vonChristian Ihle 01.03.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Chinesisches Roulette (1976, Regie: Rainer Werner Fassbinder)

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Fassbinder in maximal-artifzieller Kühle. „Chinesisches Roulette“ ist ein Schwester-Film zu „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, aber doch auf sehr eigene Art mitreissender als jene Depri-Demonstration.

Allein die Ausgangssituation ist schon so brillant, dass ich kurz dachte, hier hätten wir Fassbinders perverse Vorlage zu Polanskis „Gott des Gemetzels“: Der bourgeoise Ehemann verbringt offiziell sein Wochenende auf einer Geschäftsreise, doch in Wirklichkeit fährt er zum Stelldichein auf ein fränkisches Schlösschen mit der Geliebten aus Paris (Anna Karina!). Dort trifft er, potzblitz!, aber auf seine Ehefrau, die ihn in Oslo vermutet und mit seinem Arbeitskollegen ein Schäferstündchen in diesem Zweitwohnsitz geplant hatte.

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Nach anfänglicher Irritation verbringen die beiden Kreuz-Pärchen das Wochenende miteinander und Risse zwischen allen und jeden tun sich auf. Doch dann stößt noch die verbitterte, frühreife, hochintelligente und behinderte 12jährige Tochter hinzu, die jenes Zusammentreffen ihrer sich betrügenden Eltern im Hintergrund geschickt organisiert hatte, woraufhin der blanke Hass aus jeder Ecke bricht.

Härter hat Fassbinder die Verlogenheit der Bourgeoisie wohl nicht offengelegt und ganz ehrlich, diese Intensität hatte Chabrol sein Lebtag nicht in seinem Lieblingssujet erreicht. Wenn am Ende die Tochter alle zum ‚Chinesischen Roulette‘ (faszinierendes Spiel!) zwingt, liegt die Eskalation nah und Fassbinder dreht die Schraube unerbittlich weiter bis eine/r schießt, eine/r weint, alle hassen.

„Chinesisches Roulette“ dürfte zudem zu den bestinszenierten und gefilmten Werken Fassbinders gehören. Wie hier geblickt und geblockt wird, wie Gesichter schauen, Spiegel spiegeln und Ballhaus irre Kamera immer fährt und kreiselt und starrt – Wahnsinn. (8/10)

The Marvels (2023, Regie: Nia DaCosta)

Das Beste an „The Marvels“: nur 105 Minuten Spielzeit! Dennoch fühlt sich der neueste Ausflug in die öden Weiten des Weltalls wieder überlang an. Die paar Fünkchen an erzählerisch interessantem Ansatz – Captain Marvels Eingriff in eine fremde Welt, die im Desaster endet und ihr den Spitznamen „Die Vernichterin“ einbringt – werden niedergebrettert von Plastik-CGI, Über-Super-Kräften und einem Mangel an jeder Spannung.

Einer der am inkohärentest erzählten MCU-Filme, wirkt wie am Schneidetisch mühsam, aber vergeblich zusammen gezimmert.

Nur von den Katzen hätte ich gern mehr gesehen. (4/10)

Coffy (1973, Regie: Jack Hill)

Ein Jahr vor „Foxy Brown“ setzen Pam Grier und Regisseur/Autor Jack Hill mit „Coffy“ den Blaxploitation-Klassiker.

Dabei ist „Coffy“ die ärgere Schwester zum klar verwandten, aber smootheren „Foxy Brown“. Die Frauen sind nackter, die Zuhälter greller, die racial slurs unerträglicher, die Story sprunghafter, die politische Aussage zynischer (selbst der Black-Panther-Rhetorik sprühende schwarze Politiker ist nur in it for the money).

Als Empowerment-Ausrufezeichen taugt „Coffy“ nur bedingt, doch das hatte 1973 mit diesem grellen Anschlag auf jeden Anstand wahrscheinlich auch keiner im Sinn. (7/10)

The Spectacular Now (2013, Regie: James Ponsoldt)

Beginnt als flott-freche Highschool-Komödie mit bemerkenswerter Jungdarsteller-Riege, die allesamt in den Folgejahren auf sich aufmerksam machen werden: Miles Teller, Shailene Woodley, Brie Larson & Kaitlyn Dever.

Überraschend dreht sich „The Spectacular Now“ in seiner zweiten Hälfte in ein Familien- und Alkoholismus-Drama, das sich zunächst nur vorsichtig angedeutet hat. Der Beginn hat mir jedoch deutlich besser gefallen, weil hier ein schönes Gleichgewicht aus Assig- und Aufrichtigkeit erreicht wird.

Mein irrationaler Miles-Teller-Hass wurde durch „The Spectacular Now“ allerdings auch nicht gemindert. (6/10)

The 39 Steps (1935, Regie: Alfred Hitchcock)

Früher Hitchcock-Film mit einer klassischen Hitch-Geschichte: ein Mann wird durch einen Zufall in die Machenschaften eines Agenten-Rings verwickelt und befindet sich nun auf der Flucht vor jedem und allen.

Einige schön fluide Kamera-Einstellungen, aber inhaltlich ist die Geschichte eine Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten, die für mich weder in seinen bedrohlichen Verwicklungen noch in den immer wieder aus dem Nichts auftauchenden helfenden Händen nachvollziehbar war. (5/10)

Pieces (1982, Regie: Juan Piquer Simón)

Puh! Spanischer Slasher mit starken Giallo-Vibes, der einerseits einige wirklich harte Szenen auffährt (die Eingangssequenz immer noch die unangenehmste), aber immer wieder – aus Versehen? – ins wirklich Lachhafte abbiegt. Die Szene mit dem „Kung Fu Professor“ Bruce Le (sic!) dürfte zu den WTFigsten in der an wilden Szenen reichen Geschichte des Slasher-Films gehören.
Ein Film wie das Shrug-Emoji. (5/10)

Renfield (2023, Regie: Chris McKay)

Es ist genau eine Idee – der Diener Renfield befindet sich in einer toxischen Beziehung mit seinem Meister Dracula – aber Chris McKay schleppt diese eine Prämisse erfolgreich bis zum Ende des Films, der aus dieser monothematischen Ausgangslage erstaunlich viel Amusement zieht. Es hilft, dass Nicholas Hoult als Renfield in größter Spiellaune ist wie auch Awkwafina als kratzbürstige Polizistin erneut überzeugt. Ausgerechnet Nicolas Cage als Dracula wirkt in seiner Nebenrolle verschenkt. (6/10)

 

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