Mit den Einschätzungen ist das so eine Sache. Wir FreibadlerInnen hatten es z.B. so eingeschätzt, dass die Prinzenbad-Saison bis Ende September dauert. Jetzt soll am 13 September Badeschluss sein. Oder ein anderes Beispiel zum Thema: Ich hatte ursprünglich das Ausmisten meines Kleiderschranks mit einer Stunde angesetzt – schätzungsweise. Daraus sind dann 4 Stunden geworden – wohl gemerkt am 2. Tag. Am ersten Ausmist-Tag hatte ich auch schon einige Stunden damit verbracht, Kleidungsstücke zu sichten und anzuprobieren, um dann doch nur wenige davon auszurangieren. Einschätzungen von Zeit und Sachverhalten sind gar nicht so einfach. Noch schwerer sind Selbsteinschätzungen. Zum Beispiel die Einschätzung, auf welcher Bahn wer wann am besten aufgehoben ist.
Seit dem Beginn der Sommersaison ist das Sportbecken in 4 Doppelbahnen aufgeteil. Ein Zettel mit der Aufschrift „advanced“ für die äußere linke Bahn ist für die fortgeschrittenen SchwimmerInnen vorgesehen – also für die Olympiaverdächtigen unter uns. Dann gibt es noch zwei Bahnen für die sportlichen PrinzenbadlerInnen und auf der vierten, ganz rechten Bahn schwimmen die langsameren Badegäste. Die Schilder mit den Hinweisen „sportlich“, „advanced“ und „relaxed“ sind natürlich unterschiedlich auslegbar. Ich schwimme in der Regel mein Techniktraining mit Pullbouy auf der etwas langsameren der beiden sportlichen Bahnen, um die schnelleren MitschwimmerInnen nicht mit meinen Stilübungen zu nerven. Ihr wisst schon: Kraulbeine, Abschlag-Kraul – also Techniken, die nicht ganz so flott daher kommen.
An manchen Tagen bin ich jedoch immer wieder verwundert, wie dehnbar der Begriff „sportlich“ ist. Erst vor ein paar Tagen saß ich am Beckenrand, zurrte meine Schwimmbrille fest und überlegte, ob da vorn Joachim Król auf der Bahn schwamm. Lustig, dachte ich – hatte ich doch gerade am Vortag in der Mediathek den Film „Endlich Witwer“ gesehen. Joachim Król spielt da den Kunstrasenfabrikant Georg Weiser, der – und um die Geschichte nicht unnötig lang nachzuerzählen – regelmäßig ins Schwimmbad geht. Wunderbar diese Schwimmbad-Szenen… Aber egal… Es war nicht Joachim Król, der da vorne schwamm – er sah ihm nur verdammt ähnlich.
Ich ließ mich also mit meinem Pullbouy ins Wasser gleiten und musste feststellen, dass ich mir die Bahn mit einem Stehschwimmer, einer Querschwimmerin und einem Badegast teilte, der mehr am Beckenrand saß als seine Bahnen zu ziehen. Aber kurz vor meiner Wende sprang er dann immer wieder ins Wasser und hüpfte vor mir auf der Bahn auf und ab. Nicht, dass das so besonders schlimm oder hinderlich für mich gewesen wäre, aber es veranschaulicht doch, wie unterschiedlich die Selbsteinschätzung zum Thema „sportlich“ ist.
Es gibt so einige Beispiele zum Thema „Überschätzung“, aber auch zur „Unterschätzung“. Vorgestern z.B. schwamm eine wirklich richtig schnelle Schwimmerin in der Mitte der langsameren der „sportlich“ ausgewiesenen Bahnen. Vielleicht, um nicht permanent alle MitschwimmerInnen überholen zu müssen. Sie gehörte eindeutig auf die „advanced“ Bahn. Okay, ich weiß nicht, ob sie ihre eigene Schwimmgeschwindigkeit wirklich nur unterschätzt oder sich durch diesen Trick eine eigene Bahn herausgemogelt hat. Auf jeden Fall war dieses Verhalten für alle anderen SchwimmerInnen auf der Bahn nervig. Niemand konnte mehr überholen, da die Mitte der Bahn von der olympiaverdächtigen Schwimmerin belegt war.
Selbstüberschätzung ist aber nicht weniger nervig. Eine andere Frau, die ich fast ein paar mal touchierte, weil sie sehr sehr langsam schwamm, wechselte darauf hin von der sportlichen zur „advanced Bahn“. Na, viel Spass, ihr Olympiaverdächtigen auf der Nachbarbahn, dachte ich. Dann aber fiel mir ein, was mein Schwimmtrainer Holger mal erklärt hatte…: Ein langsamer Schwimmer ist mit einer Geschwindigkeit von ca. 2 Stundenkilometer unterwegs. Ein richtig schneller Schwimmer hat höchstens 5 Stundenkilometer ‚drauf. Der Unterschied von ca. 2-3 Stundenkilometer ist also nicht wirklich so gravierend. Eigentlich kein Wunder, dass bei diesem geringen Unterschied ungeübte SchwimmerInnen mit ihrer Selbsteinschätzung oft daneben liegen. Und was meinen Kleiderschrank angeht: Ich muss zugeben, dass ich wenig Erfahrung im Ausmisten meiner Klamotten habe. Also kein Wunder, dass ich in dieser Hinsicht mit der Zeit- bzw. Selbsteinschätzung so daneben lag.
Foto oben: ©Sigrid Deitelhoff
Die BBB haben leider mit Papier gespart. Die Kennzeichnung der Bahnen ist nur an einem Ende des Beckens vorhanden. Nach meiner Beobachtung wird das Becken indes von nicht wenigen Besuchern vom anderen Ende aus geentert – da, wo eben kein Hinweis angebracht ist. So kommt es mitunter zu den im Text beschriebenen, skurrilen Begegnungen von Kachelzählern und Spassbadern im Wasser. Beide fühlen sich ja auf diese Weise im Recht – sowohl diejenigen, die gelesen haben, als auch die Unwissenden… 🙂
Ansonsten würde man sich in so einer Situation aber auch etwas mehr Engagement von Seiten des Aufsichtspersonals wünschen. Die sollten doch von ihrem Türmchen aus sehen, wenn etwas im Wasser so offensichtlich nicht zusammen passt – und einschreiten. Gehört zum Service.