vonLeisz Shernhart 26.10.2022

Poetik des Postfaktischen

Zu viel Form für zu wenig Inhalt: Zur Rolle des Kulturschaffenden in der postfaktischen Gesellschaft. Betrachtungen ohne abschließende Bewertung.

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Als Meister der Mimikry tarnt der Künstler sich mit nicht gerade wenig Fortune als Vogelfloh im räudigen Schafspelz der Welt. Einen biederen, zumeist recht bürgerlichen Brotberuf ergreifend, passt er sich an und gleicht dabei einem möglichst gefürchteten, rechtlichen Fressfeind seines natürlichen Gegners, in Gestalt und Farbe, um sich zu bewahren, sich abzuschirmen vor sich selbst. Der Bock macht sich zum Gärtner. Das Leben, das er nicht führt, studiert der Künstler ein wie eine Nummer im Zirkus, während welcher er stagniert, ewiglich im Kreis sich drehend, wie die Kunstreiterin auf Kafkas Galerie. So sehr er sich bemüht, so albern wirkt sein Mummenschanz. Die Welt, die ihn umgibt, eine feindliche Umgebung. Wie fremde Zungen studiert er sie, beherrscht sie schließlich fließend in Wort und Schrift, klimpert sich virtuos durch verschiedenste Sprechregister. Doch In gewissen Äußerungskontexten ahnt man den Akzent, vor lauter Großmannssucht bemerkt der Künstler es nicht.  Wer genau nicht hört, dem bleibt der Akzent verborgen, doch sieht man gründlich hin, erblickst du ihn. So sehr er sich auch müht, sein Wesen zu verbergen, das äußere Erscheinungsbild des Künstlers offenbart dem Betrachter die klägliche Wahrheit:

Sein vorgereckter Hals schultert ein besorgtes Gesicht, das ständig Ausschau hält. Misstrauen und mütterliche Liebe für das Schöne und Wahre haben dieses Antlitz verzehrt.  Nicht selten fährt das ungünstig proportionierte Haupt, dessen Platte mit einem schütter verfranzten Halbschopf garniert ist, hektisch herum, um zu erahnen, ob ihm Gefahr drohe. Ein hellbrauner Hut mit verschossenen Bändern, gefertigt aus speckigem Leder, thront auf diesem in die Jahre gekommenen Magistraten der Künste. Die königsblauen Augen sind wach, der dümmliche Blick scheint schläfrig. Zwei pausige Backen lauern unter den redlichen Wangen, seitwärts, unsymmetrisch, unrasiert und künftig vergriffen. Hernach ein faltiger weißer Raucherhals, aus Scham bedeckt mit einem jungen in Harlem fabrizierten Kaschmirschal, den niemand mehr trägt. Der Rock ist florettseidenfarbig geziert, doch riecht nach qualmenden Mündern. Die Hosenbeine blinzeln, mehrfach geflickt, was man jedoch erst auf den zweiten Blick entdeckt. Sieht man nur flüchtig hin, so entgehen einem die geschickt verborgenen und in das Gesamtbild virtuos integrierten Nähte und Flicken. In der Hand hält der Künstler einen Strohkorb, der leer ist. In seinen abgetragenen Ziegenlederschuhen gewahrt der Betrachter zwei verschiedenfarbige Strümpfe.   E h e m a l s war er sicherlich schön gewesen, denkt man schüchtern, bevor man sich mit Abscheu abwendet!

 

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