vonLeisz Shernhart 07.03.2021

Poetik des Postfaktischen

Zu viel Form für zu wenig Inhalt: Zur Rolle des Kulturschaffenden in der postfaktischen Gesellschaft. Betrachtungen ohne abschließende Bewertung.

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Eine feine Gesellschaft, die es sich leisten kann, Kulturschaffende heranzuzüchten, um sie sich andienen zu lassen, sie mit vier warmen Mahlzeiten in 48 Stunden abzuspeisen, ausgezehrt, am ausgestreckten Arm verhungert. Eine feine Gesellschaft, die es sich leisten kann, den Kulturschaffenden am kurzen Zügel zu domestizieren, auf Distanz zu halten, argwöhnisch ihn beäugend zu bourgeoisieren, ihn zu verniedlichen, mit Füßen zu treten, nur um ihn schließlich in letzter Instanz bewundernd zu belächeln. Hörig nimmt das bourgeoise Bürgerbürschchen, dem die wirklich großen Würfe nicht von der Hand gehen wollen, seinen Platz ein in der Nahrungskette und schlägt für die Zaungäste des zelufanenen Spektakels innerhalb der Bubble einen Purzelbaum. Als Belohnung verdient es sich sein Leckerli und ergattert seine tägliche Dosis handelsüblichen A T T O S I L S, aufdass es brav die Fresse halte.

 

Attosil ist ein verschreibungspflichtiges Medikament. Die Phantasie ist das Attosil des Wüstlings. Sie lindert die Lust, dämpft den Durst. Dem Abgeschafften verschafft sie bisweilen etwas Linderung. Wer sie nimmt, fühlt sich beflügelt; in der Lage, Berge zu versetzen, Welten zu schaffen. Ein Universum in Pulverform. Wieso auch nicht?! Die Phantasie ist eine Suchterkrankung. Man kann nicht von ihr ablassen, es ihr doch nicht recht machen. Letztlich lässt sie uns lächeln ob der Möglichkeit, Scheiße regnen zu lassen. Wieso auch nicht?! Argwöhnisch beäuge ich sie und verbeuge mich doch vor ihr. Die Phantasie. Das Attosil.

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