The Substance (2024, Regie: Coralie Fargeat)
im Kino
Was als Cronenberg’scher Body-Horror beginnt, endet in absurden Blutfontänen Grand Guignol Style. Soviel Midnight Madness hatte ich wirklich nicht erwartet!
„The Substance“ glänzt vor allem mit seinem krassen Stilwillen. Jedes Bild ist sorgfältig arrangiert und designed, als würd man in einem Coffee Table Book über das moderne L.A. blättern.
Leider kann weder Plot noch Spannung mit diesen Bildern mithalten, denn weder wird wirklich nachfühlbar, warum Demi Moore (die sich hier wirklich mit ganzem Körper in eine irre Comeback-Rolle wirft) ihr anderes Ich überhaupt noch weiterleben lassen will, noch wird ihre junge Version (Margaret Qualley) in relevante Geschichten verwickelt.
Das Problem von 141 Minuten „The Substance“: bereits nach einer halben Stunde hat der Film seine Geschichte erzählt und so bleibt ihm am Ende nur noch der Exzess, und noch ein Exzess und der nächste Exzess, um ein Interesse im Zuschauer wachzuhalten.
„The Substance“ ist kurioserweise genau das Gegenteil seines Titels, also „style over substance“. Aber immerhin wissen wir nun, wie „Das Portrait des Dorian Gray“ aussehen würde, wäre es Nicolas Winding Refns nächste Regiearbeit. (6/10)
Longlegs (2024, Regie: Osgood Perkins)
im Kino
Der große Horror-Hit des Sommers ist doch eine Überraschung, denn Oz Perkins neuer Film mag zwar etwas zugänglicher sein als seine Slowcore-Geistergeschichte „I Am the Pretty Thing That Lives in the House“, aber ist doch erstaunlich wenig auf den nächsten Thrill gebaut.
Viel passiert im Grunde nicht in „Longlegs“ bis das Ende recht plötzlich eskaliert. Die Stärke liegt also im Generieren einer weirden Atmosphäre, dem ständigen Gefühl des dräuenden Unglücks. Nicolas Cage in der titelgebenden Rolle als (tja als was???) hat spät seinen ersten Auftritt, aber beeindruckt durchaus in einer fast nicht wiedererkennbaren Performance, die den üblichen Cage-Manierismen doch einen neuen Flavour zufügt.
Dennoch fiel mir der Zugang zu „Longlegs“ schwer, was einerseits daran liegt, dass der Police-Procedural-Teil der Erzählung, also die Suche nach dem titelgebenden Serienkiller, beinah lieblos abgehandelt wird und damit Perkins sein ganzes „Briefe mit Geheimzeichen“-Zodiac-Brimborium selbst verbrennt. Zweitens, und das ist sicher eher ein Problem der persönlichen Vorlieben, habe ich meine generellen Schwierigkeiten mit übersinnlichen Erklärungen und gehe selten damit befriedigt aus einem Film. (6/10)
Naked (1993, Regie: Mike Leigh)
auf mubi
Mike Leighs großer Durchbruch (spät, damals auch schon 50 Jahre alt!) mit dem Gewinn der Goldenen Palme für Beste Regie und Bester Hauptdarsteller in Cannes überrascht, wenn man – wie ich – zuvor nur das spätere Werk kannte. Zwar ist das Milieu von Working Class und Abgehängtheit klassisch Leigh, aber hat „Naked“ einen so krass misanthrophischen Zug, der im Vergleich zu den folgenden, immer tief humanistischen Leigh-Filmen mich komplett auf dem falschen Fuß erwischt hat.
David Thewlis in der Hauptrolle als zynischer, dauerredender, arbeitsloser, ungewaschener Drifter („I’ve got an infinite number of places to go, the problem is where to stay.“), der eine unerträgliche/smarte Maschinengewehr-Salve an Beschimpfungen/Belehrungen nach der nächsten auf jeden im Weg stehenden anderen Charakter abfeuert, ist phänomenal, aber vielleicht auch der unangenehmste zentrale Charakter eines Films der 90er. Dass Leigh diese Figur mit einem noch schlimmeren Nebencharakter (etwas zu smirky gespielt von Greg Cruttwell) kontrastiert, sagt wahrscheinlich viel darüber aus, wie unangenehm dieser Film sitzen kann.
Jedenfalls: hatte nach Sichtung von „Naked“ das dringende Bedürfnis mich zu waschen, aber kann nicht verneinen, dass Thewlis‘ Musterbeispiel an smarter, vernichtender Logorrhoe bei aller tief in den männlichen Charakteren sitzenden Misogynie ihren Eindruck nicht verfehlt hat.
(Thewlis‘ Johnny erinnert mich an McConaugheys Rust Cohle aus „True Detective“ in seiner existentialistischen Ablehnung des Menschseins, nur dass Rusty Cohle aus einer Perspektive der gelassenen, seen-everything Perspektive resignierend das Ende kaum erwarten kann, wohingegen Johnny hier in seiner intellektuellen Überlegenheit und Smartassigkeit („I don’t mean that to sound Homer-phobic. I mean, I like The Iliad. And The Odyssey.“) gar nicht anders kann, als gegen das Unvermeidliche wie eine Ratte in einem zu kleinen Käfig gegen alles und jeden und everything zu rebellieren). (7/10)
Zoe XO (2004, Regie: Paul Rachman)
auf Youtube
Kleines Videoessay von Paul Rachmann (der später Regisseur der „American Hardcore“-Doku wird) über Zoe Tamerlis Lund, jene viel zu früh verstorbene Underground-Ikone, die vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Abel Ferrara (Hauptdarstellerin in „Ms 45“, Drehbuchautorin von „Bad Lieutenant“) bekannt wurde.
Der Kurzfilm besteht aus einem Gespräch mit ihrem ehemaligen Partner Robert Lund, über das Bilder von Zoe gelegt werden, die durch diese visuelle Umsetzung wie ein Geist über ihrem Ex-Ehemann schwebt, was tatsächlich auch seine wehmütige Erinnerung an diese so faszinierende Frau widerspiegelt. (6/10)
Death Wish 4: The Crackdown (1987, Regie: J. Lee Thompson)
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Der vierte Teil der Selbstjustiz-Saga um Charles Bronson ist klar der schwächste der Reihe, was besonders schmerzlich auffällt nach dem Gonzo-Höhepunkt des dritten Parts, dessen Quasi-Bürgerkrieg alle Zurückhaltungen fallen ließ.
Das ist besonders schade, denn die ersten 5 Minuten sind vielleicht die intensivsten des ganzen „Death Wish“-Franchise und erzählen von einer Attacke in einem Parkhaus, die so erschreckend und stark inszeniert ist, dass sie sämtliche Horrorfilme in den Schatten stellt.
Danach aber: lazy Drehbuch, lahmer Bronson und müder Spät-80ies-Look. (4/10)
MaXXXine (2024, Regie: Ti West)
als Video zur Leihe
Der letzte Teil von Ti Wests Horror-Trilogie um das Leben des von Mia Goth gespielten Charakters landet nun im sleazy Los Angeles der 80er Jahre.
Die erste Hälfte versprüht schöne Giallo-goes-Porn-Vibes und arbeitet zudem gut das Sehnen nach Ruhm in der Entertainment-Metropole heraus. Gegen Ende verliert West allerdings den Faden und man müsste schon sehr guten Willens sein, das noch als Teil des Konzepts zu interpretieren, im Sinne dass 80er-Jahre-Horror-Filme ebenfalls nicht die logischsten Brüder der Geschichte waren.
So endet seine X-Trilogie leider etwas antiklimatisch und ist auch visuell nicht auf Augenhöhe mit dem inhaltlich verwandten „Neon Demon“ (2016) von Refn. Über die drei Filme (siehe hier und hier) gesehen ein schöner Ritt, der am Ende etwas lahmt. (6/10)
Sieben Tage im Mai (1964, Regie: John Frankenheimer)
Dieser Tage vielleicht besonders creepy, einen Film zu schauen, der von einem Umsturz in den USA erzählt, aber Frankenheimers Revolutionäre in „Sieben Tage im Mai“ sind sicherlich höflicher als das Trump & seine Baggage je sein könnten. Von daher: Realität schlimmer als Fiktion.
„Sieben Tage im Mai“ erzählt – schön mit einem Drehbuch wie ein Uhrwerk – von einem aufrechten Bürokraten (Kirk Douglas), der Hinweise zu einem bervorstehenden Umsturz gegen den Präsidenten aufschnappt, diese zunächst allein verfolgt, um letztlich den Mann an der Spitze des Staates einzuweihen.
Gegen die tickende Revolutionsuhr entwickelt sich im Folgenden ein Schachspiel zwischen den beiden Fronten, jeder Zug wird von der anderen Seite gekontert.
„Sieben Tage im Mai“ ist ein spannender, aber doch zurückhaltenden Paranoia-Polit-Thriller, mit Douglas, Burt Lancaster und Ava Gardner sehr stark besetzt. Gut! (7/10)
In memory of Zoe Tamerlis Lund, genau wie Lizzy Mercier Descloux und Anya Phillips früh verstorbene Ikone der unglaublichen kulturellen Explosion im New York der späten 70er Jahre, die bis heute nachwirkt.