vonChristian Ihle 25.10.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Terrifier 3 (2024, Regie: Damien Leone)
im Kino

Der Clown ist zurück. Nachdem „Terrifier 2“ – mit 15 Millionen Dollar Einspiel bei 250.000 $ Budget (durch Crowdfunding) – der wohl verrückteste Überraschungserfolg der letzten Jahre war, wundert es natürlich kaum, dass der stumme Slasher im Clownskostüm für eine dritte Auflage zurückkehrt.

Problem ist allerdings diesmal, dass „Terrifier 2“ in seinen besten / ärgsten Momenten eine so extreme Körpervernichtungsorgie war, dass kaum *mehr* Auslöschung im Kino denkbar ist. So wirkt der dritte Part unwillkürlich zahmer, weil der Schock des ersten Erlebens fehlt.

Nach einer sehr starken ersten Viertelstunde, die wie ein Kurzfilm über einen Weihnachtsmord spielt, findet „Terrifier“ seinen in der Zwischenzeit üblichen Groove, der zwischen ein klein wenig Augenzwinkern und grotesker Gewalteruption schwankt.

abo

Zeiten wie diese brauchen Seiten wie diese. 10 Ausgaben wochentaz für 10 Euro im Probeabo. Jetzt die linke Wochenzeitung testen!

Im Gegensatz zur Exposition, der ein Spannungsaufbau wie bei Meister Carpenter gelingt, erzeugt „Terrifier 3“ – wie auch seine beiden Vorgänger – kaum Suspense. Damien Leone hangelt sich mehr von Setpiece zu Setpiece, als dass er eine kohärente Geschichte erzählt, die die Spannungsschraube weiter drehen könnte. Dennoch: für das, was „Terrifier“ sein will, ist auch seine dritte Ausgabe gelungen, weil Leone mit viel Liebe zum plastischen, nicht virtuellen Special Effect sein stummes Spiel mit der Körpervernichtung spielt.

Was ihm allerdings misslingt, ist einen wie auch immer gearteten mythischen Überbau zu Art, dem Clown, zu schaffen und so endet „Terrifier 3“ wie schlimmste 80er Jahre Horrorfilme mit einem Loch in die Hölle und einem Zweikampf, der mich mit seinem Quatsch mehr nervte als berührte (oder wenigstens ekelte).

Dann eben, alle angedeutete Kritik oben hin oder her, lieber einfach wirklich nur Murder-Setpice-Springerei bis in alle Ewigkeit. (6/10)

The Contestant (2023, Regie: Clair Titley)
bei Disney+

Dass das japanische Fernsehen das Verrückteste der Welt ist, darf man als gegeben ansehen.

„The Contestant“ erzählt nun die Geschichte einer der ersten modernen Reality-TV-Shows, die bereits vor „Big Brother“ das Genre eigentlich zum Exzess zu Ende gedacht hatte. Ein armer Tor wird in einem Casting per Los bestimmt, stante pede zum Dreh in eine winzige Einzimmer-Wohnung gefahren, wo er sich entkleiden muss und dort unter ständiger Kamera-Beobachtung das nächste Jahr allein verbringt – bis er dank Preisausschreiben 1 Million Yen gewonnen hat. Seinen kompletten Lebensunterhalt – Essen, Kleidung, Kuscheltiere – muss sich der junge Mann ebenfalls über diese Gewinnspiele verdienen, es folgen also Versuche, den frisch gewonnenen Reis ohne Kochtopf zu verzehren oder halt in der Not die Hundefutter-Prämie zu verzehren.

Problem an Clair Titleys Dokumentation ist allerdings, dass sie dieser crazy Geschichte in der Retrospektive nicht viel hinzufügen kann. „The Contestant“ lebt von der Absurdität der Originalshow. Da kann der in Würde gealterte, damalige Hauptdarsteller Nasubi noch so viel von den mentalen Schwierigkeiten dieser Tortur berichten, wenn dann doch der Entertainment-Wert des Films wieder genau auf jenen Archiv-Ausschnitten beruht, führt das die verständlichen Klagen von Nasubi ad absurdum.

Auf der Oberfläche kritisch, aber im Grunde zwiespältig. (5/10)

The Bricklayer (2023, Regie: Renny Harlin)
bei Amazon Prime

Wäre gern ein Film des Liam-Neeson-Genres (Actionmovies für und mit der älteren Generation), ist aber erstens bemerkenswert öde erzählt und zweitens Aaron Eckhart trotz Kant-Gesicht (meine die Form, nicht den Philosophen) einfach nicht geschaffen für einen Betonkopf-Action-Star.
Habe nur mit viel Mühe bis zum Ende durchgehalten. (3/10)

Die Legende von Paul und Paula (1973, Regie: Heiner Carow)
zur Leihe bei Amazon & Apple

Zumindest aus meinem Westler-Blick neben „Solo Sunny“ und die „Spur der Steine“ der gefeiertste DDR-Film, nach seiner zeitgenössischen Reputation sicherlich aber der erfolgreichste der genannten mit 3,2 Millionen Zuschauern (und damit #43 in der ewigen DDR-Kino-Erfolgsliste).

Allerdings für mich auch der am wenigsten überzeugende der drei Filme. Während ich Manfred Krugs „Spur der Steine“ wirklich stark fand und auch sofort verstanden habe, warum dieses subversive Meisterwerk keine Bestenlisten belegen konnte sondern sofort aus dem Verkehr gezogen wurde, ist mir der durchaus vorhandene Counter Culture Aspekt in „Die Legende von Paul und Paula“ dann doch zu zahm. Interessant ist allerdings, dass Paul Verhoevens im gleichen Jahr gedrehter Oscar-Gewinner „Türkische Früchte“ wie ein Schwester-Film zu „…Paul und Paula“ wirkt, da er ebenfalls in gut gelebtem 70ies-Kolorit vom Werdegang eines unangepassten Pärchens erzählt.

Seine größten Stärken hat Heiner Carows Liebesballade in seinem letzten Drittel, wenn Carow den Bogen überspannt und den Boden der Realität zu verlassen beginnt, gerade indem er eine Dreier-Konstellation – eine Frau zwischen den Angeboten von Sicherheit & Reputation vs. Wildheit & Romantik gegen die gesellschaftlichen Grundsätze – bildlich eins-zu-eins werden lässt, wenn der Rebell Winfried Glatzeder einfach bei den Ausflügen dazwischen sitzt, die seine Herzensdame mit dem langweiligen, aber geachteten älteren Autohändler macht.

SPOILER:
P.S.: ich will ja nicht zwingend einen 70ies-Film durch die heutige Woke-Brille schauen, aber Glatzeders Charakter stalkt die arme Frau, lauert ihr vor der Haustür auf, schlägt mit einer Axt selbige ein, küsst sie trotz mehrfachem „Nein!“ und schwängert sie letzten Endes, was ihren Tod bedeutet. Schon etwas weird, dass er dennoch so eindeutig als der Gute hier portraitiert wird?

P.P.S.: erstaunlich guter Soundtrack der Puhdys, habe ich die Band eventuell immer unterschätzt? (5/10)

Brandnacht (1992, Regie: Markus Fischer)

Ein Neo-Noir, der den aus Berlin zurückkehrenden Freizeit-Ermittler Peter Keller (Bruno Ganz) in die sonnendurchfluteten Weiten des schweizerischen Emmental wirft. Inhaltlich ist’s die alte „Twin Peaks“-Sache: Dorfschönheit wird ermordet und je tiefer man bohrt, desto mehr Unrat findet sich hinter den Weidezäunen und in den Odelbecken des Örtchens – und je weniger willkommen ist der Mann von außerhalb in der Gemeinschaft der Tumben, der Trottel und der schon immer die Gegend beherrschenden Großkopferten.

„Brandnacht“ wirkt durch seinen Ansatz, einen Fauser-haften Trinker durch diese Ermittlungen eines Dorfmordes zu schicken, in Teilen so neben sich stehend, dass die Geschichte wie durch den Nebel eines Traums (oder zumindest zu vielen Flaschen Weins) gesehen wird.

Dieser Swiss Noir ist erfreulich anders, ungewöhnlich, wenn auch manchmal auf Kosten der Spannung. (6/10)

Are You Lonesome Tonight? (2021, Regie: Shipei Wen)
zur Leihe bei Amazon & Apple

Atmosphärisch starkes Thriller-und-Schuld/Vergebungs-Drama, das seinen Schwerpunkt so sehr auf Reue und Wiedergutmachung legt, dass der Spannungsbogen nie recht gespannt wird. (6/10)

Manhunt (2019, Regie: Marc Evans)
Magenta TV & ARDplus

Britische True-Crime-Serie, die einen wahren Mordfall als Mini-Serie aufbereitet – nicht als Dokumentation, sondern in einer fiktionalisierten Fassung, aber mit klarem Fokus auf das Police Procedural.

„Manhunt“ wirkt so etwas wie die erste Staffel des „Serial“-Podcasts“, wenn die Handys trianguliert und die Überwachungskameras durchforscht werden.

Kurzweilig, aber auch sehr klassisch – im Guten (wenig sensationsheischend) wie Schlechten (sehr geradlinig). (6/10)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2024/10/25/filmtagebuch-vom-killerclown-zur-legende-von-paul-paula/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert