A Complete Unknown (2024, Regie: James Mangold)
Im Grunde ist es ja verrückt: Im Jahr 2025 eine einhundertvierzigminütige Geschichte darüber zu erzählen, ob Bob Dylan vor 60 Jahren nun eine fucking E-Gitarre in die Hand nahm oder nicht.
Natürlich kulminiert James Mangolds „A Complete Unknown“ nur in dieser „Dylan goes electric“-Performance, aber erzählt zuvor die Ankuft des Robert Zimmerman in New York, von der Freundschaft mit den Folk-Heroen Woody Guthrie und Pete Seeger (Ed Norton mit einer wunderbar humanistisch-linkischen Performance), der On-Off-Affäre zu Joan Baez und dem unerwarteten Ruhm, den dieser zuweilen wie eine gequälte Katze klingender Sänger mit seiner einfachen Akustikgitarre und den komplexen Texten erleben konnte.
Chalamet channelt diesen jungen, wilden Dylan besser als erwartet, bringt vom ersten Moment an dieses Gefühl ein, hier jemandem Besonderen zuzusehen, auch wenn er zu dieser Zeit noch ein complete unknown ist. Noch überzeugender wird Chalamets Dylan-Verkörperung, wenn der wuschelköpfige Sänger berühmt wird und sich von den Erwartungen erdrückt fühlt. Chalamet gibt Dylan hier eine Punkness, die das Regeln brechen zum Punkt der Geschichte werden lässt, und damit jene „alter vs neuer Folk“ Konfrontation am Ende schlüssig zum großen Höhepunkt aufbaut.
Mit „A Complete Unknown“ ist James Mangold etwas unwahrscheinliches gelungen: ein Biopic, das zwar Stationen eines Lebens erzählt, aber sich genügend Erklärungen verweigert, dass Dylan dennoch immer ein Rätsel bleibt. Mangold versucht gar nicht, ihn auszuerzählen. Aber zugleich vermittelt er, welche kulturelle Kraft dieser junge Mann hatte, wie sehr die Welt auf einmal gestoppt hat und begann, sich für einige Jahre nur noch um ihn zu drehen.
P.S.: ein schöner Auftritt von Timothée Chalamet während der Berlinale. Als er zur Überraschung aller – inklusive der Berlinale-Leitung – sich zu einem Besuch in der großen Publikumsvorführung in der Mehrzweckalle an der Warschauer Straße einfindet (und eben nicht nur am edlen roten Teppich verbleibt), begrüßt er das Publikum und merkt im Moment des Hallo-Sagens die Absurdität der Gleichzeitigkeit von Counter Culture und Mainstream-Kapitalismus:
„Welcome to our movie about Bob Dylan in the Uber Eats Music Hall!
…we are here in the Uber Eats Music Hall to watch a movie about Bob Dylan…
Bob Dylan, a man of the people. In the Uber Eats Music Hall.
2025 – what a tragedy.“
Dreams (2024, Dag Johan Haugerud)
Nachdem Dag Johan Haugeruds „Sex“ auf der letztjährigen Berlinale sowas wie Publikumsliebling und Geheimtipp gleichermaßen war, ist es schön zu sehen, dass sein Folgefilm nun in diesem Jahr den Hauptpreis gewinnen konnte (auch wenn ich persönlich „Sex“ noch stärker fand).
In „Dreams“ erzählt Haugerud von einer 17jährigen Schülerin, die zum ersten Mal die Liebe entdeckt – dummerweise nur zu ihrer Lehrerin. Unter allerlei Vorwänden nistet sie sich im Leben der deutlich älteren Lehrerin ein und schreibt, nach einem im Film lange nicht erklärten Bruch dieser Zutraulichkeiten, eine 94seitige Erinnerung daran – zunächst für sich selbst, dann für ihre Familie und letztlich als veröffentlichtes Buch.
Haugerud erzählt aus dem subjektiven Blick seiner 17jährigen, in Rückblicken, mit Auslassungen. Zwar ist die Frage nach einer „Schuld“ im Zusammenhang bei der Annäherung der Beiden der Plottreiber – sowohl im Quasi-Stalking der Schülerin als auch im Zulassen der Lehrerin – und hält Haugerud geschickt Schlüsselinformationen so weit zurück, dass man als Zuschauer immer wieder genötigt wird, seine Position zu prüfen. Das Herz des Films ist aber, seinem Titel angemessen, mehr die träumerische Selbstanalyse eines ersten Verliebtseins.
Blue Moon (2025, Regie: Richard Linklater)
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Ein Kammerspiel an der Theke einer Bar. Ethan Hawke spielt herrlich effeminiert seinen Star-Lyriker (Autor u.a. des Klassikers „Blue Moon“) auf dem Karriereweg nach unten, der die Premierenfeier des neuesten Stückes seines alten Schreibpartners nervös, ängstlich, aufgeregt, hibbelig und vor sich hin schimpfend erwartet.
Ein sehr ‚geschriebener‘ Film, mit Dialogen (oder in Hawkes Fall auch oft einfach nur Monologen), die natürlich kein echter Mensch als solch druckreife Aphorismussammlung nach dem dritten Bourbon auf die Theke knallen würde, aber das tut dem Spaß keinen Abbruch. Mehr eine kleine Fingerübung in der Linklater-Filmographie, aber herrlich leichtfüßig.