vonChristian Ihle 24.06.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Civil War (2024, Regie: Alex Garland)
im Kino

Zum ersten Mal bewegt sich Alex Garland als Regisseur aus dem Bereich des Science-Fiction in unsere Welt, auch wenn „Civil War“ natürlich dennoch (hoffentlich!) von einer Dystopie kündet, die aber unangenehm nah erscheint.

Die Vereinigten Staaten waren die längste Zeit vereinigt: Kalifornien, Texas und Teile von Florida betreiben die Sezession, im Weißen Haus wird verzweifelt der Glaube an den Sieg über die abspalterischen Kräfte aufrecht erhalten. Das Land versinkt im Chaos, das Volk schwingt sich zum Herrscher über seinen eigenen kleinen Raum auf und beschießt / verteidigt / ergreift (wer weiß das schon?) mit Waffengewalt was aus seiner jeweils individuellen Perspektive ihm gehört.

Wir sehen diesen Trip in die Finsternis mit den Augen einer kleinen Gruppe Kriegsreporter, die sich immer weiter ins umkämpfte Gebiet bis nach Washington vorwagen und auf dem Weg den Verfall jeder Zivilisation erfahren. Apocalypse USA.

„Civil War“ wurde vorgehalten, dass Garland sich nicht eineindeutig genug politisch positioniert, ja, dass die Ausgangslage von Team Kalifornien/Texas gegen den Rest politischer Unsinn wäre. Aber diese Kritik ist natürlich Quatsch, denn das Interessante an Garlands „Civil War“ ist ja gerade, dass er sich nicht in einen der bereits vorhandenen Schützengräben wirft und die Gegenseite befeuert, sondern gerade im Ungefähren und derzeit politisch nicht Zusammenkommenden – aus dem progressiven Kalifornien und dem konservativen Texas – seinen Film der Tagespolitik entzieht, ohne dabei zwingend unpolitisch zu werden.

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Garland zeigt, wie dünn die Schicht der Zivilisation ist, wie schnell das aus den früher sogenannten „Dritte Welt Ländern“ bekannte Umkippen in die Herrschaft des Chaos eben auch in der „Ersten Welt“ passieren könnte, wenn, ja, wenn… Wenn eigentlich was? Wenn zum Beispiel jeder Bürger gleich die Waffe zur Hand hat und von jetzt auf gleich zur Ein-Mann-Miliz werden kann, wenn die rhetorische Spaltung eines Landes nicht mehr aufgehalten wird, wenn sich die Masse zum Ignorieren der unübersehbaren Probleme entschließt.

Ein wenig bisher diskutierter Subtext drängte sich mir beim Schauen aber auch auf: ist „Civil War“ vielleicht sogar in allererster Linie eine Medienkritik? Eine Verurteilung der Presse (im weitesten Sinn), die glaubt, nur zuschauen zu können, während ein Land vor die Hunde geht? Dass der Fame der Veröffentlichung des Spektakulären mehr wiegt als eine Einordnung der Geschehnisse und die Beruhigung des Landes? (8/10)

Late Night with the Devil (2023, Regie: Cameron Cairnes, Colin Cairnes)
im Kino

Nach einem etwas exzessiven Info-Dump zu Beginn des Films, der uns via Off-Kommentar den Kontext zum folgenden Film liefert, überzeugt „Late Night With The Devil“ sowohl in Konzept wie Ausführung. Wir wohnen in Echtzeit der Aufzeichung einer Late Night Talkshow mit Halloween-Thematik aus den 70ern bei. Eingeladen sind Geisterbeschwörer, Taschenspieler, Skeptiker und ein angeblich vom Teufel besessenes Mädchen.

Im Herzen ist „Late Night With The Devil“ ein Film über den faustischen Pakt der Entertainment-Industrie mit den Niederungen der menschlichen Sensationslust und buchstabiert diese Idee schön passend als Horrorfilm aus. Gelungen! (7/10)

Land of Bad (2024, Regie: William Eubank)
auf amazon prime

Straighter Action-Film, der vor allem bei Einleitung seiner Mission zu Beginn zu überzeugen weiß. Gut gefilmt, starke Spannung. Dann etwas Leerlauf mit einem 100mal gesehenen „Behind Enemy Lines“-Plot, der woanders schon besser erzählt wurde, bis „Land Of Bad“ ganz gegen Ende wieder richtig die Kurve bekommt, wennn der im heimischen Amerika sitzende, schmerbäuchige Russell Crowe doch noch zur zentralen Figur wird. Als Dronen-Navigator außer Dienst kauft Crowe schön vegane Leberwurst für die Gattin ein, während Liam Hemsworth im Pazifik durch den Dreck watet und vergeblich auf Kontakt und Unterstützung von dahoam wartet. Wie hier einerseits das alte Peter Struck – Diktum „die Sicherheit Amerikas wird am Hindukusch verteidigt“ in bestens profane Bilder gepackt wird und der Gegensatz zwischen einem Leben in Freiheit und der dreckigen Arbeit im Verborgenen dafür eingefangen wird UND „Land Of Bad“ auch noch seinen größten Spannungsmoment aus „Russell Crowe an der veganen Wursttheke“ zaubert, ist so bemerkenswert, dass es mich fast schon rührt. (6/10)

All of Us Strangers (2023, Regie: Andrew Haigh)
auf Disney+

„All of Us Strangers“ ist sicher ein Film, der in erster Linie über sein Fühlen wirkt, weniger über seine Erzählung. Problem allerdings dann auch: bist du nicht in der Stimmung, für genau dieses Fühlen empfänglich zu sein, ist er zu opak, zu träumerisch, zu verschwommen, um anderweitig Widerhaken zu setzen. Ich kann schon nachvollziehen, warum „All of Us Strangers“ vielerorts so gut aufgenommen wurde, aber mein Moment war vielleicht der falsche. (6/10)

Mickey One (1965, Regie: Arthur Penn)

Kafkas „Der Prozess“ aber mit Warren Beatty als Stand Up Comedian!
„Jemand musste Mickey verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, war der Mob hinter ihm her…“

Das ist nun mal wirklich eine originelle Ausgangsposition, die Arthur Penn hier wählt und ehrlich gesagt finde ich „Mickey One“ viel radikaler als seinen zwei Jahre später gedrehten New-Hollywood-Big-Bang „Bonnie & Clyde“. „Mickey One“ ist ein Paranoia-Film, dem diese Verfolgungsangst aus jeder Pore quillt, der auch gar nicht versucht, etwas rational fassbar zu machen, das so tief im Hirn seines Protagonisten geschieht. Nur weil du paranoid bist, heißt das eben noch lange nicht, dass sie nicht trotzdem hinter dir her sind. (7/10)

The Talented Mr. Ripley (1999, Regie: Anthony Minghella)
auf Netflix

Nach 22 Jahren wiedergesehen und immer noch überzeugend.

Wahnsinn die Schauspieler-Riege aus der heutigen Perspektive: Jude Law, Matt Damon, Cate Blanchett, Gwyneth Paltrow und Philip Seymour Hoffman. Interessant auch, dass trotz der überzeugenden Performance von Matt Damon und der faszinierenden Ambiguität in Jude Laws Spiel (man versteht sofort, dass jede/r entweder mit ihm ins Bett oder zumindest mit ihm abhängen will, obwohl er doch das größte Arschloch unter der heißen Sonne der Amalfi-Küste ist) Philip Seymour Hoffman in seinen wenigen Szenen einfach jeden an die Wand spielt. Was für ein once in a generation Talent er doch war!

Wenn „Der talentierte Mr Ripley“ zuweilen an etwas schwächelt, dann an der Regie von Anthony Minghella, die zwar kompetent die Ploträdchen in Gang setzt, aber auch nicht unbedingt von der sutilen Seite kommt. (7/10)

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