See How They Run (2022, Regie: Tom George)
auf Disney+
Schon irgendwie lustig, wie in unserer Turbozeit auf einmal eine Ära der entschleunigten Krimikomödchen anbricht. Die Brannagh-Neuauflagen von Christie-Originalen, Rian Johnsons Verbeugungen mit “Knives Out” & “Glass Onion” oder eben mit “See How They Run” gar ein Agatha-Christie-Meta-Film, in dem Agatha schlussendlich selbst zum Abendessen einlädt.
“See How They Run” beginnen schön flott mit einem wunderbar schmierigen Adrien Brody (finde übrigens, dass Brody gerade einen zweiten Frühling erlebt, er braucht jetzt einen großen Durchbruchsfilm dann gehts ab wie bei McConaughey) , aber findet dann im Folgenden nicht so recht die Balance aus Spaß und Krimispannung – vor allem letztere kommt eigentlich nie auf.
So leider dann doch zu betulich. (5/10)
Boston Strangler (2023, Regie: Matt Ruskin)
auf Disney+
Nacherzählung der realen Boston-Strangler-Geschichte, diesmal gesehen aus den Augen zweier Journalistinnen, die eine unwillige / unfähige Bostoner Polizei mit ihren eigenen Nachforschungen antreiben.
Keira Knightley ist wie immer verlässlich, der restliche Cast bleibt aber austauschbar. Zudem gelingt es “Boston Strangler” nur mühsam, die Spannungsschraube so anzuziehen, dass er wirklich miteissen würde und kann sich nie ganz zwischen Serienkiller-Film und Presse Procedural entscheiden, tendiert aber zu letzterem. In Ordnung, wenn man das Genre mag, aber auch nicht mehr. (5/10)
Small Axe: Mangrove (2022, Regie: Steve McQueen)
in der ARD Mediathek
Rätselhaft, warum die Kritiken so euphorisch sind. “Mangrove” hat zwar sicher das richtige Anliegen – strukturellen Rassismus in der Londoner Polizei anzuklagen – trägt das aber in der plattest denkbaren Weise vor: Grobe Holzschnittcharaktere (der fiese Bulle, der konservative Richter, die righteous Black Pantherin etc pp), eine schwarzweiß erzählte Geschichte ohne Zwischentöne, maximales Pathos, oft gesehenes Gerichtsdrama nach Schema F sowie Reden, die für das Film-Publikum und nicht für die Film-Charaktere gehalten werden.
Einzig der hervorragende Soundtrack (Symarip, Toots & The Maytals) und das schön eingefangene 60ies-London in der West Indies Community in Notting Hill retten “Mangrove” vor einem völligen Desaster. (4/10)
Small Axe: Lovers Rock (2022, Regie: Steve McQueen)
in der ARD Mediathek
Der zweite Film aus Steve McQueens “Small Axe”-Reihe ist deutlich besser als “Mangrove”. Wo “Mangrove” didaktisch und holzhammerig überdeutlich war, ist “Lover’s Rock” eine leichte Sommerbrise, ein ewiges Andeuten und Insinuieren.
“Lovers Rock” spielt mehr oder minder ausschließlich auf einer House Party mit DJ-Soundsystem, das beste Dub/Reggae/Rocksteady-Tunes rausfeuert und zeigt einige der schönsten Tanzszenen der jüngeren Filmgeschichte. “Lovers Rock” fühlt sich gelebt an, echt, obwohl wir von kaum einem Charakter irgendetwas wissen oder verstehen*.
Zwei Szenen stechen heraus – und beides sind reine, dialogfreie Tanzsequenzen: wenn der ganze Raum in ein a capella von “Silly Games” (Janet Kay) übergeht sowie wenn später der dubbige Sound von “Kunta Kinte” (The Revolutionaries) ärgste Movements auf dem Dancefloor auslöst. Allein dafür lohnt “Lovers Rock” schon. (6/10)
Hanyo – Das Hausmädchen (1960, Regie: Kim Ki-young)
Gekonnt spitzt das südkoreanischen Drama “Hanyo – Das Hausmädchen” den psychischen Drucks auf alle Beteiligten zu.
Ständig hat ein anderer Charakter die Oberhand, was zugleich Stärke wie Schwäche des Films ist: nie kannn sich der Zuschauer ausruhen, weil sich die Kräfteverhältnisse immer wieder drehen, andererseits leidet darunter auch manchmal die Nachvollziehbarkeit der Charakterentwicklungen. Die Inszenierung ist mir manchmal zu sehr auf die Nase und zeigt gern überdeutlich, was bald passieren wird (Giftfläschchen in Großaufnahme etc).
In seinen besten Momenten kreiert aber Kim Ki-young eine ähnliche mentale Angegriffenheit wie Roman Polanski in seinen Psychohorrorfilmen wie “Ekel” oder “Der Mieter”. (6/10)
Soleil O (1970, Regie: Med Hondo)
Wütende Mischung aus Essay, semidokumentarischer Form und Spielfilm, mit der Med Hondo auf den strukturellen Rassismus in der französischen (und damit europäischen) Gesellschaft verweist.
Interessant an “Soleil O” ist, dass einige der Punkte seit der Veröffentlichung 1967 wohl sogar noch mehr Dringlichkeit gewonnen haben. Hondo stellt die vielen Abwertungen vor, die ein Schwarzer Einwanderer in der Gesellschaft des “Liberté, Égalité, Fraternité”-Gedanken erleben muss und hält den Finger in die Wunde, dass diese Dreieinigkeit aber nur für Weiße gilt.
Am stärksten wirkt “Soleil O” für mich, wenn er wie eine Chris Marker Essay-Doku spielt, sich also kleine Momente nimmt und diese poetisch verdichtet/überhöht. (6/10)