vonChristian Ihle 10.11.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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The Lost Bus (2025, Regie: Paul Greengrass)
auf Apple+

Katastrophenfilm über einen Schulbus auf Abwegen in einem Waldbrandgebiet. Paul Greengrass ist hier natürlich in seinem shaky-camera-Element und bringt seinen professionellen Doku-Spielfilm-Blick erfolgreich in den Film.

„The Lost Bus“ ist nägelkauend anspannend und findet doch immer wieder Momente der Ruhe, um auch die Verzweiflung der Charaktere zuzulassen. Angenehmerweise konzentriert sich Greengrass‘ wilder Waldbrand auf wenige Figuren – ein herrlich knarziger Matthew McConaughey als Working Class Loser und Schulbusfahrer, America Ferrera als Lehrerin mit Herz und Yul Vazquez als bellender Henry-Rollins-Doppelgänger, der Löschung und Rettung organisiert – und umgeht damit den alten Katastrophenfilm-Charakter-Overkill.

Gelungen, auch wenn die letztliche Auflösung so verwunderlich plötzlich geraten ist, dass ich eine zeitlang dachte, wir sehen hier einen Post-Todes-Traum. (7/10)

The Woman in Cabin 10 (2025, Regie: Simon Stone)
auf Netflix

Ich bin ja irgendwie ein Sucker für diese Mensch-verschwindet-ist-es-Wahn-ist-es-Wirklichkeit-Thriller und so können mich die Frauen in den Kabinen, auf den Zügen oder in den Fenstern nicht gänzlich langweilen, aber man darf halt wirklich keine Sekunde dabei nachdenken, so behämmert sind die Plotlines wieder und wieder.

Auch „Woman in the Cabin 10“ ist natürlich lachhaft unrealistisch und mit einem irren „Twist“, hat dazu noch die schräge Idee als „Eat The Rich“-Vehikel zu starten, das aber auf seiner Fahrt dann völlig zu vergessen. Kurios immerhin dass Keira Knightley eine „The Guardian“-Journalistin spielt und dieser echte Zeitungsname (meiner Meinung nach ja die vielleicht beste Tageszeitung der Welt) auch tatsächlich in Wort und Bild erscheint.

Ansonsten: für Fans des Genres stumpfe Sonntagabend-Unterhaltung, für alle anderen verschwendete Zeit. (4+/10)

The Perfect Neighbor (2025, Regie: Geeta Gandbhir)
auf Netflix

„The Perfect Neighbor“ ist eine Anklage gegen das amerikanische „Stand Your Ground“-Gesetz, das – vereinfacht gesagt – Waffengewalt erlaubt, wenn sich ein Grundbesitzer bedroht fühlt.

Regisseurin Geeta Gandbhir wählt dabei einen interessanten Ansatz: weder zeigt sie einen Jusizirrtum, noch ein Mördermonster oder einen Radikalen, sondern taucht in eine klassische Suburbs-Nachbarschaft ein und beobachtet den sich immer weiter zuspitzenden Zwist zwischen der alten Oma nebenan und den Jugendlichen, die in der Nähe ihres Hauses spielen.

Das Filmmaterial besteht quasi ausschließlich aus Footage der Body-Cams von Polizisten, die zu allerlei Nachbarschaftsstreitigkeiten gerufen werden. Das führt natürlich zu einer maximalen Nähe und dem Gefühl einer Unverfälschtheit, hat aber in dem Moment, als tatsächlich ein großes Unglück geschieht, auch genau diesen Nachteil. Selbst wenn alle Anwesenden der Veröffentlichung dieser Bilder in Filmform zugestimmt haben sollten, ist es schlicht exploitativ, wenn ein minderjähriges Kind erfährt, dass seine Mutter erschossen wurde und der Zuschauer „live“ dabei ist. Hier fehlt der Respekt vor diesen Momenten, selbst wenn die Intention noch so gut sein mag.

Das hinterlässt ein äußerst unangenehmes Gefühl bei einem sonst trotz eines eigentlich – für Netflix-Verhältnisse – niedrigschwelligen, nichtsensationsheischenden Film über eine wahre Untat, der zeigt, dass es keine Exzesse benötigt, um eine spannende True Crime Geschichte mit Attitude zu erzählen. (6+/10)

The Beekeeper (2024, Regie: David Ayer)
auf Amazon Prime

Dachte die Art Filme hätten wir mit den 80ern hinter uns gelassen: Actionstreifen, die nicht weh tun, immer etwas zu scherzen belieben und zwar einen hohen Bodycount aufweisen, aber keine originellen Kampfszenen. Aber nix da, „The Beekeeper“ mit dem ja durchaus sympathischen Jason Statham fährt tatsächlich mal 60 Millionen plus Einspiel in den USA ein (#34 – in Deutschland relativ sogar noch erfolgreicher als 25. bestbesuchtester Film des Jahres) und ich frag mich nur: warum?

Hier ist nichts spannend, gar nichts lustig und das meiste doch ziemlich langweilig. Die einzig gute Idee: Cryptobros in all ihrer inhärenten Lächerlichkeit mal als Villains aufzubauen (nur bezweifle ich, dass die in knallbunten Anzügen in Call-Centern sitzen, die wie wahnsinnig gewordene Start Ups aussehen). (4/10)

The City of Violence (2006, Regie: Ryoo Seung-wan)
auf Amazon Prime

Normalerweise finde ich Actionfilme dieser Art mit fortschreitender Spieldauer immer schlimmer, hier war’s wenigstens andersrum. Die ersten zwei Drittel kann man getrost vergessen, ein Sub-Chinatown-Plot für die ganz Dummen wird verknüpft mit albernen 1 gegen 100 Fightszenen. Kurioserweise gelingt aber, trotz etwas zu vielen visuellen Spielereien, genau diese Konfrontation im Schlußfight dann doch recht gut. Die letzten 20 Minuten also durchaus in Ordnung, nur der Weg dahin: puh. (4+/10)

Die schreckliche Wahrheit (1937, Regie: Leo McCarey)
zur Leihe bei Apple

Schon faszinierend, wie Screwball-Komödien, die vor beinah einem Jahrhundert gedreht wurden, noch so frisch wirken können. Klar, die damaligen Konventionen hinsichtlich Romantik, Liebelei und Heirat sind für heutige Gemüter etwas verwirrend, aber selbst in dieser Hinsicht wirkt „The Awful Truth“ moderner als viele seiner Zeitgenossen. Immerhin ist der zentrale Plotpoint, um den sich die Jokes ranken, dass ein Ehepaar den jeweils anderen Part des Fremdgehens verdächtigt und in einer Übersprungshandlung direkt zur Scheidung schreitet – die aber vom Richter für 90 Tage suspendiert wird. Während dessen haben beide ihre Liebeleien auf der Seite und der Ex-Partner beginnt langsam eifersüchtig die jeweilige Fremd-Beziehung mit immer elaborierteren Plots zu sabotieren. Cary Grant wurde geboren, um solche Rollen zu spielen!

MVP: Die Hut-Szene mit Hund, die in zweifacher Nebenbuhler-Flucht ins Nebenzimmer endet. (7/10)

September & July (2024, Regie: Ariane Labed)
auf mubi

Regisseurin Ariane Labed war Darstellerin in den frühen Greek Weird Wave Filmen „Attenberg“ und „Alps“. Diesen Vibe durchzieht auch ihr Regiedebüt „September & July“, das die Geschichte zweier Außenseiter-Schwestern erzählt, die in der Schule gemobbt werden, in einem seltsamen Elternhaus aufwachsen und ein zunehmend toxisches Verhältnis zueinander entwickeln. Gerade letzteres greift ein klassisches Lanthimos-Motiv auf, dessen Lebensthema die zwischenmenschlichen Machtstrukturen sind, die Submission im alltäglichen Leben.

„September & July“ ist trotz seiner inhärenten Weirdness zugänglicher als die oft sperrigen frühen Greek Weird Wave – Filme und damit näher an „Dogtooth“ als an „Attenberg“. Dass der Film zusätzlich noch eine Mindfuck-Ebene einbaut, wäre gar nicht nötig gewesen, weil die Disposition der beiden Schwestern auch ohne diesen großen Eingriff bereits genug erzählt. (6/10)

April (2024, Regie: Dea Kulumbegashvili)
auf mubi

Formal hervorragendes, aber doch recht sperriges und auch unnötig langes Unterdrückungsdrama aus Georgien.

„April“ ist Dea Kulumbegashvilis Erstling „Beginning“ durchaus ähnlich in seiner Herangehensweise, doch „Beginning“ hatte mich emotional mehr erreicht. All die sorgfältig komponierten Bilder erwischen mich nicht so recht, wenn die Figuren sich so sehr ihrer Liebe zum Schweigen und stumm Rumstehen hingeben. (5+/10)

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