vonLeisz Shernhart 13.03.2024

Poetik des Postfaktischen

Zu viel Form für zu wenig Inhalt: Zur Rolle des Kulturschaffenden in der postfaktischen Gesellschaft. Betrachtungen ohne abschließende Bewertung.

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Im Endeffekt würde ich sagen, René Polleschs Zunge hat keinen Sinn. Ihr Sinn besteht allenfalls darin, keinen Sinn zu haben und damit die Erwartungshaltung der Rezipienten zu irritieren. Die provozierte Irritation wird beim Publikum grundsätzlich zwei mögliche Reaktionen hervorrufen: Empörung oder Begeisterung, mit allen erdenklichen Abstufungen und Zwischentönen. Zum Teil ist auch eine Art Des-Kaisers-Neue-Kleider-Effekt zu beobachten. Mit diesem etwas hergestellten Neologismus bezeichne ich das Phänomen, dass nach Theaterbesuchen alle klatschen und die Inszenierung im Nachgespräch als großartig adeln, obwohl sie sich eigentlich gelangweilt und kein Wort davon verstanden haben. Nur will man, um Himmelswillen, sich nicht die Blöße geben. Um auf die Zunge zurückzukommen: Vermutlich ist es ihre Funktion, als Projektionsfläche für eigene Assoziationen (z.B. meine eingangs erwähnte Rolling-Stones-Assoziation) zu dienen sowie Diskurs anzustoßen. Letzteres hat ja auch ausgezeichnet funktioniert, sonst hätten sich die Schüler*innen wohl kaum empört und ihren Lehrer nicht befragt. Dass es freilich als hochgradig zügellos angesehen werden kann, es sich als ein hoch subventionierter Kulturbetrieb wie das Schauspiel Stuttgart leisten zu müssen, seine Gewerke ein vordergründig völlig nutzloses riesiges Requisit anfertigen zu lassen, das nach der Dernière auf dem Sperrmüll landet, steht auf einem völlig anderen Blatt. Solch spätrömische Dekadenz ist ein Faustschlag ins Gesicht einer darbenden freien Theaterszene, die sich zumeist eine Hand voll klimperndes Hartgeld abzählen muss, um sich im Baumarkt Requisiten zu dribbeln. Doch ich fürchte, auch dies müssen wir aushalten. Kein Grund, um böse zu gucken. Der nächstbeste Feuilletonist eines Provinzkäseblatts wird sich finden, um die mit Blattgold verzierte Kulturfettkröte zu schlucken und mit einem Gläschen Chardonnay herunterzuspülen. Abschließend ist es mir noch wichtig zu betonen, dass ich den Namen Bratis-Berger weder frei erfunden noch redaktionell geändert habe. Er wird ohnehin nie lesen, was ich hier über ihn schreibe, denn ich schätze, er sitzt wohl lieber vor der Glotze.

 

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https://blogs.taz.de/postfaktisch/rene-polleschs-zunge-4-4/

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