Beating Hearts (2024, Gilles Lellouche)
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Beating Hearts erzählt die Geschichte zweier junger Menschen, deren leidenschaftliche Beziehung sie in einen gefährlichen Strudel aus Liebe, Geheimnissen und moralischen Entscheidungen zieht.
Der dritte Film des Schauspielers Gilles Lellouche als Regisseur ist im Gegensatz zu seinen vorherigen Streifen wie „Ein Becken voller Männer“ ein großer, großer Wurf in jeder Hinsicht. Die 35 Millionen teure französische Produktion (Frankreich tickt echt anders!) ist zugleich Coming Of Age wie Romeo & Julia – Romantik, Gangsterthriller wie Familienmelodram.
Das Besondere: „Beating Hearts“ überzeugt durch all diese Genre-Linsen gesehen als große, jahrzehnte umfassende Geschichte einer Liebe gegen die Umstände. Toll gespielt sowohl in der Teenager-Zeit (Malik Frikah als wilder bad boy Junge hat eine manische Präsenz) als auch im Erwachsenen-Alter (erneut beeindruckend: Adèle Exarchopoulos), in epischen Bildern gefilmt und mit einem starken Pop-Soundtrack versehen, scheut „Beating Hearts“ vor keiner großen Geste zurück.
Ein Film, der alles will, und auch wirklich viel davon erreicht. (7/10)
Relay – The Negotiator (2024, David Mackenzie)
im Kino
Relay folgt einem professionellen Vermittler, dessen perfekt kontrollierte Welt ins Wanken gerät, als ein neuer Auftrag ihn in ein Netz aus Lügen, Machtspielen und persönlichen Abgründen zieht.
Ein schön spannnder Thriller um einen im Verborgenen arbeitenden Typen, der Whistleblower schützt und ihnen hilft, Arrangements mit den angeklagten Firmen zu treffen. Riz Ahmed spielt seinen Verhandler mit großer Präzision und es ist eine Freude, diesem Charakter dabei zuzusehen, wie er das Unmögliche in der heutigen Welt versucht: zu verschwinden, unaufspürbar zu sein. Mittels abhörsicheren Geräten, Zwischenhändlern und einem Eintauchen in die Masse gelingt ihm das auch – doch dann kommt die Frau, das Unheil, und wenn das Herz zu laut pochen beginnt, können dich deine Gegner hören…
Diese ganzen elaborierten Verschwindeversuche sind bei längerem Nachdenken ebenso übertrieben wie letztlich der große Twist des Films unrealistisch ist, aber das schadet „The Negotiator“ nicht, weil Regisseur David Mackenzie so kompetent die Hebel in Bewegung setzt, dass man sich einfach gern mitreissen lässt. (7+/10)
Mordanklage gegen einen Studenten (1972, Mauro Bolognini)
zur Leihe
Ein Staatsanwalt ergründet die Wahrheit über den Tod zweier Menschen, nachdem die Polizei einen Studenten als bewaffneten Täter darstellt und Widersprüche im offiziellen Ermittlungsbericht auftauchen.
Mehr ein Drama über den Generationenkonflikt der 60er/70er als die erwartete Korruptionsräuberpistole, die das italienische Kino zur damaligen Zeit gerne und erfolgreich produzierte.
Zwar beginnt der Film mit zwei ungeklärten Todesfällen bei einer Studenten-Demonstration (ein Polizist, ein Kommunist), doch die nachfolgende polizeiliche Entwicklung wird schnell zur Nebensache, als der ermittelnde Staatsanwalt bemerkt, dass sein eigener Sohn an der Demonstration beteiligt war. Im Folgenden spielt sich eine schön austarierte Diskussion um Fragen der Loyalität (zu Staat, zu Beruf, zu Familie?) und den unterschiedlichen Ansichten der Generationen ab.
Ein erstaunlich reifer, unzynischer Film. (6+/10)
The Purple Rose of Cairo (1985, Woody Allen)
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Eine unglückliche Kellnerin entflieht ihrem tristen Alltag, als eine Filmfigur buchstäblich aus der Leinwand steigt und ihr Leben auf wundersame, aber komplizierte Weise auf den Kopf stellt.
Eine zarte, romantische, nostalgische und auch wehmütige Komödie von Woody Allen.
Die in einer unglücklichen Ehe steckende Cecilia (Woody Allens damalige Partnerin Mia Farrow) findet ihre einzige Zuflucht in ausgiebigen Kinobesuchen. Als sie einen Abenteuerfilm sieht, steigt auf einmal der Star (Jeff Daniels) von der Leinwand und flieht mit ihr in das ‚richtige‘ Leben.
Dieses „Fisch aus dem Wasser“-Szenario nutzt Allen für einige einfache, aber sehr schöne Scherze, die all die Shortcuts des Filmemachens mit der Beschwerlichkeit des ‚echten‘ Lebens kontrastieren (damit Autos losfahren, muss man erst einen Schlüssel einstecken…). Doch neben all den Meta-Diskussionen über Film vs Leben schlägt das Herz von „Purple Rose Of Cairo“ doch bei den Hoffnungen und Enttäuschungen des Liebeslebens, was auch als Kommentar zur Fakeness des Hollywood-Geschäfts fungiert, wenn selbst der ‚echte‘ Darsteller der Film-Figur, der ebenfalls in Cecilias Leben tritt, für sie nur zur Enttäuschung werden kann.
Von Woody Allen selbst als einer seiner Lieblingsfilme bezeichnet, war vor allem in Deutschland der kommerzielle Erfolg erstaunlich: Platz 21 in den erfolgreichsten Filmen des Jahres mit fast einer Million Zuschauer und damit beispielsweise besser besucht als „Terminator“! „Purple Rose Of Cairo“ wurde so in Deutschland zu Allens größtem Erfolg seit „Manhattan“ (1979, 1,7 Mio Zuschauer). (6/10)
Spieleabend (2024, Marco Petry)
auf Netflix
Bei einem vermeintlich harmlosen Spieleabend mit dem Freundeskreis gerät die frisch verliebte Beziehung zwischen Jan und Pia durch das Auftauchen von Pias Ex schlagartig aus den Fugen.
Gut ein Vierteljahrhundert nachdem Marco Petry eine der wenigen guten deutschen Schulkomödien („Schule“, 2000) gedreht hat, verbindet er sich wieder mit einem nun vollbärtigen Axel Stein und produziert eine deutsche Komödie, für die man langsam ein eigenes Subgenre aufmachen kann: mittelalte Menschen treffen sich zu einem ’schönen‘ Abend, doch dann eskalieren die im Verborgenen liegenden zwischenmenschlichen Spannungen auf die alleramüsanteste Weise (Scherz). Siehe auch „Der Vorname“, „Der Nachname“, „Der Spitzname“, „Das perfekte Geheimnis“ et al.
„Spieleabend“ hat zumindest den Vorteil, nicht die allerbekanntesten Nasen erneut durch die Wohnzimmer-Manege zu jagen, und widersteht den gröbsten Nach-unten-Treten-Witzen, sondern hat sein Herz bei der Working Class (was hier allerdings tatsächlich „Besitzer eines Upcycle-Bike-Laden im hippen Kreuzberg“ bedeutet…) gegen die Grunewald-Spießer. Wenige erfolgreiche Scherze, aber auch nicht ärgerlich und zumindest halbwegs unterhaltsam.
P.S.: allerdings Meilen unter der tatsächlich sehr gelungenen, quasi gleichnamigen, inhaltlich aber unterschiedlichen US-Comedy „Game Night“ von 2018, die im Vergleich zu „Spieleabend“ eindeutig das LOL-Monopoly inne hat. (5/10)
Pfau – Bin ich echt? (2024, Bernhard Wenger)
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Ein Mann verdient seinen Lebensunterhalt damit, sich auf Bestellung als Freund, Sohn oder Begleiter ausgeben zu lassen — bis er durch diesen ständigen Rollenwechsel sich selbst so sehr verliert, dass sein Leben vollends aus den Fugen gerät.
Der österreichische Spielfilm „Pfau“ spielt wie eine weniger verstörende Variante von Yorgos Lanthimos „Alps“. Auch hier wird die Hauptfigur dafür bezahlt, in elaborierten Settings die Rollen anderer Menschen zu übernehmen. Albrecht Schuch ist natürlich die Idealbesetzung für diesen Charakter, gibt es doch derzeit keinen anderen hiesigen Schauspieler, der so sehr in seinen Rollen verschwindet. Schuch ist wandlungsfähig bis zur Unerkennbarkeit.
Ein wirklich interessantes Spielfilmdebüt von Regisseur & Autor Bernhard Wenger, dessen „Pfau“ sich hier – abgesehen vom offensichtlichen Lanthimos-Vergleich – neben Filmen wie „Dream Scenario“ von Kristoffer Borgli oder Alex van Warmerdams „Borgman“ einsortiert.
Ein weirder, kühler, schwer greifbarer Film, eine Empfehlung. (7+/10)
The Fantastic 4: First Steps (2025, Matt Shakman)
auf Disney+
Ein Superheldenteam muss die Erde beschützen, als der planetenverschlingende Weltraumgott Galactus mit seinem Adjudanten Silver Surfer droht, die Welt zu vernichten.
Familienfreundlicher Marvel-Quatsch: der neueste Fantasic-Four-Reboot setzt vor allem auf die Kern-Familie, die nuclear family. Und zwar endlich einmal im Wortsinn, denn der entscheidende Punkt der Erzählung ist das gemeinsame Baby von Susan Storm und Reed Richards, die beide dank Verstrahlung im All Superkräfte entwickelt haben.
Und nun vor der großen Frage stehen: was wird aus super+super? Supersuperbaby? Jedenfalls meint das Galaktos, der Bösewicht der Geschichte, der das Supersuperbaby als seinen Weltenverschlingungsnachfolger auserkoren hat! Großer Unsinn natürlich allenthalben, aber gut, so ist das eben hier im Genre und im Besonderen noch mal bei dieser Family*5.
Kommen wir zum wichtigeren: wie sieht’s aus? Und hier ist das Echo aus dem Nichts der Geschichte zwiespältig. Einerseits ist das retrofuturistische Design der (alternativen) Erde wirklich sehr schön anzusehen (think: The Jetsons, aber vom Pan-Am-Designer) und manchmal gar etwas originell, aber der Kampfszenen-CGI ist selbst für Marvel-Verhältnisse noch mal außergewöhnlich grauenhaft. Hier sieht wirklich gar nichts mehr „echt“ aus, dementsprechend wird’s unfreiwillig komisch wenn der Bösewicht sich godzillagleich durch die Stadt galaktiert und Pedro Pascal mit ins unendliche gedehnte Gliedmaßen an ihm herumzuturnen versucht. (5/10)
Die Akte Maldoror (2024, Fabrice Du Welz)
zur Leihe
„Die Akte Maldoror“ ist eine fiktionalisierte Erzählung über die berüchtigten Dutroux-Verbrechen in Belgien, inklusive Vermutungen über einen weiter gefassten Pädophilie-Ring.
Es ist 20 Jahre her, dass ich zuletzt einen Fabrice Du Welz – Film gesehen habe, einen sehr sperrigen, unangenehmen, aber lange nachhallenden Abstieg ins Nichts namens „Calvaire“ (aka „The Ordeal“). Auch „Die Akte Maldoror“ macht es dem Zuschauer nicht leicht, denn wie in „Calvaire“ sind hier auch keinerlei Sympathieträger zu finden, selbst der mit großem Verve ermittelnde junge Polizist ist in seiner obsessiven, cholerisch-verzweifelten Art wahrlich kein Freund-und-Helfer-Cop.
Angesichts des schweren Themas ist diese Herangehensweise auch nachvollziehbar, aber dass Du Welz den Film so fiebrig inszenieren muss, dass selbst offensichtliche Entwicklungen manchmal schwer zu verstehen sind und er an entscheidenden Stellen (wie dem Hinweis ganz am Ende auf das Hausboot) die Deus-ex-Machina anwirft, zeugt auch nicht von stringentem Erzählen. Insbesondere angesichts des wirklich erstaunlichen Falls mit etlichen heute noch unbeantworteten Fragezeichen (siehe beispielsweise diesen Wikipedia-Eintrag mit 27 verstorbenen Zeugen) ist „Die Akte Maldoror“ auch eine verschenkte Chance, bei der man sich ständig denkt: eine wirklich profunde Dokumentation wäre interessanter gewesen. (5/10)