vonPhilipp Rhensius 01.06.2022

Reality Glitch

Alltagsszenen anhalten, während sie passieren. Sie neu zusammensetzen. Mal poetisch, mal hyperreal, mal wtf!?

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Im Coffeeshop einen Kaffee bestellen, zur Bezahlung die digitale Kreditkarte auflegen, ein Piepen, ein rotes Licht, Error, ein erneutes Auflegen, ein erstes Sorry, ein erstes kein-Problem, ein Piepen, ein rotes Licht, Error, eine leicht hochgezogene Augenbraue, ein zweites Sorry, ein Blick nach hinten, ein zweites kein-Problem, ein Neustart der App, ein erneutes Auflegen, ein Piepen, ein rotes Licht, haha, ein Lächeln, ein drittes kein-Problem, eine kurze Verzögerung der Hände und Arme, ein erneutes Auflegen, ein Piepen, ein rotes Licht, Error, ein das-passiert-ständig sorry-aber-eigentlich-funktioniert-es und ein nachgeschobenes oft-erst-nach-dem-vierten-oder-fünften-mal, ein Räuspern von hinten…

Improvisierte Alltagsperformance

Der Alltag ist ein komplexes, fragiles Gebilde, wie ein Spinnennetz, das bei der kleinsten Erschütterung zu zittern beginnt. Höflichkeit ist eine Frage der Geduld. Wie lange lässt sich das dünne Band des Vertrauens zwischen zwei Menschen aufrechterhalten, die sich nicht kennen, aber durch eine ökonomische Transaktion miteinander verbunden sind?
In den USA ist bezahlen mit EC-Karte nicht möglich, es funktionieren nur Kreditkarten. Ich habe nur eine digitale. Sie funktioniert entweder gar nicht oder nur nach etlichen Versuchen. Jede Bezahlung, im Supermarkt, Restaurant, Kiosk oder Café wird zu einer improvisierten Performance.

Also: Wie lange lässt sich das Band des Vertrauens in der Verkaufssituation aufrechterhalten? Nach einigen Tagen komme ich im Durchschnitt auf ca. dreimal. Alles, was darüber hinausgeht, erzeugt Nervosität. Sie breitet sich dann im Raum aus wie ein unsichtbares Gas, das ich und mein Gegenüber und alle anderen Anwesenden einatmen. In zuckenden Augenlidern oder leicht verzerrtem Lächeln lese ich: Verwunderung, leichte Abscheu und Skepsis, die in verschiedene Richtungen ausschlägt: Hat der Typ wirklich eine digitale Karte und falls ja, ist sie vielleicht nicht gedeckt? Ist er psychisch krank? Oder obdachlos? (Besonders in San Francisco sehen viele Obdachlose aus wie ich, tragen ähnliche Kleidung, verhalten sich weitgehend unauffällig und sind in meinem Alter). Versucht er, in einem plötzlichen Moment mit der Ware abzuhauen, ohne zu bezahlen?

Es geht holprig und dreckig zu

Es passiert immer wieder, bei jedem Schokoriegel, den ich irgendwo kaufe. Die Verzögerung des Kaufs erzeugt einen Glitch in der Wirklichkeit, die für einen kurzen Moment stehenbleibt, ruckelt und zu rendern beginnt wie bei einem neuen Level eines Games, das sich noch neu laden muss. Es entsteht ein Riss zwischen erster und zweiter Realität. Die erste ist die, in der die Transaktion, wie bei allen anderen, einwandfrei funktioniert und oft nur einige Millisekunden andauert. Die zweite ist die, in der alles weniger flüssig läuft und alles weniger gut aussieht.

Es ist der Maschinenraum der Wirklichkeit, indem es holprig und dreckig zugeht. Ich glaube, gerade in den urbanen Räumen der USA ist dieser Maschinenraum so gut wie unsichtbar, wird verdeckt von den schönen glatten Oberflächen, die sowohl physisch als auch zwischenmenschlich Gestalt annehmen. (In Berlin hingegen, in der das Kaputte den Alltag prägt, ist dieser Maschinenraum irgendwie noch sichtbarer.)

Oft hat das bezahlen dann nach mehrmaligem herumprobieren und Minuten von social akwardness funktioniert, aber die  Risse, der dabei entstand, bleiben – und qualmen weiter wie ein gerade gelöschtes Feuer, das ich wie einen Schweif hinter mir herziehe. Spüre das an den Blicken, wenn ich den Laden verlasse. Seltsam.

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