vonChristian Ihle 22.07.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Gerade ist das Buch „Der Problembär“ über die Wiener Musikszene erschienen, Untertitel: „Die Abenteuer eines Musikmanagers am Rande von Wien, Wanda und Wahnsinn“. Jener Musikmanager ist Stefan Redelsteiner. Er hat dem Nino Aus Wien eine erste Plattform gegeben, gilt als Wanda-Entdecker, hat das erste Buch von Stefanie Sargnagel veröffentlicht und ist Manager von Voodoo Jürgens. Kurz: es gibt wohl niemanden, der bei so vielen österreichischen Sensationen der letzten zehn, 15 Jahre seine Finger im Spiel hatte.

Wir drucken das Kapitel „Im Celeste-Himmel“ aus dem Buch von Gerhard Stöger ab, das im falterverlag in kooperation mit redelsteiner dahimène edition erschienen ist:

IM CELESTE-HIMMEL

Wie Jahre zuvor bei Nino war auch bei Wanda anfangs noch eine entscheidende Frage offen: Was sind ihre Live-Qualitäten? Okay, das ist alles zu schön, um wahr zu sein, dachte ich, aber vielleicht sind sie auf der Bühne wie die Monkees und können eigentlich gar nicht spielen? Ihr nächster Auftritt war im Celeste, einem leiwanden kleinen Club in meiner weiteren Nachbarschaft im fünften Bezirk, wo ich ohnedies manchmal meinen Problembär-Club machte.

Marco hatte gerade sein Sprachkunststudium abgebrochen, um sich gänzlich auf die Band zu konzentrieren, allerdings gehörten diese Uni-Leute noch zum Umfeld der Band. Lustigerweise kam nach dem Durchbruch sofort der Vorwurf, wie flach und künstlerisch armselig das alles nicht sei, Musik fürs Bierzelt halt. Ich hingegen sah mein erstes Wanda-Konzert im ärgsten Underground-Szene-Kontext bei einem Fest von Marcos
Kunstuni-Leuten. Unter denen gab es praktisch nur dekadente Avantgarde-Künstler-Typen, dem Materiellen abholde Libertines und Dandys, die in ihren Wolkenkuckucksheimen lebten und schon mal mit ihren Genderrollen spielten. Dazu abgespacte Installationen, und alle auf irgendwelchen Drogen. Mehr artsy-fartsy geht kaum, gleichzeitig aber war alles punkig genug, um nicht zu abgehoben zu wirken. Der Rahmen bildete somit das exakte Gegenteil dessen, wie sich Wanda-Hater später das Publikum der Band vorstellen sollten: sehr LGBTQ-mäßig, sehr offen, sehr feministisch, sehr undergroundig und artsy. Und Wanda schwammen innerhalb dieser Szene wie Fische im Wasser.

Obwohl sie im Herbst 2013 noch niemand in der Wiener Indiewelt kannte, war der Club voll. Die nächste Überraschung folgte, als Wanda auf der Bühne standen: Die Musiker beherrschten ihre Instrumente nicht einfach nur, sie spielten alle besser, als ich es mir erträumen konnte; besser als jede österreichische Indieband, die ich je gesehen hatte. Es war klar: Sie könnten Mucker sein, wenn sie wollten, aber sie hatten sich für coole, konzise Musik entschieden. Genau wie die Beatles, die das Spielen an sich durch ihre Zeit in Hamburg verinnerlicht hatten, dieses rein technische Können aber für geschmackvolle Musik nutzten. Die perfekte Mischung also: Du beherrschst das Handwerk, verzettelst dich aber nicht in Virtuosität, sondern schaffst ansprechende, bissige Pop-Kunst.

Dass ihre Lieder Hits sind, war klar. Live setzten Wanda diese Lieder perfekt eins zu eins um, nur noch drängender und rockiger gespielt. Das Verrückteste an diesem Abend aber war, dass alle Menschen im Publikum alle Texte mitsingen konnten. Nicht nur die Refrains, die ganzen Lieder! Wie ist das möglich, fragte ich mich, das kann doch noch niemand kennen?!? Aber Wanda hatten in diesem Kunstuni-Milieu schon seit ein, zwei Jahren Konzerte gespielt. Einem sehr künstlerischen, aber auch abgekapselten Umfeld, das noch um einiges abseitiger agierte als die reguläre Indieszene. Wanda spielten damals bei ihren Gigs immer wieder dieselben Songs und schufen so Nonstop-Mitsing-Momente.

Niemand beschwerte sich, nun schon zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten „Bologna“ oder „Ich will Schnaps“ hören zu müssen. Im Gegenteil. Das entzückte Aufkreischen der eingeschworenen Gefolgschaft, wenn die Anfangsakkorde eines weiteren bekannten Liedes ertönten, war pure Elektrizität, die den engen, verschwitzen Raum in Aufruhr versetzte. Die Endorphine flogen wild durch die Gegend, alles leuchtete. Zeit und Raum waren vergessen.
Es war transzendental.

Vor Konzertbeginn dachtest du dir noch: Was sind das denn alles für blasierte Kunstsnobs, die da herumstehen? Und dann drehen sie komplett durch, Stagediving und Crowdsurfing inklusive, obwohl die Bühne im Celeste dafür eigentlich zu niedrig ist. Stehen die Leute an solchen Orten normalerweise mit verschränkten Armen da, spritzten hier alle mit Bier herum. Es ging zu, als wären Bilder früher Nirvana-Konzerte zum Leben erwacht. Eine Mischung aus total avantgardistisch und hippiefreigeisthaft und gleichzeitig so, als wäre man bei einem Kellerclub-Auftritt der Toten Hosen.
Allerdings nicht den dilettantischen Toten Hosen der Anfangstage sondern den Toten Hosen, die schon ausgecheckte Superstars sind, so rein von der Autorität und Präsenz her. Und das alles beim miesen Sound des Celeste!

„Das ist ja unglaublich, ihr seid die beste Band, die ich je gesehen habe!“, sagte ich danach zu ihnen. Und sie meinten nur: „Das war eines unserer schlechtesten Konzerte bisher. Wir müssen derartige Clubs so schnell wie möglich hinter uns lassen, wir brauchen einen guten Sound. Unsere Musik muss klar, deutlich und fett klingen.“ Wanda hassten es, an solchen Orten zu spielen, und verstanden nicht, wie cool das Hingerotzte solcher Orte später für die Legendenbildung sein würde. Sie hatten eine zu hundert Prozent authentische Begeisterung im Publikum kreiert, obwohl das, was sie taten, weniger spontan als vielmehr extrem ausgecheckt und durch konsequentes Proben hart erarbeitet war. Nur wirkte das Ausgedachte bei aller Professionalität wie hingeschlatzt, wie eine Explosion aus dem Nichts. Die perfekte Basis für das Projekt Welteroberung also.

Als Freundschaftsdienst wollte Vali die vereinbarten Konzerte noch spielen, bis ein Ersatz gefunden war, sonst involvierte er sich aber nicht mehr in die Band. Nach der Celeste-Show schnappte ich ihn mir und redete auf ihn ein. Ich hatte das Gefühl, dass das ein wichtiger Moment für mich als Manager ist. Also trug ich dick auf und übernahm Marcos Argumentation: „Hey, du vergibst gerade die Chance deines Lebens! Willst du der Pete Best dieser Geschichte sein? Wir werden in drei Jahren die Stadthalle ausverkaufen!“ Er wirkte eh zögerlich, aber er musste im Studium gewisse Ziele erreichen, und das war ihm in diesem Moment wichtiger. Nicht aus einer Laune heraus, sondern sichtlich wohlüberlegt. „Ich werde auch nicht in Selbstmitleid versinken und angekrochen kommen, falls sich der Erfolg tatsächlich einstellt“, meinte er. Und weil es bei Wanda zu Beginn auch stark darum ging, seine Männlichkeit zur Schau zu stellen, sagte er noch etwas in der Art von: „Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich steige aus. Punkt.“ In der Euphorie der frühen Tage war das der große Dämpfer: Vali spielte gut, sah super aus und war sympathisch.

Ich hatte einige Leute aus dem Problembär-Umfeld mit ins Celeste genommen. Sie kannten davor keinen einzigen Song, ein Blind Date also, und alle waren überwältigt. Nino hatte ich auch eingeladen, aber er kam nicht und machte überhaupt noch länger einen Bogen um die Band, obwohl er mir gleich zum Signing gratuliert hatte. „Woher kennst du Wanda?!?“ „Ich habe den Sänger mal im Rhiz kennengelernt. Und niemand hat mir je gescheiter auf die Frage geantwortet, wie er ans Musikmachen herangeht, was seine Lieder auslösen sollen.“ „Was hat Marco denn gesagt?“ „Ich will, dass sich jedes meiner Lieder wie ,Strawberry Fields Forever‘ von den Beatles anfühlt.“ Nino sprach von seiner ersten Begegnung mit Marco, die er sehr wahrscheinlich bei meinem Open-Mic-Abend Anfang 2013 gehabt haben musste.

Bis die beiden richtige Freunde wurden, sollte es noch ein wenig dauern, denn Nino war sehr vorsichtig. Als er Anfang 2014 im Rhiz sein erstes Wanda-Konzert sah, fand er es zwar sehr gut, aber auch zu laut und rockig für seinen Geschmack. In seiner verhuschten Singer/Songwriter-Welt war ihm das zu wild und zu dick aufgetragen.

Und er merkte gewiss, dass sich da gerade eine tektonische Verschiebung ankündigte, wie Pop- und Rockmusik in Indie-Österreich sein kann, nein, sein wird – und dass sie weggehen würde von der Richtung, in der er daheim war und in der alles ein bisschen schlampig gespielt sein durfte. Plötzlich war Bruce Springsteen die Referenz, nicht mehr Daniel Johnstons verwackelte Homerecording-Songwriter-Kunst.

Nino war der Erste, der sich mir gegenüber kritisch zu Wandas Rockismus äußerte, aber in der Folge hörte ich das in der Wiener Indiewelt regelmäßig. Bei einem der letzten Problembär-Abende im Rhiz legte Al Bird Dirt auf, der größte Experte für österreichischen Beat, bekannt für die Sampler-Reihe „Schnitzelbeat“. Jahrelang hatte er mir von seiner Begeisterung für „einfache Rockmusik für Teenager“ und seiner Abneigung allem Verkopften und Elitären gegenüber erzählt. Ich dachte, Wanda müsste ihm taugen. Aber er war entsetzt. „Mein Gott, Stefan, das sind Mucker!“, meinte er. „Die könnten auch in Waidhofen beim Zeltfest auftreten, so wie die spielen. So etwas interessiert mich überhaupt nicht. Für mich war dieses Konzert ganz, ganz mies, sorry!“

War es das wirklich? Ich weiß es nicht. Viele Menschen aus dem Underground-Kontext stehen dem Rockistischen skeptisch gegenüber, aber ist man als fühlendes Wesen wirklich davor gefeit, primitive Popmusik zu mögen? Ist es nicht nur ein Reflex, so etwas in einer bestimmten Bubble abzulehnen? Ist es nicht Ausdruck einer gelangweilt-ironischen Meta-Denkweise, die einem den Zugang zu allem echt Gefühlten vernagelt? Geht es nicht auch um ungefilterte Euphorie und Ekstase? Das Hier und Jetzt? Diesem Verkopften wollte Marco immer bewusst mit Hits und Rock ’n’ Roll begegnen.

Genau das fehlte in Österreich damals ja tatsächlich, und genau das lieferten Wanda.

„Der Problembär. Die Abenteuer des Musikmanagers Stefan Redelsteiner am Rande von Wien, Wanda und Wahnsinn.“ ist im falterverlag in kooperation mit redelsteiner dahimène edition bereits erschienen

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