofern wird es wahrscheinlich so schnell doch keine Nr 1 Platte von mir geben.

Deine Solo-Platten waren allerdings sperriger als Ja, Panik.

Das sind Experimente. Ich habe strenge Regeln in meinem Kopf. Für mich sind meine Soloplatten das Intimste, die werde ich auch immer machen. Ich probiere Dinge aus, für mich als Künstler. Und ich muss auch damit abschliessen. Für mich ist das Veröffentlichen sehr wichtig. Weil es Dingen einen Rahmen gibt und ich sie so loslassen kann. Andere Künstler*innen würden gewisse Sachen so nie veröffentlichen. Sachen, die nicht zu 100% fertig gedacht und perfektioniert worden sind. Ich bin da das genaue Gegenteil. Ich muss die Sachen abstoßen und rauslassen. Ich muss sie von mir trennen, um weiter machen zu können.

Und weil du vorher sagtest, die Platte hätte einen schwierigen Einstieg und man müsst sie sich mehrfach anhören:
Ich mein, so what?
Ja, bitte. Hört es euch mehrmals an.

Ich liebe Platten die genau das von einem verlangen. Ich wollte genau so eine Platte machen. Es sind die Platten, zu denen ich am ehesten zurückkehre. Und wenn man es mehrmals versucht hat und es nicht klickt, dann ist das so. Das ist auch ok. Es werden andere Platten kommen, die klick machen. DIE GRUPPE ist sicher die Platte in unserer Diskografie, die wir am allermeisten für uns gemacht haben. Und darauf bin ich stolz, wenn ich sie wiederhöre. Dass in jeder Sekunde rüberkommt, dass wir eine Platte für uns als Gruppe gemacht haben.

Ich will nicht sagen, dass mir unwichtig ist, ob Leute unsere Platte kaufen oder zu Konzerten kommen, emotional bedeutet mir das sehr viel. Das habe ich auch auf der Tour letzten Frühling gemerkt. Auch wie sehr mir das abgegangen ist. Aber ökonomisch ist mir das ehrlich gesagt, auch durch die lange Pause, herzlich egal. Zum Glück gibt es nicht mehr die eine Sache, von der ich leben muss. Wenn eine Sache wegbricht, lebe ich von etwas anderem. Das ist ein Leben, mit dem es mir gut geht.

War dir die Rezeption bei LIBERTATIA wichtiger als jetzt bei DIE GRUPPE?

Ja, aber weil es Teil des „trojanischen Pferd“-Konzepts der Platte war, man sneaked sich in den Mainstream und singt dort ein linksradikales Lied. Was so halb funktioniert hat. Die höchste Chartplatzierung war DIE GRUPPE (Anm. DIE GRUPPE chartete in Deutschland auf #25, LIBERTATIA auf #32, DMD KIU LIDT auf #82). Aber das bedeutet eh nichts.

Im Buch FUTUR II hattest du geschrieben: „Wer ist denn mittlerweile nicht gelangweilt von den ganzen Popmusiker*innen, die sich heutzutage an jeder städtischen Pimperlbühne tummeln?“. Du hast jetzt viel an Theatern gemacht, zum Beispiel mit Robert Stadlober eine Veranstaltung zu Marcuse-Texten, das Wochenende der Oktavistischen Internationale… Gibt es also gute Popmusiker an Theatern und schlechte? Oder hat sich deine Einstellung dazu geändert?

Ich habe recht schnell aufgehört, selbst mitzuspielen. Was nicht funktioniert: Popmusiker neben die Bühne zu stellen und sie spielen lassen, aber ästhetisch und inhaltlich keine Verbindung zum Stück zu haben. Ich mache entweder aufwändige Soundinstallationen, bei denen ich aber selbst nicht anwesend bin. Oder ich habe Sound für Musiker aus dem Jazz- und Klassikbereich geschrieben, die wiederum im Stück performen.

Bei DMD KIU LIDT hattest du einen John-Cale-Einfluss hervorgehoben, bei LIBERTATIA Talk Talk – gibt es bei DIE GRUPPE einen Leitstern?

Eigentlich nicht. Wir wollten mehr disparate Dinge zusammenbringen, die man so zumindest in Deutschland noch nicht gehört hat. Ich glaube auch immer noch, dass es keinen vergleichbaren Sound gibt: einerseits Ambient, Electronic und freakige Saxophon-Features, aber kombiniert mit einem minimalistischen Bandansatz. Das neue Ja, Panik – Album war auch der Versuch, eine Platte für jemand zu machen, der sich gerade von Gitarrenmusik eher abgewandt hat.

Die musikalische Idee ist dann eher: Was man aktuell hört – Floating Points, Nicolas Jaar, Caterina Barbieri –mit der legacy verbinden, mit dem wo man herkommt – Lou Reed, Patti Smith, Elizabeth Cotten, Nick Cave.
Die alten Referenzen kommen ja auch immer noch vor. „The Cure“ ist ein Lou-Reed-Stück, das ist doch eigentlich „Walk On The Wild Side“.
Da kannst jedes zweite Velvet Underground- Stück drüber singen. Oder die Moldy Peaches.

Interessant, dass du sagst „wo man herkommt“ – wenn ich das mal geographisch aufgreife: Ich habe als Nichtösterreicher die österreichische Musik – sagen wir Nino Aus Wien, Voodoo Jürgens – erst in den letzten Jahren so richtig für mich entdeckt. Was ich bei beiden erstaunlich finde: man hört bei Nino und bei Voodoo die Austropop-Roots heraus – bei Nino vielleicht mehr Ambros, bei Voodoo mehr Ludwig Hirsch. Bei euch hört man aber nie eine Verbindung zum Austropop.

Weil es auch keine gibt. Ludwig Hirsch ist der einzige, von dem ich eine ganze Platte gehört habe. Austropop war für mich überhaupt nicht prägend. Ambros hat im Grunde 1:1 Dylan gespielt, STS waren die österreichischen Simon & Garfunkel. Heute sagt man vielleicht: das ist lame, aber damals war das schon ein Geheimwissen, internationale Künstler so schnell adaptieren zu können. Es gibt ganz tolle Ambros-Stücke, aber wichtig war das für mich nicht. Gar nicht.

Aber war es andererseits eine bewusste Gegenreaktion?

Schon interessant, wenn du so fragst. Austropop hat einen in Österreich eben immer umspült. Ambros hat mich nie interessiert, aber mir war schon auch klar: er ist kein Schlechter. Bei Ludwig Hirsch wusste man: der ist auf der richtigen Seite. Bei Fendrich war ich mir dagegen nie so sicher.

Da du vorhin LIBERTATIA als trojanisches Pferd für den Mainstream bezeichnet hast – wenn ich mir Ludwig Hirsch anhöre: wie ‚angenehm‘ das instrumentiert ist, aber ein Lied wie „Omama“ textlich schneidend und hart gegen das Abnicken der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich ist… Mitte der 70er, das hat Mut.

Total. Wir hatten sicher nicht das Bedürfnis, uns gegen Leute wie Ludwig Hirsch abzugrenzen, unsere Abgrenzung war mehr auf die Sprache bezogen. Ja, Panik wäre nie in Mundart möglich gewesen, wir waren immer auf der Suche nach einer artifizielleren Sprache. Es ging uns darum, eine Sprache zusammenzuschustern, die von niemand vereinnahmt werden kann. Für uns wäre es unmöglich gewesen, in Mundart zu singen, weil wir immer die Angst hatten, es käme Applaus von den Falschen.

Zu deiner Frage zurück: sind wir eine bewusste Abkehr zum Austropop? Nee, aber zur österreichischen Sprache und der österreichischen Kultur sehr wohl. Wir sind eben auch die einzigen, die nach Deutschland gegangen sind. Ich höre auch immer noch österreichische Nachrichten, weiß über die österreichische Innenpolitik besser Bescheid als über die deutsche – und es regt mich so tief aus. Ich hasse etwas so tief am Österreichischen und andererseits fühle ich mich dort natürlich auch anders wohl als in Deutschland. Es fehlt mir sehr viel von Österreich in Deutschland, gleichzeitig hasse ich Österreich so abgrundtief.
Am Ende bin ich also ganz froh, dass es Österreich gibt – aber ich schau’s mir wirklich lieber von außen an.
*Lacht*

Eure Liveauftritte erlebe ich oft so, dass ihr anfangs fremdelt und euch das Konzert erst selbst erspielen müsst – sich der Gig dann immer so arg zu einem wirklichen, sich selbst verdienten Klimax steigert. Was ich übrigens positiv finde, weil es eben kein durchchoreographierter Act ist, wie mir beispielsweise Wanda live erscheinen.

Das sind eben auch alles Entscheidungen, die man als Band trifft. Wir hatten nach der „Angst“-Platte auch mehr als eine Major-Label-Anfrage und haben alle abgesagt. Wir sagen auch heute noch oft Dinge ab.

Wanda sind ja auch nicht zufällig im Stadion oder Bierzelt gelandet, sondern haben sich entschieden für diesen Weg. Ich versteh auch die Erwartung der Leute nicht: ihr wollt im Stadion bangen, ihr wollt eine Band, die alle umarmt – und dann wundert ihr euch, dass ihr Wanda bekommt? Schaut euch an, was die Leute wählen, was sollen die dann für Musik hören?

Ich weiß, warum ich nicht im Stadion spiele. Ich spiele total zurecht nicht in Stadien, was hätte ich da verloren…
Ich möchte eben auf eine Bühne gehen können und mal schauen, wie es ist. Das möchte ich mir behalten.

Und jetzt: noch mal 7 Jahre inneres Exil?

Wir wollten eigentlich die Counterpoints-Serie weiterführen und nach den ersten beiden Songs noch weitere aufnehmen. Jetzt hab ich aber gerade letzten Winter, der ein Sommer war, weil ich ihn die meiste Zeit bei Rabe in Argentinien verbracht habe, soviel neue Stücke geschrieben, dass wir vermutlich schon sehr bald eine neue Platte aufnehmen. Mehr will ich dazu aber erstmal gar nicht sagen. Dazu arbeiten wir gerade an einem Soundtrack zu einem Essay-Film von Daniel Hoesl, der bekannt ist für seinen Film „Davos“, ein Essay in der Art von Godard oder Chris Marker über den Weltwirtschaftsgipfel.

Auf keinen Fall wollen wir in den Strudel kommen, alle eineinhalb Jahre eine Platte machen zu müssen. Wenn es klappt, dann klappt es. Wenn Lieder da sind, sind sie da. Lustigerweise habe ich aber durch diese Art an die Sache heranzugehen gerade das Gefühl, dass mehr Lieder denn je kommen.

Euer Verhältnis zur Idee Ja, Panik klingt gerade sehr gesund

Ja, es war auch die schönste Tour, die wir je hatten. Noch nie haben wir so genau gewusst, was Ja, Panik für uns ist und was es nicht sein soll. Auch im Zwischenmenschlichen: 80% von Ja, Panik passiert neben der Musik.
Ja, Panik ist Family.

Der erste Teil des Interviews findet sich hier:

Ja, Panik Interview (1): „Warum sollte der Kapitalismus einen total freien, anarchistischen Ort zulassen?“Gespräch mit Ja, Panik über die letzte Platte, die neue Single, den Kapitalismus und das Schöne Leben.

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Die neue Single „Counterpoints“ ist gerade auf Vinyl erschienen.

Ja, Panik im Popblog:
* Ja, Panik – Interview (2014/1): „Wir haben uns natürlich schon gefragt: sind wir überhaupt noch Ja, Panik?“
* Ja, Panik – Interview (2014/2): „Die ‚lostness‘ wird nicht mehr akzeptiert, jeder sucht mit einem wahnsinnigen Zwang seinen Platz in dieser Welt“
* Interview mit Ja, Panik (2011/1): “Es sind schon unschuldigere Menschen als Merkel und Sarkozy getötet worden”
* Interview mit Ja, Panik (2011/2): “Das Konzept Rockband ist ein Auffangbecken für machoide, kleingeistige, trottelige, schwanzfixierte Idioten”
* Ja, Panik – Portrait: Es gilt nach wie vor, eine Welt zu zerstören.

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