Anatomie eines Falls (2023, Regie: Justine Triet)
im Kino
Anatomie einer Beziehung: Justine Triets Cannes-Gewinner ist ein Ehedrama im Kleid eines Justizkrimis.
Triet nutzt die Gerichtsverhandlung als Forum, um beispielhaft zu verhandeln, wieviele Wahrheiten in einer Beziehung parallel existieren, wie sehr äußere Einflüsse das Innenleben beeinflussen, wie Außenstehende ihr Urteil über eine Ehe abgeben, wie das gemeinsame Kind zum Katalysator für Gutes wie Schlechtes werden kann und Manipulation auch vor ihm nicht halt machen wird.
Die Gerichstsequenzen, die den zweiten Teil des Films einnehmen, sind teilweise so übertrieben, dass entweder das französische Justizsystem völlig wild ist oder Triet eben mehrfach dem Zuschauer zuzwinkert, diese Szenen nicht 1:1 zu verstehen, sondern nur als Übersetzung für das Innenleben einer Beziehung und wie sie von außen beurteilt wird.
„Anatomie Of A Fall“ lebt von Sandra Hüllers Performance, die eine schwierige Person bemerkenswert vielschichtig interpretiert und so den Zuschauer auf eine Reise nimmt, die jedes Schwarz/Weiß-Denken verweigert und damit zum Wesen des Films wird. Das Besondere an Hüller ist, dass sie nicht nur die zentrale Figur überzeugend spielt, sondern erst durch ihre Interpretation der Kern des Films erkennbar wird. (7/10)
No Hard Feelings (2023, Regie: Gene Stupnitsky)
auf Netflix
In der ersten Stunde so viel besser als der Trailer erahnen ließ, auch wenn die Prämisse des Ganzen (Eltern engagieren Jennifer Lawrences Maddie, um ihren 18jährigen Sohn mal richtig hernehmen zu lassen und damit aufs College-Leben vorzubereiten) mindestens so absurd ist wie die folgende Anbandelei.
Aber JLaw wirft sich mit vollem Körpereinsatz in ihre Rolle (u.a. humoristischste Nacktszene im Hollywood-Kino seit langem) und verströmt genug Charisma, um auch diesen Charakter zu erden.
Selbst Gesellschaftskritik (Gentrifizierung! Abgehängte Working Class!) und Generationskonflikt (wenn Jenny ständig von den Freshmen als „Mom“ wahrgenommen wird, sie aber dafür entsetzt über die aseptischen, handylastigen Highschool-Parties ist: „Does anyone even fuck anymore?“) wirft „No Hard Feelings“ noch in seine zotige Liebeskomödie. Die zweite Hälfte verendet dann leider im üblichen Sentimental-Kitsch, aber gut, man kann nicht alles haben.
Insgesamt dennoch weit über meinen Erwartungen. (6/10)
How to Have Sex (2023, Regie: Molly Manning Walker)
im Kino
Authentischer Blick auf einen Brits Gone Wild – Griechenlandurlaub von drei Mädels, die mit einer Urlaubergruppe im Hotelzimmer nebenan bonden, feiern und eventuell Beischlaf vollziehen. Am stärksten ist „How to Have Sex“ immer dann, wenn er einen Blick auf das Innenleben der Freundschaft von Tara, Skye und Em wirft. (6/10)
Jackass 3D (2010, Regie: Jeff Tremaine)
auf Netflix
Liefert in gewohnter Qualität seine Stunt & Scherz – Packung ab, dass ich nie genug davon kriegen kann. Kurioserweise ist diesmal ein visueller Gag und gar kein wilder Crash der LOL-Höhepunkt: wenn der große Preston einen Passanten vor einem Laden bittet, auf seinen Hund aufzupassen, und wenige Minuten später – in gleicher Kleidung – der kleine Wee Man den Shop verlässt und dankend dem Passanten den Hund wieder abnimmt. Köstlich.
Auch überraschend: Will Oldhams Auftritt als Großwildjäger! (7/10)
Leave the World Behind (2023, Regie: Sam Esmail)
auf Netflix
Als Kompliment gemeint: Sam Esmail ist der Großmeister der elaborierten Verschwörungstheorie. Wie schon in seiner bemerkenswerten Fernsehserie „Mr Robot“ sind auch in „Leave The World Behind“ die Weltenläufe außer Tritt geraten, passt etwas nicht, muss etwas geschehen.
Nur ist der Blickwinkel diesmal ein anderer: war „Mr Robot“ eine wilde Geschichte über die Jugend von unten, die etwas ändern will, verfolgen wir in „Leave The World Behind“ zwei wohlsituierte Pärchen, die gezwungenermaßen in einem Luxus-Airbnb die Nacht miteinander verbringen und fassungslos den Zusammenbruch ihrer Welt ansehen.
Was als Satire beginnt, wandelt sich im Fortgang seiner Geschichte zu einem immer düstereren Blick auf das heutige Amerika und die Fragilität seines Zusammenhalts. Wenn am Ende Esmail einigermaßen überraschend seine Bedrohung ausformuliert, wird die so luftig begonnene Satire zu einer direkten politischen Mahnung und einen Appell an den Zusammenhalt. Das am Schluss erklingende „I’ll be there for you“ ist die Hoffnung: füreinander da sein statt gegeneinander treten.
Auch wenn der eine oder andere Kameratrick prätentiös wirkt und das Ende in seiner Unsubtilität sicher auch kritisiert werden kann, gelingt es Esmail über die gesamten 140 Minuten ein Gefühl der ständigen Angespanntheit zu vermitteln und wirft uns mit seinen Protagonisten ins Ungewisse. Wir merken „etwas ist off“, wollen es lange nicht wahrnehmen bis die Erkenntnis nicht mehr zu verhindern ist.
Einer der stärksten Filme des Jahres. (8/10)
Wie wilde Tiere (2022, Regie: Rodrigo Sorogoyen)
im Kino
Ein langsam hochkochendes, brodelndes Krimidrama in der spanischen Provinz zwischen Alteingessesenen und Neuankömmlingen, von denen die einen so schnell wie möglich weg und die anderen für immer bleiben möchten. „Wie wilde Tiere“ verhandelt Fragen nach Tradition und Authentizität, nach dem Sinn des „guten einfachen Lebens“ und wer es sich eigentlich leisten kann.
Dabei gelingen Regisseur & Autor Rodrigo Sorogoyen einige der unangenehmsten zwischenmenschlichen Konfrontationen der letzten Kinojahre. Gescheiterte Aussprachen in der Dorfkneipe und passiv-aggressive Über-Dritte-Reden, die sich zu offener Sabotage des Anderen steigern. Insbesondere der zentrale Zweikampf zwischen dem Zugezogenen Denis Ménochet und dem Dorfherrscher Luis Zahera erreicht eine wirklich bemerkenswerte Intensität.
In seinem letzten Viertel nimmt „Wie wilde Tiere“ den Weg in eine unerwartete Coda, die zunächst antiklimatisch wirkt und insbesondere die sonst ständig spürbare Anspannung aus dem Film nimmt.
Emotional setzt Sorogoyen allerdings auch hier einige Wirkungstreffer. (7/10)
Disorder (1986, Regie: Olivier Assayas)
auf mubi
Very 1986, very Post-Punk-1986!
OIivier Assayas Debütfilm erzählt von einer Band am Rande des Durchbruchs, die bei einem schief gegangenen Raub ungeplant mordet und in der Folge ganz dostojewskihaft an dieser Schuld zugrundegeht. Interessanterweise spart Assayas die äußeren Einflüsse aus – es spielt fast gar keine Rolle, ob die Polizei ihnen auf die Schliche kommt -, sondern konzentriert sich darauf, was so eine Tat mit der Person selbst macht und wie alle im näheren Umfeld schleichend kontaminiert werden.
Stilistisch ist das toll getroffen in einer Echo & The Bunnymen-haften Weltverzweiflung, die gleichzeitig immer auf das Große hofft und es doch mal um mal schafft, sich selbst wieder in den Untergrund – und manchmal auch den Abgrund – zu ziehen. (6/10)
Foxy Brown (1974, Regie: Jack Hill)
Revenge is a dish best served in a pickle jar…
Einer der großen Blaxploitation-Klassiker, der auch genau das Bestellte liefert. Funky Soul-Music im Soundtrack, coole Sprüche, stumpfe Story, Schauspielleistungen hart am Rand – mit dem besonderen Twist, dass Pam Grier hier als Frau den Laden aufmischt. (6/10)