vonChristian Ihle 20.02.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Köln 75 (2025, Regie: Ido Fluk)

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Ein Film über ein Konzert, aber kein Konzertfilm! „Köln 75“ erzählt von dem mythenumrankten Auftritt des Jazz-Pianisten Keith Jarrett, dessen Mitschnitt „The Köln Concert“ die meistverkaufte Jazz-Soloplatte wie auch Klavier-Soloplatte werden sollte.

Doch Ido Fluk konzentriert sich zunächst nicht auf den legendär schwierigen Meister, der dafür bekannt ist, Konzerte bei Zuschauerhustereien abzubrechen*, sondern auf die junge Vera Brandes, die mehr durch Zufall als Teenager schon Konzert-Bookerin für Jazzkünstler wird und sich in den Kopf setzt, gegen alle Widerstände einen Jarrett-Auftritt in der Kölner Oper zu organiseren (wobei man sagen muss, dass die 29jährige Mala Emde in der Hauptrolle kaum glaubhaft als 16-18jährige durchgeht. Diesen Makel macht sie allerdings mit einer übersprühenden Spielfreude wieder wett).
Die Widerstände sind nicht nur das Hochkultur-Establishment (damals Jazz wohl noch ein Zeichen für Wildheit. Kein Wunder, dass im Jahr darauf Punk um die Ecke kam…) und Elternhaus (Ulrich Tukur in einer wunderbar grimmigen Rolle als scheltender Vater), sondern auch ein verstimmtes Klavier und Jarretts Befindlichkeiten.

Ido Fluks Film teilt sich in drei Parts: das Werden der Vera Brandes, die Anreise des Keith Jarrett und letztlich das Zustandekommen des Konzerts selbst. Dass der Film dabei nicht zerfällt, ist auch seiner wirklich freshen Inszenierung zu verdanken, die näher an „24 Hour Party People“ ist als man bei einem Film über ein Jazzkonzert in Köln vermuten möchte. Auch wenn die überdramatisierte Zuspitzung im letzten Part etwas zu arg wirkt, ist Fluk ein mitreissender Film gelungen, der alle Fallen des Prätentiösen vermeidet und lieber eine Teenie-Geschichte übers Wachsen an Widrigkeiten erzählen will.

* In der Pressevorführung wurde ich auch nach einem Huster angeraunzt. Das scheint dieses immersive Filmerlebnis zu sein, von dem immer alle sprechen.

If I Had Legs I’d Kick You (2025, Regie: Mary Bronstein)

Linda ist eine berufstätige Mutter, die nicht mehr weiterweiß. Als ihr zu Hause buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt, kommt ein weiteres Problem hinzu. Sie zieht mit ihrer kleinen Tochter in ein Motel und versucht Lösungen zu finden: Für das Loch in der Decke, die Krankheit ihres Kindes, einen vermissten Patienten und eine ganze Reihe weiterer Menschen, die offenbar nicht in der Lage sind, ihr zu helfen.

Ein Film über den Horror der Überforderung. Vom ersten Moment an sehen wir Rose Byrnes Gesicht in extremem Closeup, eine Nahaufnahme, die sich über den Film noch häufig wiederholen wird und auch visuell zeigt, wie sehr Byrnes Charakter das Gefühl hat, die ganze Welt allein richtig stellen zu müssen: Ihr junges Kind hat eine nie genauer erklärte Erkrankung, der Mann ist nur am Telefon weit entfernt erreichbar, die Decke im Wohnzimmer stürzt ein, die junge Zicke im Ausweich-Hotel will ihr keinen Wein mehr verkaufen.

„If I Had Legs I’d Kick You“ zeichnet dank einer wirklich beeindruckenden Performance von Rose Byrne, die in jeder einzelnen Szene im Fokus steht, die Unausweichlichkeit des Drucks nach und wir können mit ihr den Abstieg dieser Mutter in den Wahnsinn nachvollziehen. Natürlich ist „If I Had Legs…“ also angemessen anstrengend und zerrt an den Nerven, aber auch notwendigerweise um die alles umfassende Anspruchshaltung an die Frau – Mutter sein, Klinikbesuche, Arbeiten, Haushalt organisieren – nicht nur zu behaupten, sondern die damit einhergehende Beanspruchung auch für den Zuschauer, selbst wenn er ein Mann sein mag, nachfühlbar zu machen.

Shadowbox (2025, Regie: Tanushre Das, Saumyananda Sahi)

„Maya findet heraus, dass ihr Mann der Hauptverdächtige in einem Mordfall ist. Um die Familie zusammenzuhalten, sind sie und ihr halbwüchsiger Sohn gezwungen, bis zum Äußersten zu gehen“ …entgegen der Gewohnheit stellt die Berlinale-Ankündigung „Shadowbox“ doch deutlich genre-spannender dar, als sich der Film letztlich entpuppt – was an sich schon bemerkenswert ist, gelingt es dem Berlinale-Programmheft doch sonst regelmäßig, selbst die mitreissendsten Filme maximal bedächtig-uninteressant zusammenzufassen.

Hinzu kommt noch, dass „Shadowbox“ seine Stärken vor der Eskalation der Geschichte hat, wenn das Regieduo Tanushree Das & Saumyananda Sahi in der ersten Filmhälfte das Leben und den Tagesablauf von Maya zeigt, die mit unerschütterlichem Lebensmut allen Widrigkeiten zum Trotz ihre Familie zusammenhält, das Geld nach Hause bringt, den mental instabilen Mann in eine Anstellung zu bringen versucht und dem Sohn den Sprung in eine bessere Zukunft bereiten will.

Herz des Films ist Tillotama Shome in der Hauptrolle als von den Umständen und Männern geplagte Frau, der es gelingt, gleichzeitig die Verzweiflung, den Aufstiegswillen und den Glauben an das gute Leben darzustellen.

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